Archive for Oktober 2019
Nachtstück 0024: I wish you were dead, my dear
Update zu Wenn Schnee bedeckt mein Haar einmal,
Grabesdunstwitterlich,
So singet laut den Pillalu (Och orro orro ollalu)
und Das Angedenken der Zuckerlust:
——— Algernon Charles Swinburne:
Satia te Sanguinefrom: Laus Veneris, and Other Poems and Ballads,
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——— Algernon Charles Swinburne:
Satia te Sanguinedeutsche Nachdichtung:
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Satia te Sanguine quem semper sitisti: und Cum priuilegijs Regis Christianissimi / Serenissimæ Infantis et Ordinum confoed. a.o 1630: Paulus Pontius nach Peter Paul Rubens: The Head of Cyrus brought to Queen Tomyris, Kupferstich auf Papier 1630, 58,9 cm auf 40,3 cm, The Trustees of the British Museum.
Sucker love is heaven sent: Placebo: Every You Every Me, aus: Without You I’m Nothing, 1998:
Like the naked leads the blind,
I know I’m selfish, I’m unkind.
Sucker love, I always find
Someone to bruise and leave behind.
#gothiclyrik
Du warst den Meeren mitternachts entstiegen
Update zu Schön spricht der Physiologus: Von den Sirenen und Eselskentauren,
Nackt fällt sie ihm an seinen Mund
und Laß mich die Aschengruttel sein in deinem Märchen:
Unklar bleibt, wieso Gertrud Käthe „Gertrud Kolmar“ Chodziesner eine Übersetzung aus dem Englischen so weitgehend hätte vortäuschen sollen, dass sie sogar die Dichterin des Originals gleich mit dazuerfinden musste: Aus politischen Gründen konnte es nicht einmal für die Jüdin, die Anfang März 1943 doch noch in Auschwitz blieb, gewesen sein, weil sie vorher und nachher sehr wohl ihre politisch denkbar unverfänglichen Gedichtbände unter ihrem seit 1917 etablierten Pseudonym veröffentlichte.
SIEBEN GEDICHTE aus „German Sea“ von Helen Lodgers. Nach dem Englischen entstand vermutlich 1934 in Form eines Reisetagebuchs über Hamburg, Lübeck und Travemünde, als Gestaltung einer Liebesbeziehung zum ansonsten weithin vergessenen Dichter Karl Joseph Keller. Dieter Kühn hat 2008 die Frage nach dem auf den ersten Blick unnötigen Pseudonym nicht endgültig, aber glaubwürdig aufgelöst: Sie musste sich vor ihrem Vater tarnen, der eine Liebschaft missbilligt hätte. Mit einem acht Jahre jüngeren Nichtjuden. Weil sie sich damit von ihrem Vater weg zu einem anderen Mann entfernt hätte. Mit gestandenen 40 Jahren.
Sie sieht sogar aus wie Kafka.
——— Gertrud Kolmar:
Meerwunder
:
Als ich das Kind mit grünen Augensternen,
Dein zartes, wunderbares Kind empfing,
Erbrausten salz’ge Wasser in Zisternen,
Elmsfeuer funkelten aus Hoflaternen,
Und Nacht trug den Korallenring.Und deiner Brust entwehte Algenmähne
So grün, so grün mit stummer Melodie.
Sehr sachte Fluten plätscherten um Kähne,
Im schwarzen Traumschilf sangen große Schwäne,
Und nur wir beide hörten sie.
Du warst den Meeren mitternachts entstiegen
Mit eisig blankem, triefend kühlem Leib.
Und Wellenwiegen sprach zu Wellenwiegen
Von unserm sanften Beieinanderliegen,
Von deinen Armen um ein Weib.Seejungfern hoben ungeschaute Tänze,
Und wilde Harfen tönten dunkel her,
Und Mond vergoß sein silbernes Geglänze
Um den Perlmutterglast der Schuppenschwänze;
Mein Linnen duftete vom Meer.Und wieder wachten Hirten bei den Schafen
Wie einst … und glomm ein niebenannter Stern.
Und Schiffe, die an fremder Küste schlafen,
Erbebten leis und träumten von dem Hafen
Der Heimat, die nun klein und fern.Tierblumen waren fächelnd aufgebrochen,
In meinen Schoß verstreut von deiner Hand;
Um meine Füße zuckte Adlerrochen,
Und Kinkhorn und Olivenschnecke krochen
Auf meiner Hüfte weißen Sand.Und deine blaß beryllnen Augen scheuchten
Gekrönte Nattern heim in Felsenschacht,
Doch Lachse sprangen schimmernder im Feuchten
An Wogenkämmen sprühte blaues Leuchten
Wie aus dem Rabenhaar der Nacht.O du! … Nur du! … Ich spülte deine Glieder
Und warb und klang und schäumte über dir.
Und alle Winde küßten meine Lider,
Und alle Wälder stürzten in mich nieder,
Und alle Ströme mündeten in mir.
Bilder: Gertrud Kolmar 1928, via Olivier Ypsilantis für Zakhor Online, 25. April 2011.
Das Meerwunder heißt auch ein Kupferstich von Albrecht Dürer von 24,6 cm × 14,7 cm um 1498 — eine erfreulich detailreiche Arbeit, heute mit originalen Abdrucken im Kupferstichkabinett der Karlsruher Staatlichen Kunsthalle und im New Yorker Metropolitan Museum of Art, deren größte Wiedergaben man sich ruhig mal ein Weilchen bei Karl & Faber oder bei Zeno angucken kann; beide werden größer hinter der, so man hat, rechten Maustaste. Da sitzt man länger dran als an Kolmars Gedicht.
Soundtrack: Cat Power: Sea of Love, aus: The Covers Record, 2000,
Original: John Phillip „Phil Phillips“ Baptiste, aus: Sea of Love, 1959:
#gothiclyrik
Ein Buch gibt keine Gelatinesuppe
Update zu Die alte und neue Inertia (Warum hast du nichts gelernt?)
und Your open hand but shows our loss:
Denkenden und fühlenden Menschen wird niemals klar werden, was Schönheit um ihrer selbst willen so gleichgültig, wenn nicht gar schädlich machen soll. Die dergleichen voraussetzen, gelten als nüchtern, zielstrebig und daher erfolgreich. Bei genauerem Besehen will man nichts mit ihnen zu tun haben. Auch das wird ihnen egal sein.
Ein Thema, das gerade angesichts des aktuellen Zustands der Welt nicht einfach in der Luft herumwabert, sondern jeden Tag lodernder brennt. Ausnahmsweise erspare ich mir deshalb einen penibel korrigierten Text und bringe einen gekürzten, dafür handlichen, der sich den Philistern zum In-die-Fresse-Hauen eignet.
Das französische Original von Gautiers Erst- und Hauptwerk Mademoiselle de Maupin steht online, unser Zitat handelt aus dem ausführlichen préface. Die derzeit gültige Übersetzung von 2011 ist beim Manesse Verlag erhältlich. — Danke an Frank T. Zumbach für Aufmerksamkeit und Anteilnahme!
——— Théophile Gautier:
Théophile Gautier: Nützlichkeit
aus: Mademoiselle de Maupin, Vorwort, 1834;
erste deutsche Übersetzung: Ilna Ewers-Wunderwald, Verlag der Funken, Leipzig 1908:
Neben den moralischen Journalisten ist … eine Prozession kleiner Champignons einer … recht kuriosen Art aufgetaucht … es sind die utilitären Kritiker. „Was nützt dieses Buch?“(sagen sie) „Wie kann man es für die Versittlichung und das Glück der zahlreichsten und ärmsten Klasse verwenden? Was! nicht ein Wort über die Bedürfnisse der Gesellschaft, nichts Zivilisierendes und Progressives! Wie kann man, anstatt an der großen Synthese der Menschheit zu wirken und anhand der historischen Ereignisse die Phasen der regenerierenden und providentiellen Idee zu verfolgen, wie kann man Gedichte und Romane schreiben, die zu nichts führen und das Menschengeschlecht nicht auf dem Weg der Zukunft vorwärtsbringen? Wie kann man sich angesichts so schwerwiegender Angelegenheiten mit der Form, mit dem Stil und Reim befassen? – Was kümmern uns Stil, Reim und Form? Als ob es gerade darum ginge (arme Füchse, die Trauben sind zu grün!) – Die Gesellschaft leidet, sie ist das Opfer einer grossen inneren Zerrissenheit … Aufgabe des Dichters ist es, die Ursache dieses Unglücks zu suchen und es zu heilen. Das Mittel hierfür wird er finden, wenn er mit Herz und Seele mit der Menschheit sympathisiert. (Philanthropische Poeten! das wäre etwas Seltenes und Bezauberndes.) Auf diesen Dichter warten wir, wir sehen ihn innigst herbei …“ Meinetwegen. Doch da wir wünschen, daß unsere Leser bis zum Ende dieses … Vorworts wach bleiben, werden wir diese sehr getreue Nachahmung des utilitären Stils nicht fortsetzen, der von Natur sehr einschläfernd wirkt …
Nein, Schwachköpfe, nein, Kretins, ein Buch gibt keine Gelatinesuppe, ein Roman ist kein Paar nahtlose Stiefel, ein Sonett keine Klistierspritze mit Dauerstrahl, ein Drama keine Eisenbahn, alles Dinge, die für die Zivilisation wesentlich sind und die Menschheit auf dem Weg des Fortschritts vorwärtsmarschieren lassen. (…)
Nichts, was schön ist, ist zum Leben unentbehrlich. Rottete man die Blumen aus, litte die Welt nicht materiell darunter. Wer möchte jedoch, dass es keine Blumen mehr gibt? Ich würde lieber auf Kartoffeln als auf Rosen verzichten, und ich glaubte, es gibt auf der Welt nur den Utilitaristen, der fähig wäre, ein Tulpenbeet auszureißen, um Kohl darauf zu pflanzen.
Wozu dient die Schönheit der Frauen? Vorausgesetzt, eine Frau ist gesundheitlich in Ordnung und imstande, Kinder zu gebären, so wird sie für Ökonomen immer gut genug sein.
Wozu ist die Musik gut? Wozu die Malerei? Wer wäre so närrisch, Mozart Herrn Carrel und Michelangelo dem Erfinder des weißen Mostrichs vorzuziehen?
Wirklich schön ist nur, was zu nichts dienen kann.
Alles Nützliche ist häßlich, denn es ist der Ausdruck irgendeines Bedürfnisses, und die Bedürfnisse des Menschen sind unedel und widerlich, wie seine arme und schwache Natur. Der nützlichste Ort eines Hauses ist der Abtritt.
Das mit dem materiellen Schaden, den der Mangel an Blumen anrichtet, wird heute anders gesehen, selbst von Utilitaristen — die weiterhin davon absehen werden, die Arbeit der Bienen zu verrichten. Das macht den Nutzen schöner Erscheinungen nicht gleichgültiger — sondern offensichtlicher.
Buidl: Rose Matthias Claudius, von der Wölfin, 19. Juli 2019.
Die Schönheit persönlich: Miley Cyrus: Wildflowers von Tom Petty, aus: Wildflowers, 1994:
Nachtstück 0023: Watch out, the world’s behind you
——— Hank Nagler:
Morgen
1993:
Die Kerzen brennen.
Nico singt vom Sonnenaufgang.
Bukowski säuft bei meinem Wein mit.
Die Angst vor dem Morgen,
zerflackert im Feuer der Dochte.
Lethargie vor den Konsequenzen.
Soundtrack: The Velvet Underground: Sunday Morning,
aus: The Velvet Underground & Nico, 1967 (lead vocals: Lou Reed):
You’ll learn to sprechen Deutsch mein kind, ash fast ash you tesire
Update zu Die deutsche Sirene vom Zwirbel im Rhein in die Bronx,
Wein-Lese und
Was zusammengehört:
Charles Godfrey Leland wird von Wikipedia als Abenteurer, Künstler, Dichter, Kritiker, Folklorist, Mythenforscher, Philologe, Archäologe, Journalist, Humorist, Kolumnist, Soldat, Herausgeber, Reformer und Erzieher geführt, alles davon mit guter Begründung. Halten wir als seine wichtigsten Leistungen fest: Gründung der Zeitschrift The Continental Monthly und Weiterführung des Graham’s Magazine als Graham’s Illustrated Magazine samt dessen Terminierung; Entdeckung und Erstbeschreibung einer ausgestorbenen und einer rezenten keltischen Sprache namens Ogham und Shelta unter wissenschaftlicher Anerkennung der durchweg seriösen Forschung, nicht aber der Sprachen selbst; vollständige Übersetzung der Werke Heinrich Heines ins Englische; Veröffentlichung von über fünfzig Büchern, die meisten davon über europäische Zigeuner-Folklore, Wicca-Religion und Neopaganismus, darunter am bekanntesten Aradia, or the Gospel of the Witches, deutsch: Aradia oder das Evangelium der Hexen, 1899.
Über dieser Fülle von Kuriosa, auf einem einzigen, im Laufe der Zeit apokryph gewordenen Manne vereinigt, vergisst sich leicht der Zyklus seiner Hans Breitmann’s Ballads ab 1856, die seinen Ruhm zu Lebzeiten begründeten, aber inzwischen von seinen immer noch gültigen Leistungen auf dem Studiengebiet des vor allem italienischen Hexenzaubers überdeckt werden. Im Gegensatz zu Mark Twains bis heute verbreiteten und recht präsenten, allerdings punktuell entstandenen Essay The Awful German Language, deutsch: Die schreckliche deutsche Sprache 1880 wendet Leland in dem mehrere Jahrzehnte lang angewachsenen Zyklus eine eigens erfundene Mischung aus Englisch und Deutsch an, die eben kein Pennsylvaniadeutsch ist, sondern ein durchaus tragfähiges Makkaronisch.
Als anschaulichstes Beispiel für Lelands so durchschaubare Kunstsprache, dass sie für deutsche Leser nicht übersetzt werden muss, diene uns die Breitmann Ballad namens To a Friend Studying German von 1869, nachmals gewidmet an seinen Freund Johann Nicolaus, Nikolaus oder Nicholas Trübner — einen Buchhändler, Verleger, Linguisten und geborenen Heidelberger, daher deutschen Muttersprachler, der auf einem sich weltweit, vor allem nach Nordamerika ausbreitenden Buchmarkt zurechtkommen musste — als sozial interagierendes Individuum nicht zuletzt durch Fremdsprachenerwerb.
——— Charles Godfrey Leland:
To a Friend Studying German
1869 bis 1889, in: The Breitmann Ballads, by Charles G. Leland.
1889, to the memory of the late Nicholas Trübner.
This Work is Dedicated by Charles G. Leland, London, 1871.
A New Editon, Kegan Paul, Trench, Trübner & Co., London 1895:
Si liceret te amare
Ad Suevorum magnum mare
Sponsam te perducerem—Tristicia Amorosa.
Frau Aventiure,
von J. V. Scheffel.
VILL’ST dou learn die Deutsche Sprache?
Denn set it on your card,
Dat all the nouns have shenders,
Und de shenders all are hard.
Dere ish also dings called pronoms,
Vitch id’s shoost ash vell to know;
Boot ach! de verbs or time-words—
Dey’ll work you bitter woe.Will’st dou learn de Deutsche Sprche?
Den you allatag moost go
To sinfonies, sonatas,
Or an oratorio.
Vhen you dinks you knows ‚pout musik,
More ash any other man,
Be sure de soul of Deutschland
Into your soul ish ran.Will’st dou learn de Deutsche Sprache?
Dou moost eat apout a peck
A week of stinging sauerkraut,
Und sefen pfoundts of speck.
Mit Gott knows vot in vinegar,
Und deuce knows vot in rum:
Dis ish de only cerdain vay
To make de accents coom.Will’st dou learn de Deutsche Sprache?
Brepare dein soul to shtand
Soosh sendences ash ne’er vas heardt
In any oder land.
Till dou canst make parentheses
Intwisted-ohne zahl—
Dann wirst du erst Deutschfertig seyn,
For a languashe ideál.
Will’st dou learn de Deutsche Sprache?
Du must mitout an fear
Trink afery tay an gallon dry,
Of foamin Sherman bier.
Und de more you trinks, pe certain,
More Deutsch you’ll surely pe;
For Gambrinus ish de Emperor
Of de whole of Germany.Will’st dou learn de Deutsche Sprache?
Be sholly, brav, und treu,
For dat veller ish kein Deutscher
Who ish not a sholly poy.
Find out vot means Gemütlichkeit,
Und do it mitout fail,
In Sang und Klang dein Lebenlang,
A brick-ganz kreuzfidél.Willst dou learn de Deutsche Sprache?
If a shendleman dou art,
Denn shtrike right indo Deutschland,
Und get a schveetes heart.
From Schwabenland or Sachsen
Vhere now dis writer pees;
Und de bretty girls all wachsen
Shoost like aepples on de drees.Boot if dou bee’st a laty,
Denn on de oder hand,
Take a blonde moustachioed lofer
In de vine green Sherman land.
Und if you shoost kit married
(Vood mit vood soon makes a vire),
You’ll learn to sprechen Deutsch mein kind,
Ash fast ash you tesire.Dresden, January 1870.
Builders: via The Thinker’s Garden: Odd Truths: The Adventures of Charles Godfrey Leland, 14. Oktober 2016.
Tonspur: Mouth & MacNeal: How Do You Do?, aus: How Do You Do?, 1972,
natürlich zweisprachig. In einer nach der anderen:
Wohl dem, der weiß, was recht und wahr, und dies auch übet immerdar
Update zu Wunderblatt 9: Dies ist das Kaktusland und
Ein Haufen belebter Maschinen, welche von der Natur hervor getrieben worden wären, für sie zu arbeiten:
Keine Ahnung, wie man zu zweit einen Roman übersetzt. Elke Link und Sabine Roth haben 1997 für den Cadolzburger ars vivendi Verlag den Silas Marner von George Eliot versucht und tatsächlich zu einem Druckunterlagenschluss etwas zur Veröffentlichung Geeignetes geliefert – das gut genug geraten ist, um es 2018 wiederzuveröffentlichen.
Eine richtig schöne Neuausgabe ist es geworden. Schon rein als Buchobjekt, selbst wenn man es gar nicht erst aufschlägt, geschweige um es zu lesen. Dunkelgrünes grobes Leinen, an dem man die Fäden zählen kann, mit einem stilisierten Webstuhl tief dreingeprägt – beides als gestalterische Referenz an den Beruf des Leinenwebers der Hauptfigur, vielleicht auch an die englische Prachtausgabe von 1907; mal den Buchausstatter fragen –, eher voluminöses Papier, aber streichelfest und nicht die saugfähigen Wischlappen chinesischer Lizenzfreibeuter-„Verlage“ – Lesebändchen. Und damit Alexander Pechmann, der einem zum Thema Moby-Dick an jedem Eck unterläuft, ein Nachwort stiftet, muss wohl auch einiges kommen.
Das Duo der Übersetzerinnen von 1997 hat, wie sich das gehört, 2018 erneut die Köpfe zusammengesteckt und tatsächlich noch was gefunden. Das macht keinen großen Unterschied, aber einen feinen. Es folgt deshalb die betreffende Stelle im Roman und danach das Eigentliche: die Nachbemerkung der Übersetzerinnen. Damit die dergleichen für ein Buch auf drei Druckseiten stiften dürfen, muss nämlich erst recht einiges kommen.
——— George Eliot: Silas Marner: The Weaver of Raveloe1861, Part One, Chapter VI:
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——— George Eliot: Silas Marner. Der Weber von Raveloe1861, Übs. Elke Link und Sabine Roth,
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Besonders eindrucksvoll an der Verbesserung von 2018 ist das ausführlich ins Metrum geschriebene „übet“, das nicht mehr als „üb“ mit oder ohne Apostroph oder gar ersatzlos verschluckt wird und damit seinen Doppelsinn als Üben von musikalischen Fertigkeiten annehmen kann. Das geht so:
——— Elke Link und Sabine Roth:
Nachbemerkung der Übersetzerinnen
in: George Eliot: Silas Marner. Der Weber von Raveloe, ars vivendi, Cadolzburg 2018, Seite 227 bis 229:
Als wir im letzten Jahrtausend mit der Übersetzung von Silas Marner begannen, gab es das Internet noch nicht so, wie wir es heute kennen. Wir gingen in die Bayerische Staatsbibliothek. Und dann ganz schnell wieder hinaus – denn die Übersetzungen, die wir vorfanden, drohten die Suche nach unserem eigenen Ton und die Übertragung des Silas-Marner-Sounds sofort zu überlagern.
Stattdessen besuchten wir Antiquariate und die Münchner Auer Dult, um alte Wörterbücher aufzukaufen. Wir lasen in den Wörterbüchern, lasen Texte aus der Zeit. Wir tauchten in die Soziologie des ländlichen Englands ein, nicht zuletzt, um die Frage der Anreden – Er, Du, Ihr, Sie – differenziert zu entscheiden. Und um den einzelnen Personen und Gruppen zugeordneten Soziolekt und Dialekt zu spiegeln (denn in Silas Marner sprechen alle, auch die Angehörigen der Oberschicht, dialektal gefärbt), mussten wir eine Kunstsprache schaffen, die eher lautmalerisch und über den Rhythmus funktioniert als über regionale Marker. Die teils eigenwillige Zeichensetzung des Originals haben wir dabei bewusst übernommen.
Biografisches über die Autorin war uns nicht wichtig – die Frau, die als Mann schrieb, die Frau , die sieben Namen hatte, die Frau, die lang in wilder Ehe lebte und danach einen zwanzig Jahre jüngeren Mann heiratete, der sich auf der Hochzeitsreise in den Canal Grande stürzte – das alles spielte keine Rolle. Für uns zählte letztlich nur der Text, den wir zu übertragen hatten. Wir übersetzten den Text abwechselnd und lasen gegen, überarbeiteten die eigene Version, dan die der anderen, dann die Überarbeitung der Überarbeitung, waren in konstantem Austausch, bis wir den Eindruck hatten, der Text brummt wie ein Bienenvolk im Bienenhaus.
Für die Neuauflage sahen wir den Text noch einmal durch und stießen auf erstaunlich wenig, was wir nach all den Jahren ändern wollten. Eine „echte“ Verbesserung hat unsere Nachlese allerdings gebracht, und sie illustriert Chancen und Grenzen der heutigen Technik so perfekt, dass wir sie kurz kommentieren möchten. Uns war unser „Psalm“ (s. S. 61) in der Wirtshausszene plötzlich zu unpsalmenhaft erschienen – kein Wunder, denn das Original klingt ebenfalls mehr biedermännisch als biblisch: „I know what’s right, nor only so, / But also practise what I know.“ Dank Google hatten wir nun ruckzuck herausgebracht, dass es in England tatsächlich „Psalmenlieder“ gab – gereimte (und deutlich gestreckte) Nachdichtungen aus dem späten 17. Jahrhundert, die damals regelmäßig in Gebrauch waren –, und dass der von Mr Tookey zitierte Vers aus dem 106. Psalm diese Nachdichtung leicht abwandelt. Und sogar eine deutsche Entsprechung, von Ambrosius Lobwasser aus dem Jahr 1573, fand sich im Netz, die aber just an dieser Stelle so klobig ausfällt, dass kein noch so betulicher Hilfsküster sie im Munde führen würde (und in der noch dazu das Wort „üben“ fehlt, das im weiteren Verlauf wichtig wird).
Womit uns nichts übrig blieb, als selbst noch einmal neu zu dichten und den Vers so abzufassen, dass er einerseits sprechbar ist, andererseits aber auch, zumindest theoretisch, in einem Vespergottesdienst vom Chor gesungen werden könnte. Und so wurde aus unserem ursprünglichen
„Ich weiß, was sich geziemt, doch drüber ’naus
Üb ich, was ich als recht erkannt, auch aus“nicht, wie bei Lobwasser,
„Wohl dem, der die gebott Gotts hält,
Und sein thun darnach recht anstellt“und auch nicht, wie 1861 bei unserem Vorgänger Julius Frese,
„Ich weiß, was recht ist, und noch mehr:
Ich tu’s und üb es auch nachher“,sondern:
„Wohl dem, der weiß, was recht und wahr,
Und dies auch übet immerdar“,sodass der historische Zusammenhang jetzt rekonstruierbar wird, ohne dass darunter die situative Glaubwürdigkeit leidet. Ein kleines nachträgliches Tröpfchen Honig aus dem Bienenhaus von einst …
Editorische Notiz
Die Originalausgabe erschien 1861 unter dem Titel Silas Marner: The Weaver of Raveloe. George Eliot hat diese Fassung später für zwei spätere Neuausgaben durchgesehen und leicht bearbeitet. […]
Elke Link und Sabine Roth
Bilder: Buchcover bei ars vivendi, 2018;
Hugh Thomson: Silas Marner, Teil 1, Kapitel 6: The company at the ‚Rainbow.‘,
MacMillan and Co., London 1907, Seite 74;
Hugh Thomson: Silas trifft Eppie, Allegorie vor Teil I, Kapitel 1, ebenda, 1907, Seite 1.
Soundtrack: Der erwähnte Psalm 106, vertont von Heinrich Schütz:
Confitemini Domino, quoniam ipse bonus,
aus: Cantiones sacrae quatuor vocum, SWV 53-93: XXXIX, SWV 91, 1625,
Cappella Augustana & Matteo Messori, 2013:
Bonus Track: Robert Burns: Tae the Weavers Gin Ye Gang, 1788,
as rendered by The McCalmans, aus: Peace & Plenty, 1986,
mit Bildbeispielen leinenweberischer Projekte von Andy Leisk,
Chief Cook, Bottle Washer, Handweaver, und Curmudgeon, 2011: