Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Denn meine Jungferschafft ist pflücke (ein Mädchen macht sich nichts daraus)

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Update zu Weihnachtsengel 3: Lasst mich scheinen, bis ich werde
(Mit Freuds Worten singt Mignon als Engel ihr Liebeslied der schönen Seele ohne Geschlecht)
,
Zu Lolitas Verteidigung,
Krabbelröschen,
Fruchtstück 0002: Ein Schooß voll den begehr ich nicht,
Liebchen öffne deinen Schoos
und Wenn 12 Lenze dir entflohn:

Es macht Spaß, Anthologien mit anzüglichen „Stellen“ („Sie wissen schon, so Stellen!“) zu sammeln. Bei mir hat sich die Sammlung von selbst ergeben, weil die Leute glauben, dass man mir sowas schenken kann.

Natürlich kann man das und sollte es sogar. Was in die Anthologien mit „solchen“ Stellen hineingesammelt wurde, hätte dagegen stellen-weise niemals jemand schreiben sollen, siehe die Update-Verlinkungen oben; eine Liste mit Collectaneen siehe unten. Damit die Leute vergleichen können, was man mir noch alles schenken kann.

Forschen bedeutet – unter vielem anderen – vergleichen. Offenbar sind die zwei Barockdichter Johann Karl Kell in seiner Erscheinungsform als Le Pansiv oder Le Pansif (* 1693, † nach 1726) und Daniel Stoppe (* 1697, † 1747) zeitlich nahe beieinander, jedoch unabhängig voneinander auf recht ähnliche Gegenstände für je ein Gedicht geraten, das aus sechsmal sechs Zeilen, gleich sechs Sextetten mit jeweiligem Reimschema ABABCC besteht.

Wie tröstlich und sinnvoll, die Inhalte heute so dokumentarisch und formal distanziert zu betrachten.

David Hamilton via Zamieć Piekna, 2016

——— Le Pansiv:

Jungfer-Gesänge,
wie solche von Jahren zu Jahren von denen
gerne Männer-haben-wollenden Jungfern gesungen werden.
Nach eigenem Geständniss
einer 50-jährigen Jungfer.

aus: Poetische Grillen bey Müßigen Stunden
von Le Pansiv, Erfurt 1729,
cit. nach: Rolf Wilken, Hrsg.: Liebe ist besser als Krieg. Erotische Lyrik und lose Lieder,
Christian Wegner Verlag, Hamburg 1967, Seite 183:

EIn Mägdgen kaum von vierzehn Jahren
Ficht schon die Männer Sehnsucht an;
Drum wünscht sie täglich sich zu paaren,
Und singt: „Ach gebt mir einen Mann,
Der mir fein sanfft das Leibgen drücke,
Denn meine Jungferschafft ist pflücke!“

Sind sechzehn Jahre erst vergangen,
So brennt das Mägdgen lichterloh,
Und singt vor brennendem Verlangen:
(Ihr lieben Jungfern ists nicht so?)
„Will noch kein Mann mir Löschung gönnen?
Ach soll ich armes Ding verbrennen!“

Sind zwantzig Jahre ran gekommen
So seufftzt das Mägdgen Tag und Nacht,
Bis ihr die Jungferschafft benommen,
Die ihr die Nächte schlaflos macht.
Sie singt: „Ach komm ein Mann noch heute!
Sonst geh ich selber auf die Freyte.“

Kömmts dreyß’gste Jahr schon angetreten,
So fleht sie den Sanct Andräs an,
Den sie pflegt kniend anzubeten,
Und singt: „Ach gieb mir einen Mann,
Den ich im Bette kan umarmen;
Sanct Andräs, laß dichs doch erbarmen!“

Hat sie nun viertzig Jahr getragen
Das Centner-schwere Jungfer-Joch,
Wird sie die Manns-Noth doch noch plagen;
Warum? der Kützel sticht sie noch;
Drum singt sie: „Will kein Mann mich puntzeln?
Die Jungferschafft bekömmt schon Runtzeln.“

Sind aber funfftzig Jahr verflossen,
Wird die verschrumpffte Jungferschafft
Mit Thränen-Wasser nun begossen;
Doch singt sie noch aus Leibes-Krafft:
„Ach komm ein Mann! ach komm behende!
Wo nicht; so komm mein Lebensende.“

——— Daniel Stoppe:

Mädchenlied

 
 
 
 
 
 
 
 

cit. nach: Rolf Wilken, Hrsg.: Liebe ist besser als Krieg. Erotische Lyrik und lose Lieder,
Christian Wegner Verlag, Hamburg 1967, Seite 184:

Soll ich armes Ding denn ewig warten?
Geh ich dennoch schon ins zwölfte Jahr;
Nein, ich will die Sache besser karten,
Die Geduld ist bei mir ziemlich rar.
Werf ich gleich die Netze selber aus,
Ach! ein Mädchen macht sich nichts daraus.

Kein Galan kommt uns ins Maul geflogen,
Wenn man stets in seiner Klause sitzt:
In der Einsamkeit wird man betrogen.
Wenn man sich auf einen Mann verspitzt.
Ich geh fleißig auf Gesellschaft aus.
Denn ein Mädchen macht sich nichts daraus.

Brust und Äpfel schnür ich in die Höhe,
Daß das liebe Gut ins Auge fällt.
Daß man, wenn ich unter Leute gehe.
Mich für erzgalant und artig hält.
Sieht mein Krämchen zu handgreiflich aus.
Ach! ein Mädchen macht sich nichts daraus.

Ich weiß meine Farbe zu erheben,
Wenn ein roter Strich die Backen netzt,
Das heißt der Natur den Ausschlag geben,
der die halbe Welt in Liebe setzt.
Sieht mein Malen gleich was kennbar aus,
Ach! ein Mädchen macht sich nichts daraus.

Leg ich mich gleich fleißig auf das Küssen,
Wenn man sich nur nicht aufs Bette legt,
Oh, das schadet nicht, obgleich wir wissen,
Wie man einen Kuß zu geben pflegt.
Täglich teil ich hundert Mäulchen aus,
Ach! ein Mädchen macht sich nichts daraus.

Und gesetzt, daß ich’s versehen hätte,
O so schleich ich bei der stillen Nacht
In ein abgelegnes Wochenbette,
Wo man wenig Federlesens macht.
Sieht mein Jungfernkranz zerhudelt aus,
Ach! ein Mädchen macht sich nichts daraus.

David Hamilton via Zamieć Piekna, 2016

Fachliteratur:

David Hamilton via Zamieć Piekna, 2016

Bilder: David Hamilton, via Zamieć Piekna, 2016.

David Hamilton via Zamieć Piekna, 2016

Soundtrack: Nicht der allzu offensichtliche Soundtrack zu Bilitis 1977, sondern zu unser aller Warnung
die seinerzeit zehnjährige Angelina Jordan: I Put A Spell On You, 1956, Cover 2016.
Hoffentlich unnötiger Hinweis für Davidhamiltonisten, die auf sowas stehen:
Frau Jordan ist wie wir alle seit 2016 älter geworden:

Written by Wolf

25. November 2022 um 00:01

Veröffentlicht in Barock, Ehestand & Buhlschaft

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