Archive for Februar 2023
Als der Vicomte de Chateaubriand einmal nicht Lord Byron traf (denn mich konnte die Welt verlieren, ohne mein Verschwinden überhaupt zu bemerken)
Update zu Seht, Ehrenbreitstein mit gesprengter Mauer,
Hair as red as stockings blue,
Der Sommer ohne Freischütz und
Begräbnis des Glaubens (L’enterrement de la foi):
——— Lord Byron:
Lines written beneath an Elm
In the
Churchyard of Harrow on the Hill
Spot of my youth! whose hoary branches sigh,
Swept by the breeze that fans thy cloudless sky;
Where now alone I muse, who oft have trod,
With those I loved, thy soft and verdant sod;
With those who, scatter’d far, perchance deplore,
Like me, the happy scenes they knew before:
Oh! as I trace again thy winding hill,
Mine eyes admire, my heart adores thee still,
Thou drooping Elm! beneath whose boughs I lay,
And frequent mus’d the twilight hours away;
Where, as they once were wont, my limbs recline,
But, ah! without the thoughts which then were mine:
How do thy branches, moaning to the blast,
Invite the bosom to recall the past,
And seem to whisper, as they gently swell,
„Take, while thou canst, a lingering, last farewell!“When Fate shall chill, at length, this fever’d breast,
And calm its cares and passions into rest,
Oft have I thought, ‚twould soothe my dying hour,—
If aught may soothe, when Life resigns her power,—
To know some humbler grave, some narrow cell,
Would hide my bosom where it lov’d to dwell;
With this fond dream, methinks ‚twere sweet to die—
And here it linger’d, here my heart might lie;
Here might I sleep where all my hopes arose,
Scene of my youth, and couch of my repose;
For ever stretch’d beneath this mantling shade,
Press’d by the turf where once my childhood play’d;
Wrapt by the soil that veils the spot I lov’d,
Mix’d with the earth o’er which my footsteps mov’d;
Blest by the tongues that charm’d my youthful ear,
Mourn’d by the few my soul acknowledged here;
Deplor’d by those in early days allied,
And unremember’d by the world beside.
Das schrieb – der 6. und bekannteste – Lord Byron über die Ulme, unter welcher er als Schüler der Harrow School zu Harrow on the Hill in Greater London gerne verweilt hatte. Schüler war Seine Lordschaft dort 1801 bis 1805, das Gedicht stammt, siehe oben, von 1807. 1817 wurde Byron Vater seiner Tochter Clara Allegra Byron, die 1822 im Alter von fünf Jahren schon wieder starb und (nicht erst) dadurch als tragisches Opfer einer unseligen Verkettung aus missverstandener Vaterschaft und unzeitiger, nämlich erst posthumer Aufmerksamkeit gelten muss; eine düstere Geschichte.
Ebenfalls 1822 erinnerte sich der Franzose Chateaubriand beim Anblick der Harrowschen Schauplätze an seinen englischen Berufskollegen, biochronologisch noch nichts von Klein-Allegras Kindstod ahnend; eine weit weniger düstere Geschichte:
——— François-René de Chateaubriand:
London, April bis September 1822.
Lord Byron.
aus: Erinnerungen von jenseits des Grabes. Meine Jugend. Mein Leben als Soldat und Reisender,
12. Buch, Abschnitt 4. Neu bearbeitet, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Brigitte Sändig,
ars una, München 1994, Seite 311 bis 315:
Während meines englischen Exils lebte Lord Byron in der Schule von Harrow, einem Dorf zehn Meilen von London. Er war noch ein Knabe, ich ein junger Mann und ebenso unbekannt wie er; er war im schottischen Weideland, am Ufer des Meeres aufgewachsen wie ich < href=“https://de.wikipedia.org/wiki/Saint-Malo“ target=“_blank“ title=“Saint-Malo, Wikipedia“>in der bretonischen Heide – und ebenfalls am Ufer des Meeres. Er liebte die Bibel und Ossian über alles, genauso wie ich; er sang in Newstead-Abbey von seinen Kindheitserinnerungen wie ich im Schloß von Combourg.
Auf meinen Ausflügen in die Umgebung von London, als ich so unglücklich war, bin ich wohl zwanzigmal durch das Dorf Harrow gekommen, wußte aber nicht, welch großen Geist es beherbergte. Ich habe mich auf den Friedhof unter die Ulme gesetzt, in deren Schatten Lord Byron 1807, als ich aus Palästina zurückkam, die Verse schrieb:
„Baum meiner Jugend, dessen Zweige klagen,
Wenn in dein Laub sich klare Lüftchen wagen,
Wo ich allein jetzt bin, de oft vor Jahren
Den Raum betrat mit der Genossen Scharen …
Wenn das Geschick des Herzens Glut verkühlt,
Und nicht mehr Gram und Leidenschaft drin wühlt …
Hier möcht ich schlafen, wo mein Hoffen lebte,
Wo Jugendlust und Ruhe mich umschwebte;
Auf ewig von dem Schattendach umschlungen,
Bedeckt vom Rasen, wo ich einst gesprungen …
Beweint von Freunden, die ich früh besessen,
Im übrigen – von aller Welt vergessen.“Und ich werde sagen: Sei gegrüßt, du alte Ulme, zu deren Füßen sich Byron als Kind den Launen seines Alters überließ, während ich in deinem Schatten von René träumte, unter der gleichen Ulme, wo der Dichter später Childe Harold ersann. Byron wünschte sich auf dem Friedhof, der Zeuge seiner Kinderspiele gewesen war, ein namenloses Grab – ein vergeblicher Wunsch, da der Ruhm ihm entgegensteht.
Wenn ich durch Harrow gekommen bin, ohne zu wissen, daß Lord Byron als Kind hier lebte, so sind auch Engländer durch Combourg gereist, ohne zu ahnen, daß ein kleiner Vagabund, der in diesen Wäldern aufwuchs, einige Spuren hinterlassen würde. Der Reisende Arthur Young schrieb, als er durch Combourg fuhr:
„Von Pontorson bis Comburg macht die Gegend einen verwilderten Eindruck. Die Landwirtschaft ist hier nicht weiter entwickelt als bei den Huronen, was im Binnenland unglaublich escheinen mag. Die Bevölkerung ist fast ebenso wild wie das Land, und die Stadt Combourg einer der schmutzigsten und unfreundlichsten Orte weit und breit: Lehmhäuser ohne Fensterscheiben und ein so schlechtes Pflaster, daß man jeden Augenblick fehltritt; keinerlei Kanalisation. – Dennoch gibt es hier ein Schloß, das sogar bewohnt ist. Wer ist dieser Monsieur de Chateaubriand, der Besitzer, der so starke Nerven hat, daß er inmitten all diesen Schmutzes und dieser Armut leben kann? Unterhalb dieses scheußlichen Haufens Elend liegt ein schöner, von Wäldern umgebener See.“
Dieser Monsieur de Chateaubriand war mein Vater: die Stätte , die dem schlechtgelaunten Agronomen so häßlichj erscheint, war nichtsdestoweniger ein edler und schöner, wenngleich düsterer und ernster Wohnsitz. Und hätte Mister Young mich, die schwache Efeupflanze, die sich an diesen unwirtlichen Türmen emporzuranken begann, überhaupt wahrnehmen können, da er nur damit beschäftigt war, unsere Ernte zu sichten?
Es sei mir gestattet, diesen 1822 in England geschriebenen Seiten die nachstehenden, 1834 und 1840 verfaßten anzufügen; sie werden das Kapitel über Lord Byron vervollständigen.
Es wird vielleicht in Zukunft von einigem Interesse sein, das Zusammentreffen der beiden Häupter der neuen französischen und englischen Schule festzustellen, die beide eine gleiche Basis ihrer Vorstellungen, ihrer Bestimmungen, wenn nicht sogar fast gleiche Lebensgewohnheiten besaßen: Der eine ist Pair von England, der andere Pair von Frankreich; beide haben den Orient bereist und waren einander oft ziemlich nahe, ohne sich je zu sehen; nur ist das Leben des engischen Dichters mit weniger großen Ereignissen durchsetzt als das meinige.
Die ersten Übersetzer, Kommentatoren und Bewunderer Lord Byrons haben sich wohl gehütet, darauf aufmerksam zu machen, daß einige Seiten meiner Werke dem Verfasser des Childe Harold einen Moment in Erinnerung bleiben konnten; sie hätte geglaubt, damit seinen Ruhm zu schmälern. Jetzt, da sich der Enthusiasmus etwas gelegt hat, versagt man mir diese Ehre weniger. Unser unsterblicher Sänger hat im letzten Band seiner Lieder gesagt: „In einer der vorhergehenden Strophen spreche ich von den ‚Leiern‘, die Frankreich Monsieur de Chateaubriand verdankt.“ Ich fürchte nicht, daß dieser Vers von der neuen poetischen Schule veleugnet wird, die, unter Adlerflügeln geboren, sich zu Recht oft eines solchen Ursprungs rühmt. Der Einfluß des Autors von Le Génie du Christianisme ist auch im Ausland spürbar geworden, und es ist vielleicht nur recht und billig anzuerkennen, daß der Sänger von Childe Harold zur gleichen Familie wie René gehört.
Was ich hier über die Verwandtschaft der Ideen und der Stimmung zwischen dem Chronisten von René und dem Sänger von Childe Harold gesagt habe, kostet den unsterblichen Barden kein einziges Haar. Wie kann die Muse des schottischen Flusses Dee, die eine Leier und Flügel trägt, durch meine erdverhaftete Muse ohne Laute geschmälert werden? Lord Byron wird leben, da er als Kind seines Jahrhunderts, genau wie ich und Goethe vor uns beiden, die Leidenschaft und das Unglück dieses Jahrhunderts zum Ausdruck gebracht hat; mögen auch meine Irrfahrten und mag das Windlicht meiner gallischen Barke dem Schiff Albions auf unerforschten Meeren als Wegweiser gedient haben.
Überhaupt können zwei Geister von gleicher Beschaffenheit sehr wohl gleiche Vorstellungen entwickeln, ohne daß man ihnen deswegen den Vorwurf machen könnte, daß sie sklavisch dem gleichen Weg gefolgt seien. Es ist erlaubt, in einer fremden Sprache ausgedrückte Ideen und Bilder zu benutzen, um die eigene Sprache damit zu bereichern; das ist in allen Jahrhunderten und zu allen Zeiten so gewesen. Ich gebe gern zu, daß in meiner ersten Jugend Ossian, Werther, die Träumereien eines einsamen Spaziergängers und die Betrachtungen über die Natur meine Ideen beeinflußten; doch habe ich nichts von dem Genuß verheimlicht, den mir die Werke bereiteten, an denen ich mich ergötzte.
Wenn es wahr ist, daß etwas von René in die Substanz der einzigen Person eingegangen ist, die unter verschiedenen Namen als Childe Harold, auftritt – als Conrad, Lara, Manfred, der Giaur, wenn Lord Byron mich zufällig durch sein Leben wiederbelebt hätte, sollte er dann die Schwachheit besessen haben, mich nicht ein einziges Mal zu erwähnen? Ich bin also einer jener Väter, die man verleugnet, wenn man die Macht erlangt hat? Kann ich Lord Byron, der fast alle französischen Schriftsteller seiner Zeit zitiert, völlig unbekannt gebrlieben sein? Hat er nie von mir sprechen hören, als um ihn herum die englischen Zeitungen, genau wie die französischen, zwanzig Jahre lang von dem Streit um meine Werke widerhallten und die New-Times zwischen dem Verfasser von Le Génie du Christianisme und dem von Childe Harold eine Parallele zog?
Es gibt keinen Geist, so glänzend er auch sei, der nicht seine leicht verwundbaren Stellen, seine argwöhnischen Anwandlungen hat; man will das Zepter behalten, fürchtet, es teilen zu müssen, ärgert sich über den Vergleich mit anderen. So hat ein anderes großes Talent meinen Namen in einem Werk über Literatur nicht erwähnt. Gott sei Dank schätze ich mich nach meinem wahren Wert und habe nie nach Herrschaft gestrebt; da ich nur an die religiöse Wahrheit glaube – und eine Form dieser Wahrheit ist die Freiheit – habe ich ebensowenig Glauben in mich al sin irgendetwas anderes hier auf Erden gesetzt. Wenn ich aber bewunderte, so war es immer mein Bedürfnis, nicht zu schweigen; darum erklärte ich meine Begeisterung für Madame de Staël und für Lord Byron. Was gibtr es Schöneres als als Bewunderung? Das ist himmlische Liebe, Hingebung bis zum Kult. Man fühlt sich von Dankbarkeit für die Gottheit durchdrungen, die die Grundlagen unserer Fähigkeiten erweitert, die unserer Seele neue Aussichten eröffnet, die uns ein so großes, so reines, von Furcht und Neid ganz freies Glück gewährt.
Übrigens beweist der kleine Einwand, den ich in diesen Memoiren gegen den größten englischen Dichter seit Milton erhebe, nur eines: den hohen Wert, den ich darauf gelegt hätte, daß sich seine Muse meiner erinnert.
Lord Byron hat auf erbärmliche Weise Schule gemacht. Ich nehme an, er war genauso betroffen von den Childe Harolds, die er ins Leben gerufen hat, wie ich es über die Renés bin, die um mich herum ihren Träumen nachhängen.
Das Leben Lord Byrons ist Gegenstand vieler Nachforschungen und Verleumdungen. Die jungen Männer haben seine magischen Worte für puren Ernst genommen; die Frauen waren geneigt, sich, wenngleich mit Entsetzen, von diesem Ungeheuer verführen zu lassen, wollten diesen einsamen und unglücklichen Satan trösten. Wer weiß? Vielleicht hat er die Frau nicht gefunden, die er suchte, ein Weib, das schön genug, ein Herz, das ebenso weit war wie das seinige. Einer trügerischen Meinung nach ist Byron die alte Schlange der Verführung und der Verderbtheit, nur weil er die Verderbtheit des menschlichen Geschlechts wahrnimmt. Er ist ein unseliger, leidender Genius, der zwischen die Geheimnisse der Materie und des Geistigen gestellt ist, der keine Lösung für das Rätsel des Universums sieht, der das Leben als eine abscheuliche grundlose Ironie, als ausschweifendes Lächeln des Bösen betrachtet. Er ist der Sohn der Verzweiflung, der verachtet und verleugnet und der sich für die unheilbare Wunde, die er in sich trägt, rächt, indem er alles, was sich ihm nähert, durch Wollust zum Schmerz führt. Er ist ein Mann, der das Alter der Unschuld nicht gekannt und nie in die Lage gekommen ist, von Gott verworfen und verflucht zu werden; ein Mann, der bereits verurteilt aus dem Schoße der Natur hervorging und der der Verdammte des Nichts ist.
Dies ist der Byron der überspannten Phantasien, aber wie ich glaube, ist es nicht der wirkliche Byron.
Wie bei den meisten, so sind auch in Lord Byron zwei verschiedene Menschen vereinigt: der Mensch der Natur und der Mensch des Systems. Als der Dichter erkannte, welche Rolle das Publikum ihm zuschrieb, übernahm er sie und begann, die Welt zu verdammen, die er bisher nur träumerisch wahrgenommen hatte. Dieser Prozeß ist aus der chronologischen Ordnung seiner Werke ablesbar.
Sein Genie hat bei weitem nicht das Ausmaß, das man ihm zuschreibt, es ist sogar ziemlich beschränkt. Sein poetisches Denken ist nur ein Seufzer, eine Klage oder eine Verwünschung; als das ist es bewundernswert. Man sollte die Leier nicht danach fragen, was sie denkt, sondern was sie singt.
Sein Geist ist sarkastisch und wandelbar, aber auf eine Art, die aufregt, so daß sein Einfluß unheilvoll ist. Der Schriftsteller hat zweifellos Voltaire gelesen und ahmt ihn nach.
Lord Byron, mit allen Vorzügen ausgestattet, hatte wenig Anlaß, mit seiner Geburt unzufrieden zu sein. Selbst der Vorfall, der ihn unglücklich machte und seine Überlegenheiten mit menschlicher Gebrechlichkeit verband, hätte ihm keinen Kummer verursachen müssen, weil er trotzdem geliebt wurde.
Die Geschwindigkeit, mit der heute der Ruhm vergeht, ist beklagenswert. Nach einigen Jahren – was sage ich? schon nach einigen Monaten hört die Anhimmelei auf und macht dem Verruf Platz. Man sieht schon den Nimbus Byrons verblassen. Wir verstehen seinen Genius besser; in Frankreich wird man ihm länger Altäre errichten als in England. Da Childe Harold sich vor allem durch die Schilderung besonderer, individueller Gefühle auszeichnet, werden die Engländer, die allen gemeinsame Gefühle vorziehen, den Dichter mit seinem tiefenm, traurigen Aufschrei schließlich leugnen. Sie sollten sich damit in Acht nehmen! Wenn sie je das Bild des Mannes zerstören, der sie wieder auleben läßt, was bleibt ihnen dann?
Als ich 1822 während meines Aufenthalts in London meine Ansichten über Lord Byron niederschrieb, hatte er nur noch zwei Jahre auf Erden zu leben; er starb 1824, zu der Zeit, als Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten auf ihn zukamen. Ich bin ihm im Leben, er ist mir im Tode vorangegangen. Er wurde vor der Zeit abberufen. Meine Nummer kam vor der seinen, und dennoch wurde die seinige zuerst gezogen. Childe Harold hätte bleiben sollen, denn mich konnte die Welt verlieren, ohne mein Verschwinden überhaupt zu bemerken.
Bilder: Harrow on the Hill Churchyard – Byron’s tomb, crosses and John Leighton,
Churchyard Monuments;
Harrow On The Hill, St Mary’s Church, The Peachey Tomb And The Elm 1906,
The Francis Frith Collection;
10 London hills – 8. Harrow Hill…, Exploring London, 2. Juni 2021;
The Short Tragic Life of Allegra Byron, Darkest London, 19. Oktober 2012.
Soundtrack: François Devienne (1759 bis 1803): Sonate en quatuor pour le clavecin ou le forte piano avec accompagnement de flûte, cors et alto obligés. Il y a une partie de violoncelle pour remplacer celle du cor (Sonate zu vieren) in F-Dur, live im Auditorium de la Maison de la Radio, Paris 31. Januar 2018:
Fruchtstück 0006: Ja wer wird denn gleich verzweifeln
Update zum 200. Eintrag,
Ein Mann zwischen den Altern
und Du hast genug geflennt:
Robert Gernhardt muss nicht eigens, daher wird Marion Vina empfohlen.
„Ist das ein Zeugma?“ fragt die Wölfin.
„Nein“, sag ich, „das ist eine Grafikdesignerin und Illustratorin.“
„Wolfwolfwolf.“
——— Robert Gernhardt:
Trost und Rat
aus: Wörtersee, 1981:
Ja wer wird denn gleich verzweifeln,
weil er klein und laut und dumm ist?
Jedes Leben endet. Leb so,
daß du, wenn dein Leben um istvon dir sagen kannst: Na wenn schon!
Ist mein Leben jetzt auch um,
habe ich doch was geleistet:
ich war klein und laut und dumm.
Bild: Marion Vina: Trost und Rat, 4. Januar 2023.
Kleinlaut und klug: Sia: Big Girls Cry, 2014:
Missing Poe
Update zu Etwas distinkt Metaphysisch-Transzendentales,
Weinfassreiten an der Küste der Nacht (oder geschah es bei Tage),
Die Wonnen des Fuchsjägers: 4 fundamentale Voraussetzungen eines seligen Lebens
und vor allem All I lov’d — I lov’d alone:
Durchgeblättert hab ich dieser Tage den vierten Band Poe, den mit den Gedichten und der ausgewählten Essayistik. Im letzteren Teil fällt auf, dass drei der wichtigsten Stücke über Poetik handeln. Als ob man’s nicht wüsste, aber ich merk mir nie den genauen Namen seiner Bauanleitung für The Raven; The Philosphy of Composition war’s wohl, as opposed to The Rationale of Verse und The Poetic Principle — und dann darf man sich noch dreierlei übersetzte Überschriften dazumerken und kennt sich grad noch soweit aus, dass His Poeness die Poetik alles andere denn wurschtegal war. Und dann steht unter Anmerkungen noch zur Logik des Verses (das mit dem Rationale) gut versteckt, dass es auch noch „eine Arbeit, die er ganz diesem Thema gewidmet hat“ geben soll: Notes on English Verse vom März 1843, im allfälligen Vierbänder ansonsten unterschlagen.
Der Skandal mit Derjenigenwelchen Ausgabe hat schon viel früher angefangen: Bis jetzt komme ich auf 5 oder je nach Zählung 8 Gedichte, die da nicht drin sind. Chronologisch nach der Entstehung:
Und sofort vermisst man schmerzlich deutsche Übersetzungen. Ich könnte mich ja dranwagen, aber auf dem Niveau von Hans Wollschläger sollten sie schon stattfinden. – Was die Schuhmann-Schmidt-Wollschläger’sche Poe-Ausgabe verschweigt:
——— Edgar Allan Poe:
-
Stanzas I–IV
The title “Stanzas” was assigned by E. C. Stedman and G. E. Woodberry in 1894, and has generally been widely accepted.
This is one of the poems in this collection that Poe never reprinted.
Poe’s motto preceeding the poem is from Bryon’s Island, 1823, Canto II, lines 382–285. (Mabbott, in his edition of Poe’s poems, cites the reference as “Canto II, xvi, lines 13-16,” but different editions provide different numbering. In the 1823 edition, printed in London, the lines are numbered within the full canto. An 1824 edition, printed in Philadelphia, and an 1831 edition, also printed in London, give no line numbers. All editions divide the cantos into sections bearing Roman numerals.
In the second line of stanza 2, “ferver” may be “fervor” or more likely “fever.”
How often we forget all time, when lone
Admiring Nature’s universal throne;
Her woods — her wilds — her mountains — the intense
Reply of Hers to Our intelligence!1.
In youth have I known one with whom the Earth
In secret communing held — as he with it,
In day light, and in beauty from his birth:
Whose fervid, flick’ring torch of life was lit
From the sun and stars, whence he had drawn forth
A passionate light-such for his spirit was fit —
And yet that spirit knew — not in the hour
Of its own fervor — what had o’er it power.2.
Perhaps it may be that my mind is wrought
To a ferver [[fever]] by the moon beam that hangs o’er,
But I will half believe that wild light fraught
With more of sov’reignty than ancient lore
Hath ever told — or is it of a thought
The unembodied essence, and no more
That with a quick’ning spell doth o’er us pass
As dew of the night-time, o’er the summer grass.3.
Doth o’er us pass, when, as th‘ expanding eye
To the lov’d object — so the tear to the lid
Will start, which lately slept in apathy?
And yet it need not be — (that object) hid
From us in life — but common — which doth lie
Each hour before us — but then only bid
With a strange sound, as of a harp-string broken
T‘ awake us — ‚Tis a symbol and a token.4.
Of what in other worlds shall be — and giv’n
In beauty by our God, to those alone
Who otherwise would fall from life and Heav’n
Drawn by their heart’s passion, and that tone,
That high tone of the spirit which hath striv’n
Tho‘ not with Faith — with godliness — whose throne
With desp’rate energy ‚t hath beaten down;
Wearing its own deep feeling as a crown. -
Elizabeth
undated manuscript, about 1829. Acrostichon for Poe’s Baltimore cousin, Elizabeth Rebecca Herring (1815–1889).
Some scholars, including T. O. Mabbott, note that the seventh lines reads “in persuing,” with “pursuing” misspelled. Examination of the manuscript, however, shows this to be a misreading.
A photographic facsimile of the manuscript was printed in the auction catalogue for The Library of H. Bradley Martin: Highly Important American and Children’s Literature, New York: Sotheby’s, January 30 and 31, 1990, lot 2218, with notes by Richard Kopley.
Elizabeth — it surely is most fit
(Logic and common usage so commanding)
In thy own book that first thy name be writ,
* Zeno and other sages notwithstanding:
And I have other reasons for so doing
Besides my innate love of contradiction:
Each poet — if a poet — in pursuing
The muses thro‘ their bowers of Truth or Fiction,
Has studied very little of his part,
Read nothing, written less — in short’s a fool
Endued with neither soul, nor sense, nor art,
Being ignorant of one important rule,
Employed in even the theses of the school —
Called —— I forget the heathenish Greek name —
(Called any thing, its meaning is the same)
“Always write first things uppermost in the heart”Edgar
* It was a saying of this philosopher “that one’s own name should never appear in one’s own book”.
-
Original
undated manuscript, about 1829, published 1875:
From childhood’s hour I have not been
As others were — I have not seen
As others saw — I could not bring
My passions from a common spring —
From the same source I have not taken
My sorrow — I could not awaken
My heart to joy at the same tone —
And all I lov’d — I lov’d alone —
Then — in my childhood — in the dawn
Of a most stormy life — was drawn
From ev’ry depth of good and ill
The mystery which binds me still —
From the torrent, or the fountain —
From the red cliff of the mountain —
From the sun that ’round me roll’d
In its autumn tint of gold —
From the lightning in the sky
As it pass’d me flying by —
From the thunder, and the storm —
And the cloud that took the form
(When the rest of Heaven was blue)
Of a demon in my view — -
Serenade
This was printed as “by E. A. Poe” in the Baltimore Saturday Visiter of April 20, 1833, after its receipt from “E. A. P.” had been acknowledged in the issue of April 13. It was completely forgotten until in 1917 Professor John C. French located a file of the paper for 1833 in the hands of Miss Elizabeth Cloud Seip. He reprinted “Serenade” in the Dial for January 31, 1918 (64:121), and again in Modern Language Notes, May 1918 (33:257-258). Killis Campbell inserted a text in the second issue of his Poems at p. 137. In line 12, I change the sure misprint “mountains,” to “mountain’s” but otherwise follow the original printing.
So sweet the hour — so calm the time,
I feel it more than half a crime
When Nature sleeps and stars are mute,
To mar the silence ev’n with lute.
At rest on ocean’s brilliant dies
An image of Elysium lies:
Seven Pleiades entranced in Heaven
Form in the deep another seven:
Endymion nodding from above
Sees in the sea a second love:
Within the valleys dim and brown,
And on the spectral mountain’s crown
The wearied light is lying down:
And earth, and stars, and sea, and sky
Are redolent of sleep, as I
Am redolent of thee and thine
Enthralling love, my Adeline.
But list, O list! — so soft and low
Thy lover’s voice tonight shall flow
That, scarce awake, thy soul shall deem
My words the music of a dream.
Thus, while no single sound too rude,
Upon thy slumber shall intrude,
Our thoughts, our souls — O God above!
In every deed shall mingle, love. -
Lines on Ale
„Believed to have been written in 1848 at a tavern in Lowell, Massachusetts“:
Fill with mingled cream and amber,
I will drain that glass again.
Such hilarious visions clamber
Through the chamber of my brain.
Quaintest thoughts, queerest fancies
Come to life and fade away.
What care I how time advances;
I am drinking ale today.
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Und das sind nur die, so man findet, indem man gar nicht sucht.
Bilder: Illustrationen zu Werken von Poe, gesammelt aus einer Suchanfrage innerhalb tumblr.com nach „Poe Illustration“, die ich für Teile der Public Domain halte. Die erste ist jedenfalls von Arthur Rackham.
Soundtrack: Larkin Poe: Bleach Blonde Bottle Blues, aus: Venom & Faith, 2018:
Nachtstück 0030: Wenn acht nach sieben kommt
Update zu so net,
Schmerz, Tod und Graus gar spaßig zu erfassen
und Was singelt ihr und klingelt im Sonetto?:
Ein Sonett, das gar kein Sonett ist, noch nicht einmal Lyrik, und eins, das nicht einmal geschrieben wurde. Weil es nicht angeht, aller sieben Jahre einmal Krieg und Frieden zu lesen, aber dann Даниил Хармс, das ist: Daniil Charms nicht zu kennen.
Übrigens lassen sich, was in der Übersetzung nicht zur Geltung kommen kann, auf Russisch Sieben und Acht besonders leicht verwechseln, weil das eine семь und das andere восемь heißt. Und das ist noch gar nichts. #keinrussischlernen
——— Daniil Charms:
Sonett
übs. Ilse Tschörtner, in: Daniil Charms: Zwischenfälle, Verlag Volk und Welt, Berlin 1990:
Mir ist mal etwas ganz Eigenartiges passiert: Ich hatte auf einmal vergessen, was eher kommt – sieben oder acht. Ich ging zu den Nachbarn und fragte, was sie meinten. Aber wie groß war meine Verwunderung, als sich plötzlich herausstellte, dass auch sie die Reihenfolge der Zahlen vergessen hatten.
1,2,3,4,5 und 6 wussten sie noch, aber wie weiter, das hatten sie vergessen.
Wir gingen zusammen zum Kaufhaus „Gastronom“ in der Snamenskaja, Ecke Bassejnaja, und fragten die Kassiererin. Die Kassiererin lächelte traurig, nahm ein kleines Hämmerlein aus dem Mund, zog die Luft durch die Nase ein und sagte: „Meines Erachtens kommt sieben in dem Fall nach acht, wenn acht nach sieben kommt.“
Erfreut bedankten wir uns bei der Kassiererin und liefen hinaus. Doch plötzlich, als wir uns die Auskunft der Kassiererin genauer überlegten, verstummten wir wieder, denn sie kam uns völlig sinnlos vor.
Was tun? Wir gingen in den Sommergarten und fingen an, die Bäume zu zählen. Doch als wir bei sechs angelangt waren, blieben wir stehen und gerieten in Streit. Nach Ansicht der einen folgte sieben, nach Ansicht der anderen acht.
Wir würden noch lange gestritten haben, aber zum Glück fiel ein Kind von der Bank und brach sich beide Kiefer. Das brachte uns von unserem Streit ab.
Da trennten wir uns und gingen nach Hause.
Bilder: Sonett Bleichkomplex und Fleckentferner mit reinem Sauerstoff, ohne Erdölchemie,
via Windelwissen.
Soundtrack: Daniil-Charms-Verfilmung von Отава Ё: Дворник, 2012,
das ist: Straßenkehrer oder Hausmeister, 2012, aus: Что за песни, 2013,
auf das lettische Weihnachtslied Tumša tumša tā eglīte,
im Hof des Anna-Achmatova-Museums, Sankt Petersburg: