Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Archive for März 2017

Nachtstück 0007: Gespräch mit einem frischerstandenen Vampyren (was niemand hören wollte)

leave a comment »

Johann Heinrich Füssli, Der Nachtmahr, 1781, Filmic Artifacts, Tumblr, 27. November 2015

Update zum Nachtstück 0006: Nachtstück 0006: Sie fielen alle über mich her, da dacht‘ ich: nun so hört zu und zu den vier unbekannten Mengen
nach Idee, Vorschlag und Motiven unseres Lesers Thomas Faulhaber

mit Bildmaterial nach Johann Heinrich Füssli: Der Nachtmahr, 1781:

Borgman, Alex van Warmerdam, 2013, Filmic Artifacts, Tumblr, 27. November 2015

——— Faust 1, Zueignung, Vers 17 ff.:

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Verklungen ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

——— Faust 2, Weitläufiger Saal, mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz, Vers 5295 ff.:

Satyriker.
Wißt ihr was mich Poeten
Erst recht erfreuen sollte?
Dürft ich singen und reden
Was niemand hören wollte.

(Die Nacht- und Grabdichter lassen sich entschuldigen, weil sie so eben im interessantesten Gespräch mit einem frischerstandenen Vampyren begriffen seyen, woraus eine neue Dichtart sich vielleicht entwickeln könnte; der Herold muß es gelten lassen und ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.)

Vampyr, Carl Th. Dreyer, 1932, Filmic Artifacts, Tumblr, 27. November 2015

Soundtrack: Anton Bruckner: Nullte Symphonie, WAB 100, 1869,
besonders der 2. Satz: Andante:

, Filmic Artifacts, Tumblr, 27. November 2015

Frischerstandene Vampyre:

  1. Johann Heinrich Füssli: Der Nachtmahr, 1781;
  2. Alex van Warmerdam: Borgman, 2013;
  3. Carl Theodor Dreyer: Vampyr – Der Traum des Allan Gray, 1932;
  4. James Whale: Frankenstein, 1931;
  5. Ken Russell: Gothic, 1986.

Ken Russell, Gorhic, 1986, Filmic Artifacts, Tumblr, 27. November 2015

Written by Wolf

30. März 2017 at 00:01

Lache, liebez frowelîn

leave a comment »

Update zum weiland Weekly Wanderer 4:
Anneliese Braun: Goethe auf dem Kickelhahn bei Ilmenau:

——— Des Minnesangs Frühling 6,14; 6,20; 6,26,
Männerlied um 1200, falsche Zuschreibung an Walter von Mezze, anonym:

Der walt in grüener varwe stât

Der walt in grüener varwe stât.
wol der wunneclîchen zît!
mîner sorgen wirdet rât.
sælic sî daz beste wîp,
diu mich trœstet sunder spot.
ich bin frô, dêst ir gebot.

Ein winken und ein umbesehen
wart mir, dô ich si nâhest sach.
dâ moht anders niht geschehen,
wan daz so minneclîche sprach:
„vriunt, du wis vil hôchgemuot!“
wie sanfte daz mînem herzen tuot!

„Ich wil weinen von dir hân“,
sprach daz aller beste wîp,
„schiere soltu mich enpfân
unde trôsten mînen lîp.“
swie du wilt, sô wil ich sîn,
lache, liebez frowelîn.

Der Wald ist grün geworden

Der Wald ist grün geworden.
Oh, welch herrliche Zeit!
Von meinem Leid werd‘ ich befreit.
Gesegnet sei die beste der Frauen,
die mich wirklich tröstet.
Ich bin froh. Sie will es so.

Sie winkte und schaute zurück:
Das geschah, als ich sie jüngst sah.
Da konnte es nicht anders sein,
als daß sie liebevoll sagte:
„Liebster, sei du ganz hoffnungsfroh!“
Wie wohl das meinem Herzen tut!

„Ich will deinetwegen weinen“,
sagte die allerbeste Frau,
„damit du mich schnell in die Arme nehmen
und mich trösten kannst.“
Wie du es willst, so will ich sein,
lache, liebe kleine Frau.

Franziska meint: „Hui, das ist ja echt schön, Mensch. Wirklich Hochmittelalter?“

„Aber hallo. Kreuzgereimt mit Paarreim am Ende, wie als Refrain, dreimal durchgehalten. Richtig elaboriert. Du hast recht, so eine Stringenz wäre eigentlich erst kurz nachher ab Reinmar dem Alten dran.“

„Reinmar, Reinmar … Schon gehört, oder?“

„Nein, nicht der von Zweter. Übrigens auch nicht der von Brennenberg.“

„So wie Richard Wagner nicht gleich Richard Wagner ist.“

„Verachtet mir die Meister nicht und lobt mir ihre Werke.“

„Das ist schon Neuzeit.“

„Und erst in der Romantik formuliert und vertont.“

„Und außerdem falsch zitiert.“

„Sag bloß.“

„Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst, wenn schon.“

„Kluges Kind.“

„Mediävist.“

„Vorsicht.“

Frances McClain, candid, mid-laugh, 21. Februar 2012

Lachendes Frowelîn: Frances McClain: Hey Look, I’m Smiling (candid, mid-laugh), 13-, aber mit Mutterns Lippenstift so gut wie volljährig, nach ihren Angaben ein echter Schnappschuss, 21. Februar 2012;
Soundtrack: Richard Wagner featuring Bernd Weikl: Die Meistersinger von Nürnberg, 1868,
Finale, Bayreuther Festspiele 1984:

Bonus Track mit mehr walt in grüener varwe: Faun: Federkleid, aus: Midgard, 2016
(natürlich schlimmer Mittelalterkitsch, aber wer mir von weitem eine Drehleier zeigt, kann mir alles vorspielen):

Written by Wolf

23. März 2017 at 00:01

Diu minne minnesam und die lieben passiv-aggressiven Lieben

leave a comment »

Update zu Dein pöschelochter roter mund:

——— Des Minnesangs Frühling 3,17,
Handschrift C (Codex Manesse), frühe Frauenstrophe, ca. 1160:

Mich dunket niht sô guotes

Mich dunket niht sô guotes     noch sô lobesam
sô diu liehte rôse     und diu minne minnesam.
diu kleinen vogellîn
diu singent in dem walde,     dêst manigem herzen liep.
mir enkome mîn holder geselle,     in hân der sumer wunne niet.

Mir scheint nichts so gut

Mir scheint nichts so gut     noch so des Lobes wert
wie die leuchtende Rose     und die liebe Liebe.
Die kleinen Vögel,
die singen im Wald,     das erfreut viele Herzen.
Wenn nicht mein Liebster kommt,     habe ich nicht teil an der Sommerfreude.

Katelyn by Sarah Lillian, Ankle Deep in Spring, 27. April 2011Katelyn meint: „Dauert das noch? Ich sitz hier knietief in Winterstiefeln zu deinem Frühlingskleidchen von der Vogelweide.“

„Zieh doch aus.“

„Ja, sofort. Witzig. Erzähl noch einen.“

„Später vielleicht. Der Bildausschnitt auf die Entfernung is‘ kein Kränzchenwinden.“

„Modellsitzen auch nicht.“

„Kannst du mal eine hundertfünfundzwanzigstel Sekunde lang so tun, als ob dir das Buch gefällt?“

„Die muffige Schwarte? Müsste es?“

„Wär besser für dich, das wird dein Honorar.“

„Aha. Heißt das, ich darf wenigstens umblättern?“

*

Lydia, 9. April 2011Lydia meint: „Dauert das noch?“

„Schon steifgesessen?“

„Ich hab dir die Idee geschenkt und zieh das jetzt durch mit dir, aber in echt ist das noch gar kein Wetter zum Barfußlaufen, sag mal selber.“

„Ich merk’s. Sei du froh, dass du so nicht rumrennen musst. Ich muss ja, aber die einzelnen Steinchen pieksen elendig. Und schau dir mal meinen T-Shirtbauch an.“

„Eine Runde Mitleid. Darf ich wenigstens umblättern?“

„Models. Nächstes Mal knips ich wieder Sukkulenten.“

„Au ja, aber diesmal lustige.“

*

BIlder: Katelyn by Sarah Lillian: Ankle Deep in Spring 27. April 2011;
Lydia, 9. April 2011.

Soundtrack 1: diu minne minnesam: Ougenweide: Willkommen, live 1976,
nach Walther von der Vogelweide: Ir sult sprechen willekomen, Ende 13. Jahrhundert:

Soundtrack 2: diu liehte rôse:

Carson Sage & the Black Riders: Red is the Rose,
aus: Skirl o’Carson, 1991; Walk With an Erection, 1993:

Written by Wolf

16. März 2017 at 00:01

Quis me amabit? (Wer sol mich minnen?)

leave a comment »

Update zu Mit Blumen, mit verdorrten:

——— Carmina Burana, 149,I–II:

I     Floret silva nobilis

Floret silva nobilis
floribus et foliis.
ubi est antiquus
meus amicus?
hinc equitavit.
eia! quis me amabit?

Floret silva undique,
nâch mîme gesellen ist mir wê!

*

II     Gruonet der walt allenthalben

Gruonet der walt allenthalben.
wâ ist mîn geselle alse lange?
der ist geriten hinnen.
owî, wer sol mich minnen?

——— Carmina Burana, 149,I–II:

I     Der Wald schmückt sich reich

Der Wald schmückt sich reich
mit Blüten und mit Blättern.
Wo ist mein
Freund von einst?
Er ist weggeritten.
Ach, wer wird mich lieben?

Der Wald schmückt sich überall,
nach meinem Liebsten ist mir weh!

*

II     Es grünt der Wald allüberall

Es grünt der Wald allüberall.
Wo bleibt mein Liebster so lange?
Er ist fortgeritten.
O weh, wer wird mich lieben?

The Miss Cullen, make love not war XXXVI, 26. Januar 2014

Ola meint: „Huhuhu, nun ist er davongeritten! Huhuhu, nun stehe ich in dem Walde und werde nie wieder einen Mann treffen! So gehen eure Frühlingslieder? Sag mal, ist das normal bei euch Deutschen?“

BIld: Ola „The Miss Cullen“ Gajdosz: make love not war XXXVI, 26. Januar 2014.

Bonus Track, weil Musik ja auch irgendwie Spaß machen soll:
Zupfgeigenhansel: Deutschland, was im März errungen,
aus: Volkslieder III (Im Krug zum Grünen Kranze), 1978 zur Feier der Märzrevolution 1848:

Written by Wolf

9. März 2017 at 00:01

Me no worry

leave a comment »

Friedrich Schiff, Maskee. A Shanghai Sketchbook, ca. 1940, Cover

——— Friedrich Schiff:

Miss Shanghai

aus: Maskee. A Shanghai Sketchbook, Shanghai, Privatdruck um 1940:

Me no worry — me no care!
Me go marry millionaire!
If he die — me no cry!
Me go marry other guy!!

„Maskee“ heißt „never mind“.

Friedrich Schiff, Maskee. A Shanghai Sketchbook, ca. 1940, Miss Shanghai

Looks via Bauman Rare Books, New York; Rare Oriental Books, Aptos, California.

Bonus Track: Zhou Xuan, Ruan Lingyu: Ye Shang Hai, aus: Nightlife in Shanghai, ca. 1938:

Written by Wolf

8. März 2017 at 01:44

Veröffentlicht in Handel & Wandel, Novecento

Wære diu werlt alle mîn

leave a comment »

Update zu Frühlingsreigen Buranum:

——— Carmina Burana, 145,7; 175,6:

I     Wære diu werlt alle mîn

Wære diu werlt alle mîn
ven deme mere unze an den Rîn,
des wolt ich mich darben,
daz kunic von Engellant
læge an mînem arme.

*

II     Tougen minne diu ist guot

Tougen minne diu ist guot
si kan geben hôhen muot.
der sol man sich vlîzen.
swer mit triwen der niht pfliget,
deme sol man daz wîzen.

——— Carmina Burana, 145,7; 175,6:

I     Wäre die ganze Welt mein

Wäre die ganze Welt mein
vom Meer bis an den Rhein,
das gäb ich dafür hin,
daß der König von England
in meinem Arm läge.

*

II     Heimliche Liebe ist herrlich

Heimliche Liebe ist herrlich,
sie erhebt freudig das Herz.
Um die soll man sich bemühen.
Wer sie nicht beständig pflegt,
den soll man dafür tadeln.

El Erotismo de las Bibliotecas

BIld: Janina im damals 2. Semester Englische Philologie auf Magister Artium, WS 2010/2011 via El Erotismo de las Bibliotecas, 15. November 2016: „Die reden sich leicht in Benediktbeuern. Wenn mir die ganze Welt bis an den Rhein gehören würde, könnt ich mich auch grade noch zusammenreißen, mit dem König von England was anzufangen“;
Soundtrack: 5° G Liceo Artistico Michelangelo Guggenheim, Venezia:
Three different ways of Carl Orff: Were diu werlt alle min, 2015:

Bonus Track: Virginia Jetzt!: Mein Sein, 2002, in: Wer hat Angst vor Virginia Jetzt!, 2003;
Video von Benjamin „Nichts bereuen“ Quabeck mit Jung-Julia „Absolute Giganten“ Hummer:

Written by Wolf

2. März 2017 at 00:01