Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Archive for März 2014

O selige Epoche

leave a comment »

Umschlag Christian Morgenstern, Galgenlieder, 1905, 3. Auflage 1908, Karl Walser via Digitales Christian-Morgenstern-ArchivChristian Morgenstern hab ich von Anfang an gemocht. Diese, obwohl sie’s andauernd mit Galgen, Sterben und Verwesen hat, um rein gar nichts bekümmerte Mischung aus Dada, Surrealismus, Im- und Expressionismus ging schon klar — das muss wohl so kommen, wenn einer Morgenstern heißt. Umso mehr, als ich gemerkt hab, dass der Mann am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat. Seine Bücher werden meistens viel zu leichtfertig verlegt: Er wird gerade mal als Lieferant einiger „komischer“ Klassiker ernst genug genommen, die im kollektiven Bewusstsein spuken; die Stuttgarter Ausgabe erscheint bei Urachhaus seit 1987 und wurde nicht einmal zum 100. Todestag fertig, nur eine Jubiläumsausgabe der Lyrik. Wird schon noch.

„Es lenzet auch auf unserm Spahn, o selige Epoche“ fällt mir unweigerlich ein, wenn schönes Wetter ist.

——— Christian Morgenstern:

Galgenbruders Frühlingslied

in: Galgenlieder, Verlag Bruno Cassirer, Berlin 1905:

Es lenzet auch auf unserm Spahn,
o selige Epoche!
Ein Hälmlein will zum Lichte nahn
aus einem Astwurmloche.

Es schaukelt bald im Winde hin
und schaukelt bald drin her.
Mir ist beinah, ich wäre wer,
der ich doch nicht mehr bin …

2. Vers, bessere Version: [1921]

Es strecket sich schon kecklings auf,
das wilde Galgengräslein.
Vergebens spähn nach ihm hinauf
hungrige Osterhäslein.

Für mein Verständnis leider zu tranig bekümmerte Vertonung:
Hanns Eisler, 1917, Mezzosopran Roswitha Trexler;
Umschlagbild von Karl Walser zur 3. veränderten und durch den Gingganz und anderes ums doppelte vermehrten Auflage, 1908 via DCMA.

Written by Wolf

31. März 2014 at 00:01

I am, I am, I am (your barefoot wench for a whole week)

leave a comment »

Barefoot Weeks in DFWuH, part 4:

——— Anne Sexton:

Barefoot

from: Love Poems, 1967:

Cover Anne Sexton, The Complete Poems. With a foreword by Maxine Kumin, Mariner Books 1999Loving me with my shoes off
means loving my long brown legs,
sweet dears, as good as spoons;
and my feet, those two children
let out to play naked. Intricate nubs,
my toes. No longer bound.
And what’s more, see toenails and
all ten stages, root by root.
All spirited and wild, this little
piggy went to market and this little piggy
stayed. Long brown legs and long brown toes.
Further up, my darling, the woman
is calling her secrets, little houses,
little tongues that tell you.

There is no one else but us
in this house on the land spit.
The sea wears a bell in its navel.
And I’m your barefoot wench for a
whole week. Do you care for salami?
No. You’d rather not have a scotch?
No. You don’t really drink. You do
drink me. The gulls kill fish,
crying out like three-year-olds.
The surf’s a narcotic, calling out,
I am, I am, I am
all night long. Barefoot,
I drum up and down your back.
In the morning I run from door to door
of the cabin playing chase me.
Now you grab me by the ankles.
Now you work your way up the legs
and come to pierce me at my hunger mark.

Amanda Pasqual By Matt Fry, Little Tokyo, Los Angeles, visiting from New York, 2013

With her shoes on: Anne Sexton: The Complete Poems.
With a foreword by Maxine Kumin, Mariner Books 1999;
Intricate-nubbed wench: Matt Fry: Amanda Pasqual in Little Tokyo, L.A., visiting from New York, 2013.

Written by Wolf

25. März 2014 at 00:01

Veröffentlicht in Ehestand & Buhlschaft, Novecento

Mit Blumen, mit verdorrten

leave a comment »

Nachträglich vorausgreifendes Update zu Angebinde:

Lieber Frühlingsanfang als Märzunruhen. Man beachte die beziehungsreichen Pflanzennamen.

——— August Freiherr von Seckendorff: ’s ist wieder März geworden, März 1848,
Erstdruck als August Dorff in: Leuchtkugeln, Verlag von Emil Roller, München, Mitte April 1849, Seite 150 f.:

Alfred Rethel, Allegorie auf die Niederschlagung der Revolution von 1848, 1849, Deutsches Historisches Museum Berlin’s ist wieder März geworden,
vom Frühling keine Spur.
Ein kalter Hauch aus Norden
erstarret rings die Flur.

’s ist wieder März geworden —
März, wie es eh’dem war:
Mit Blumen, mit verdorrten
erscheint das junge Jahr.

Mit Blumen, mit verdorrten?
O nein, doch das ist Scherz —
gar edle Blumensorten
bringt blühend uns der März.

Seht doch die Pfaffenhütchen:
den Rittersporn, wie frisch!
Von den gesternten Blütchen —
welch farbiges Gemisch!

Der März ist wohl erschienen.
Doch ward es Frühling? — Nein!
Ein Lenz kann uns nur grünen
im Freiheitssonnenschein.

Seht hier den Wütrich thronen
beim Tausendgüldenkraut,
dort jene Kaiserkronen,
die Königskerze schaut!

Wie zahlreich die Mimosen,
das Zittergras wie dicht!
Doch freilich rote Rosen,
die kamen diesmal nicht.

Bild: Alfred Rethel: Allegorie auf die Niederschlagung der Revolution von 1848, 1849,
Deutsches Historisches Museum Berlin.

Written by Wolf

21. März 2014 at 00:01

Paris Faustiens

leave a comment »

Semaines aux pieds nus en DFWuH, suite 3:

Erin Wasson, Zadig et Voltaire, 2012

J’aimerais bien être une Parisienne –
si belle, si cultivée, so prestigieuse aux quatre coins du monde,
si consciente comme tous les serendipités proviennent du Zadig Voltairien,
et comme tous les paris faustiens sont des arrangements avec Méphistophélès.

Même Erin Wasson est une Américaine,
Emily Loizeau est une Canadienne,
tandis que les Parisiennes fument des Gauloises et se risent des calembours –
ah, comme j’aimerais être une Parigote.

Pieds nus: Erin Wasson: Zadig & Voltaire, 2012 via Marlowe;
Emily Loizeau: L’Autre Bout du monde, de L’Autre Bout du monde, 2006.

Bonus Track en chaussettes: L’Italienne Carla Bruni: Quelqu’un m’a dit, de Quelqu’un m’a dit, 2002:

Written by Wolf

18. März 2014 at 00:01

Veröffentlicht in Aufklärung, Land & See

Lessing aktuell

leave a comment »

Wir lachen, wenn wir hören, daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesetzen unterworffen gewesen. Aber wir haben nicht immer Recht, wenn wir lachen. Unstreitig müssen sich die Gesetze über die Wissenschaften keine Gewalt anmaaßen; denn der Endzweck der Wissenschaften ist Wahrheit. Wahrheit ist der Seele nothwendig; und es wird Tyranney, ihr in Befriedigung dieses wesentlichen Bedürfnisses den geringsten Zwang anzuthun. Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen; und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings von dem Gesetzgeber abhangen, welche Art von Vergnügen, und in welchem Maaße er jede Art desselben verstatten will.

Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon, 1766.

Arno Schmidt by Alice Schmidt, ca. 1950, Arno Schmidt Stiftung Bargfeld

——— Arno Schmidt: Das steinerne Herz, Stahlberg, Karlsruhe 1956,
cit. Zürcher Kassette Band 4, Seite 28:

Wenn man Lessing verachten lernen will, muß man den Laokoon vornehmen : „Der Endzweck der Künste ist Vergnügen. Und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings vom Gesetzgeber abhängen, welche Art von Vergnügen er gestatten will.“ Und das ganz im tierischsten Klassikerernst : das waren ooch dolle Hähne ! !

Leider ist dieses Video in Deutschland nicht verfügbar, da es Musik enthalten könnte, für die die erforderlichen Musikrechte nicht eingeräumt wurden. Von wem, dürfen wir nach einem Prozess gegen die GEMA nicht sagen.

Das Vergnügen ist entbehrlich: Alice Schmidt ca. 1950,
Arno-Schmidt-Stiftung via Bayern 2 Radio, 15. Januar 2014;
Das tut uns leid: GameStar, 26. Februar 2014.

Written by Wolf

14. März 2014 at 00:01

Veröffentlicht in Aufklärung, Herrschaft & Revolte

We have come so far

leave a comment »

Barfußwochen (Barefoot Weeks) in DFWuH, Folge 2 (episode 2):

——— Sylvia Plath: Edge, in: Ariel, posthumous 1974,
the last poem ever written by her, 1963:

The woman is perfected
Her dead

Body wears the smile of accomplishment,
The illusion of a Greek necessity

Flows in the scrolls of her toga,
Her bare

Feet seem to be saying:
We have come so far, it is over.

Each dead child coiled, a white serpent,
One at each little

Pitcher of milk, now empty
She has folded

Them back into her body as petals
Of a rose close when the garden

Stiffens and odors bleed
From the sweet, deep throats of the night flower.

The moon has nothing to be sad about,
Staring from her hood of bone.

She is used to this sort of thing.
Her blacks crackle and drag.

Personal tribute, for English class: Edge — Sylvia Plath, 22. November 2007;
A short film for the last poem ever written by Sylvia Plath: Edge — Sylvia Plath, 18. April 2011;
Bild: Courtney Bell: Oh, Sylvia!, 6. Mai 2009.

Courtney Bell, Oh, Sylvia, 6. Mai 2009

Written by Wolf

11. März 2014 at 00:01

Veröffentlicht in Novecento, Vier letzte Dinge: Tod

Weil er ihn für einen völligen Toren hielt

leave a comment »

Unter den Anweisungen in als hilfreich dargestellten Medien herrscht ein uferloser Zynismus, der Unterschied zwischen analogen und digitalten Medien liegt nur noch in der Altersgruppe, die demoralisiert werden soll. Harmlosere Beispiele sind noch: „Keep calm and stay happy“ oder „One of the simplest ways to stay happy is letting go of the things that make you sad“, was sich von der unausgesprochenen über die offen nahegelegte Verpflichtung zu Glück weiter über ganze carnegieske Industrien bis hin zu Kunstformen, die vorgeben, wenigstens bei der Herstellung Spaß zu machen, steigert.

Wann ist das eigentlich so offensichtlich geworden? Ich hab Angst.

——— Herodot von Halikarnassos: Kroisos und Solon, Historien Buch I,30-33, ab ca. 430 v. C.,
Übs. nach Johann Christian Felix Bähr, 1855–1861:

Cover W. Béran Wolfe, How to be Happy Though Human, 1931Eben deswegen nun und auch wohl, um sich umzusehen, war Solon außer Landes gereist und nach Ägypten zu Amasis gekommen und dann auch nach Sardeis zu Kroisos. Hier wurde er nach seiner Ankunft gastlich von Kroisos in der königlichen Burg aufgenommen und dann, am dritten oder vierten Tag, führten Diener des Kroisos auf dessen Geheiß hin Solon in den Schatzkammern herum und zeigten im alles, was Großes und Herrliches da war. Nachdem Solon dies alles , so wie es ihm gelegen war, betrachtet und beschaut hatte, fragte ihn Kroisos Folgendes: „Gastfreund aus Athen! Vielfach hat man uns schon von dir erzählt, sowohl von deiner Weisheit als auch von deiner Wanderung, wie du aus Wissbegier viele Länder, um dich umzusehen, besucht hast: daher kam mir jetzt das Verlangen, dich zu fragen, ob du schon einen Menschen gesehen hast, der unter allen der glücklichste war.“ Kroisos fragte danach, weil er eben sich für den glücklichsten unter allen Menschen ansah. Weil Solon aber keineswegs schmeicheln, sondern sich an die Wahrheit halten wollte, antwortete er ihm: „O König! Den Tellos von Athen.“ Kroisos verwunderte sich sehr über diese Antwort und fragte in seinem Eifer: „Wieso glaubst du, dass Tellos der glücklichste sei?“ Der aber antwortete: „Einerseits lebte Tellos, als der Staat blühte, und hatte brave und tüchtige Söhne; er erlebte es auch, wie diesen allen Kinder geboren wurden und auch am Leben blieben; andererseits wurde ihm, während er, soweit es bei uns angeht, in glücklichen Lebensverhältnissen lebte, das glänzendste Lebensende zu Teil. Denn als die Athenern mit ihren Nachbarn bei Eleusis in Kampf geraten waren, eilte er herbei, schlug die Feinde in die Flucht und erlitt dabei den rühmlichsten Tod: die Athener bestatteten ihn auf öffentliche Kosten da, wo er gefallen war und erwiesen ihm große Ehre.“

Solon hatte durch diese Erzählung von Tellos, dessen großes Glück er pries, Kroisos noch begieriger gemacht; und so fragte er Solon, wen er denn auf dem zweiten Rang nach jenem sehe. Er dachte nämlich, er würde doch wenigstens den zweiten Preis davontragen. Aber Solon nannte Kleobis und Biton. Diese waren nämlich von Geburt Argiver, hatten hinreichend zu leben und dazu eine solche Körperkraft, dass sie beide in gleicher Weise in den Kampfspielen den Sieg davongetragen hatten. Es wird aber von ihnen auch noch Folgendes erzählt: Bei einem Fest, das die Argiver der Hera feierten, musste ihre Mutter unbedingt auf einem Wagen zum Heiligtum gebracht werden. Als nun die Rinder nicht zur rechten Zeit vom Feld eintrafen, spannten sich die Jünglinge von der Zeit gedrängt selbst an die Deichsel und zogen den Wagen, auf dem ihre Mutter fuhr. So brachten sie ihre Mutter eine Strecke von fünfundvierzig Stadien im Wagen zum Heiligtum. Nachdem sie dieses vollbracht hatten und von der Festversammlung erblickt worden waren, wurde ihnen das beste Lebensende zu Teil, und es zeigte an ihnen die Gottheit, dass es für den Menschen besser sei, tot zu sein als zu leben. Die umstehenden Argiver priesen nämlich die Stärke der Jünglinge, die Argiverinnen aber ihre Mutter, weil sie solche Kinder hatte. Da trat die Mutter voll Freude über die Tat und über diese Ruhmesworte vor das Götterbild und flehte, die Göttin möge ihren Kindern Kleobis und Biton, die ihr so große Ehre erwiesen hatten, das gewähren, was für den Menschen zu erlangen am besten sei. Als man nach diesem Gebet das Opfer dargebracht und Festschmaus gehalten hatte, schliefen die Jünglinge im Tempel ein und standen nicht mehr auf, sondern verblieben in diesem Ende ihres Lebens. Die Argiver aber ließen ihnen Bildsäulen fertigen und weihten sie nach Delphi, weil sie so treffliche Männer geworden waren.

Diesen nun erkannte Solon den zweiten Preis des irdischen Glücks zu; Kroisos aber wurde aufgebracht und sprach: „Gastfreund aus Athen, gilt dir denn unser Glück für gar nichts, so dass du uns nicht einmal gewöhnlichen Bürgern gleich achtest? Da erwiderte Solon: „O Kroisos! Mich der ich wohl weiß, wie die Gottheit durchaus von Neid und Unruhe erfüllt ist, fragst du über menschliche Dinge. In der langen Zeit eines Lebens gibt es vieles zu sehen, was man nicht will, vieles aber auch zu ertragen; ich setze nämlich die Grenze des Lebens auf siebzig Jahre; diese siebzig Jahre machen fünfundzwanzigtausend und zweihundert Tage, wenn kein Schaltmonat eingerechnet wird. Insofern nun aber ein Jahr um einen Monat länger sein soll als das andere, damit die Jahreszeiten zur gehörigen Zeit eintreffen, kommen zu den siebzig Jahren noch fünfunddreißig Schaltmonate hinzu, und aus diesen Monaten ergeben sich tausend und fünfzig Tage. Von all diesen Tagen, die auf die siebzig Jahre gehen, sechsundzwanzigtausend zweihundertundfünfzig, bringt kein Tag ein dem anderen völlig gleiches Ereignis; so also, o Kroisos, ist der Mensch ganz ein Spiel des Zufalls. Allerdings scheinst du mir im Besitz großen Reichtums zu sein und ein König über viele Menschen. Das aber, wonach du mich fragst, kann ich dir nicht angeben, bevor ich erfahren habe, dass dein Leben glücklich geendet hat. Denn fürwahr ist derjenige, der in großem Reichtum steht, darum nicht glücklicher als derjenige, der nur sein tägliches Brot zu essen hat, wenn ihm nicht ein Glück zu Teil wird, im Besitz all dieser Güter sein Leben wohl zu enden. Viele Menschen, die sehr reich sind, sind darum nicht glücklich; viele aber, die nur mäßig zu leben haben, sind glücklich. Derjenige nun, der sehr reich, aber unglücklich ist, hat vor dem Glücklichen nur zwei Dinge voraus, dieser aber vor dem Reichen und Unglücklichen gar vieles. Jener ist nämlich eher im Stande, seine Gelüste zu befriedigen und ein großes Unglück, das ihn trifft, zu ertragen; der andere aber hat das vor ihm voraus, dass er zwar nicht wie jener auf gleiche Weise ein Unglück ertragen und seine Gelüste befriedigen kann, aber durch sein Wohlbefinden davor bewahrt ist: er hat gesunde Glieder, ist ohne Krankheit und kennt kein Leid; er hat schöne Kinder und selbst eine schöne Gestalt. Wenn er nun überdies noch sein Leben wohl endet, so ist er eben derjenige, den du suchst, und verdient den Namen eines Glücklichen. Bevor er aber gestorben ist, soll man sein Urteil zurückhalten und ihn nicht glücklich nennen, sondern nur von ihm sagen, es gehe ihm gut. Nun ist es zwar für einen Menschen nicht möglich, dies alles zusammen zu erlangen, gerade wie es ja auch kein Land gibt, das sich selbst in allem genügt, sondern das eine hat und des anderen bedarf; dasjenige Land aber, das das meiste besitzt, gilt für das beste: ebenso kann auch des Menschen Leib sich allein nicht genügen, denn das eine hat er und des anderen bedarf er. Wer nun aber dauernd das meiste besitzt und dann guten Mutes sein Leben endet, der verdient, o König, nach meinem Ermessen zu Recht den Namen des Glücklichen. Denn bei jedem Ding muss man auf das Ende sehen, welchen Ausgang es nimmt: schon manchem hat die Gottheit das Glück nur gezeigt, um ihn dann von Grund auf zu vernichten.“

Diese Rede des Solon gefiel Kroisos gar nicht; er nahm daher auf Solon weiter keine Rücksicht und entließ ihn, weil er ihn für einen völligen Toren hielt, der die Güter der Gegenwart nicht beachte, sondern ihn auffordere, auf das Ende eines jeden Dinges zu sehen.

Soundtrack: Nana Mouskouri: Glück ist wie ein Schmetterling, 1977 nach Dolly Parton, 1974.
Das Fanvideo ist für eine Laienparodie ungewöhnlich aufwändig organsisiert, dabei schlicht durchgehalten. Wir beobachten darin nicht Frau Mouskouri, aber der Sound ist das Original. Das Beste ist die penetrante Beiläufigkeit des Schildes „Tür schließt automatisch“.

Bild: Cover W. Béran Wolfe: How to be Happy Though Human, 1931 via The Literary Gift Company.

Written by Wolf

7. März 2014 at 00:01

Wer fühlt den Krampf der Freuden und der Schmerzen nicht

leave a comment »

Update zu Barfußläufte und zum Weekly Wanderer 0008:

Ach komm, ist doch Frühling. Machen wir eine Gaudi: Ab sofort sind ein paar Barfußwochen auf DFWuH! Keine Angst, es wird recht tiefgehend; der April wird sowieso den 450 Jahren Shakespeare gehören müssen, und im Mai machen wir dann wieder was Gescheites. — Folge 1:

——— Eduard Mörike: An Moritz von Schwind, 1867:

Moritz von Schwind, Das Märchen von den sieben Raben. Der Prinz und seine Braut, 1858Ich sah mir deine Bilder einmal wieder an
Von jener treuen Schwester, die im hohlen Baum,
Den schönen Leib mit ihrem Goldhaar deckend, saß
Und spann und sieben lange Jahre schwieg und spann,
Die Brüder zu erlösen, die der Mutter Fluch
Als Raben, sieben Raben, hungrig trieb vom Haus.
Ein Kindermärchen, darin du die Blume doch
Erkanntest alles menschlich Schönen auf der Welt.

Von Blatt zu Blatt, nicht rascher als ein weiser Mann
Wonnige Becher, einen nach dem andern, schlürft,
Sog ich die Fülle deines Geistes ein und kam,
Aus sonnenheller Tage Glanz und Lieblichkeit
In Kerkernacht hinabgeführt von dir, zuletzt
Beim Holzstoß an, wo die Verschwiegne voller Schmach
Die Fürstin, ach, gebunden steht am Feuerpfahl:
Da jagt’s einher, da stürmt es durch den Eichenwald:
Milchweiße Rosse, lang die Hälse vorgestreckt,
Und, gleich wie sie, die Reiter selber atemlos –
Sie sinds! Die schönen Knaben all und Jünglinge!
Ah, welch ein Schauspiel! – Doch was red ich dir davon?
„Hier“, sagte lachend neulich ein entzückter Freund,
Ein Musiker, „zieht Meister Schwind zum Schlusse noch
Alle Register auf einmal, daß einem das Herz
Im Leibe schüttert, jauchzt und bangt vor solcher Pracht!“

– Wenn dort, ein rosig Zwillingspaar auf ihrem Schoß,
Die Retterin auftaucht und der Ärmsten Jammerblick
Sich himmlisch lichtet, während hier der König, sich
Auf das Scheitergerüste stürzend, hingeschmiegt das Haupt,
Die nackten Füße seines Weibes hold umfängt.
Wer fühlt den Krampf der Freuden und der Schmerzen nicht
In aller Busen staunend mit? Und doch zugleich
Wer lächelt nicht, wenn seitwärts dort im Hintergrund,
Vom Jubelruf des Volks erstickt, ein Stimmchen hell
Sich hören läßt, des Jüngsten von den sieben, der
Als letzter kommt geritten, mit dem einen Arm
Noch fest im Rabenflügel, auf die Schwester zu!
– Genug und schon zu viel der Worte, Teuerster!

Ich knüpfte seufzend endlich meine Mappe zu,
Saß da und hing den Kopf. – Warum? Gesteh‘ ich dir
Die große Torheit? Jene alte Grille war’s,
Die lebenslang mir mit der Klage liegt im Ohr,
Daß ich nicht Maler werden durfte. Maler, ja!
Und freilich keinen gar viel schlechteren als dich,
Dacht‘ ich dabei. Du lachst mit Recht. Doch wisse nun:
Aus solchem Traumwahn freundlich mich zu schütteln, traf,
O Wunder! deine zweite Sendung unversehns
Am gleichen Morgen bei mir ein! – Du lässest mich,
O Freund, was mir für mein bescheiden Teil an Kunst
Gegeben ward, in deinem reinen Spiegel sehn:
Und wie! – Davon schweig ich für heut. Nur dieses noch:
Den alten Sparren bin ich los für alle Zeit,
So dünkt es mich, – es wäre denn, daß mir sofort
Der böse Geist einflüsterte, dies Neuste hier
Sei meine Arbeit lediglich: die Knospe brach
Mit einemmal zur vollen Rose auf – man ist
Der großen Künstler einer worden über Nacht.

Die in der vierten Strophe erwähnte „zweite Sendung“ bestand in drei Sepiazeichnungen zu Mörikes Gedichten: Ach nur einmal noch im Leben, Märchen vom sichern Mann und Erzengels Michaels Feder.

Moritz von Schwind, Das Märchen von den sieben Raben. Der Prinz findet die treue Schwester in einem hohlen Baume, holt sie herab und führt sie auf sein Schloß, 1858

Barfußbilder: Moritz von Schwind: Das Märchen von den sieben Raben: Der Prinz und seine Braut;
Der Prinz findet die treue Schwester in einem hohlen Baume, holt sie herab und führt sie auf sein Schloß, beide 1858 via Goethezeitportal, September 2010.

Written by Wolf

4. März 2014 at 00:01

Veröffentlicht in Romantik

Frühlingsreigen Buranum

leave a comment »

Update zu Meteorologischer Frühlingsbeginn:

Tree-hugging dirt worshipper

——— Carmina Burana: 167a, überliefert um 1230:

Swaz hie gât umbe,
daz sint allez megede,
die wellent ân man
allen disen sumer gân.

——— Carmina Burana: 167a:

Was sich hier im Reigen dreht,
das sind alles Mädchen,
die wollen ohne Mann
den ganzen Sommer im Tanze gehen.

Study from The Model, 1925 via Dreams N Fantasies

Nicht einmal im Mittelalter — gerade nicht im Mittelalter — waren Frauen und Mädchen, für die Männer ein Lebensthema geworden sind, wahnsinnig genug, mit voller Absicht auf Zeit ohne Männer auszukommen: Es drohten Ächtung, Prostitution, Verarmung.

Die vier paarweise assonierenden Vierheber stehen im Codex Buranus in der Gruppe der Liebeslieder am Ende eines Liedes, mit dem sie sonst nichts verbindet: weder die Sprache (Latein), die Form noch der Inhalt. Darum ist das vermutlich ein brauchtümliches Tanzlied, das von Männern als Spottlied gesungen wurde, sich aber keinesfalls im Ernst auf weibliche Lebensentwürfe auswirkte. Möglicherweise ist es auch nur eine schlichte Ansage zum Festtanz, die sich dann auch von Frauen singen lässt.

Immerhin deuten die Freiheiten in der Reimgestaltung auf eine frühe Entstehungszeit — innerhalb der Carmina Burana also eher 11. als 13. Jahrhundert. Wenn man die Übersetzungen von Margherita Kuhn und Hugo Kuhn miteinander verheiratet, bekommt man eine richtig schöne Version und kann darüber nachsinnen, ob die beiden Übersetzer ebenfalls miteinander verheiratet sind oder seit wie vielen Sommern sie sich in ihren respektiven Reigen drehen.

Veruk, Nailas en Butoh, 4. August 2007

Fachliteratur: Max Ittenbach: Der frühe deutsche Minnesang. Strophenfügung und Dichtersprache,
Max Niemeyer Verlag, Halle an der Saale 1939, Seite 185 f.

Megede: Tree-hugging dirt worshipper;
Dreams N Fantasies: Studie The Model, 1925;
Veruk: Nailas en Butoh, 4. August 2007.

Soundtrack: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch: Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67, IV.: Allegretto, 1944.
Die Carmina Burana von Carl Orff wären an dieser Stelle zu pompös und zu naheliegend.

Written by Wolf

1. März 2014 at 00:01