Archive for Februar 2014
Ein kleines Helles für Elke
Update (kein Überschreiben mehr möglich) zum Valentinsgewinnspiel:
Die Entscheidung fiel ausnahmsweise leicht: Die Hochhaushex Elke gewinnt alles — für ihr Lyrikfestival von Kommentar:
Ich finds ja eine überaus anrührende Idee, den Weg übern Hinterhof zu einem Lyrik-Kabinett (hach, dass es sowas gibt!) mit Gedichtfetzen auf Schilderbildern zu pflastern. Man könnt’ das einen hübschen kleinen Trampelpfad zwischen Poesie und RealPoesie nennen – wie zielführend wohin Gedichte immer sein mögen.
Uiii … aber aus der Fülle sich sein Lieblings-Versfitzelchen herauspicken, das ist schwer.
Der Haus- und Hof-Heine samt seiner alten Weise vom Jehuda Ben Halevy aus den Hebräischen Gesängen, mit dem
„Bei den Wassern Babels saßen
Wir und weinten, unsre Harfen
Lehnten an den Trauerweiden“ –
Kennst du noch das alte Lied?ist eh schon Lieblings-Sowieso. Erst recht für mich altes Synäst(h)ierchen: das singt und malt und schmeckt sich seine Heine-Liedln.
Die Priamel-Ode der großen Sappho von Lesbos wiederum
Ein heer von reitern
so sagen die einen
fußvolk andere
schiffe noch andere
ist auf der schwarzen erde
das köstlichste
ich aber sage
das was man lieb hat
brilliert in ihrer ganzen Schlichtheit mit einem so recht zielführenden valentinischen Schlussvers. Vor allem, wenn man sich dazumalt, in welcher Schönheit selbige zu Bette ging. Und glauben will, dass die um 600 v. Chr. keine Propaganda in ihrem poetischen Sinn hatte. Oder doch?
Mögen kann man auch den Ausriss “fiel auf eine Rose vieler Regen”, drum hab ich dem nachgekramt. Dem münchenverhafteten Lyriker Konrad Weiß, dem nie der entscheidende Durchbruch gelang und der dennoch wahrscheinlich zu Unrecht vergessen ist, kann ich (auch wenn man seine politischen Haltungen ja nicht teilen muss) durchaus was abgewinnen. Sein Gedicht
Während wir uns schlugen auf den Wegen,
Wort um Worte rührten,
was die Worte wollten, tiefer spürten,
während wir dem Sinn entgegen
uns durch wache Wildnis trugen,
um ein schlafend Bild umsonst doch Worte
wacher schickend nur sein Schlafen schürten,
und von Ort zu Orte
horchten und die Zungen in uns schlugen,fiel auf eine Rose vieler Regen.
aus dem der Versfetzen stammt, hat auch irgendwie was Wildes und einschlägig Zielführendes in sich, wie ich finde. Und hier merkt man auch wieder, was das Schöne an Gedichten ist: dass der ganz eigene Lesende sich sein ganz Eigenes hineindeuten kann, wenn er mag. Denn wer würde vermuten, dass, wie von Weiß-Kennern verlautbart, der Titel dieses in seinem letzten 1939 veröffentlichten Lyrik-Band Das Sinnreich der Erde enthaltenen Verswerks ursprünglich “Sinnbild der Geschichte” lauten und somit wohl weit Monumentaleres als valentinische Leidenschaften beinhalten sollte.
Das “Vieles bleibt ohnehin in der Schwebe” ist zur Abwechslung mal von einem noch Lebenden – der sogar dieses Sprüchlein irgendwie lebt: vom Mache-sich-jeder-seinen-eigenen-Reim-auf-den-Enzensberger. Vielschreiber, Ex-Nürnberger und Wahl-München-Schwabinger, der in Erlangen studiert hat. Und zwar aus dem Titel-Gedicht seines Leichter als Luft – Moralische Gedichte, erschienen bei Suhrkamp 1999. Besonders mag ich in dem ja die letzte Zeile (und die vorletzte) in der vierten Strophe – denn wer wöllte wohl bestreiten, dass ausnahmslos alle Walzerklänge (und Heiligenscheine) leichter als Luft sind.
Ein Fitzelchen muss ich noch, obwohl das hier schon wieder zum Co-Referat ausufert: das erste auf dem vierten Schilderbild, wieder so’n synästhetisches. In dem fehlt ein kleines aber wichtiges Wörtlein. Es muss nämlich heißen:
Ich färbte dir den Himmel brombeer
Mit meinem Herzblut.und ist von Else Lasker-Schüler, aus einem ihrer leidenschaftlichen Abschied-Liebesgedichte, an Gottfried Benn, glaub ich. Der Kafka hat sie nicht gemocht, die Lasker-Schüler, aber schließlich hat sie in meinem dienstlichen Nachbarhaus, dem Hotel “Sachsenhof” in Schöneberg, gewohnt und eigentlich wollt ich die sogar bloggen, weil sie vor ein paar Tagen einen so halbrunden Geburtstag hatte – man will doch seine künstlerischen Nebenmieter ein bissl hätscheln.
Nu is aber Schluss. — Was ich noch sagen wollt: Das Tom Waitssche Luftballon-Mashup-Duett ist wirklich voll süüüß. Ich tanz den ganzen long way home.
Das ist eine ausgewachsene wundervolle Wundertüte mit Büchern wert. Keine Angst, es sind nicht noch mehr Gedichte dabei, dafür das Nibelungenlied (okay, das ist in gebundener Rede — aber episch), der Simplicissimus und das Heptameron. Das Paket geht raus, sobald ich einen passenden Karton aufgetrieben hab und zur Post komm.
Bild: Marc-Charles-Gabriel Gleyre: Le Coucher de Sappho, 1867, Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne.
Und als postvalentinischen Bonus-Track für uns alle gibt’s noch das Wunderlied auf die Ohren: das putzigste aller Liebeslieder, ohne albern zu werden. Das ist aus Sommer in Orange von Marcus „Rosi“ H. Rosenmüller 2011, geschrieben von Gerd Baumann, dessen Stammfilmmusiker, der vielleicht doch ein ganz und gar unterschätzter Liedermacher für alle Gelegenheiten ist.
So schreitet in dem engen Bretterhaus den ganzen Kreis der Schöpfung aus
Update zu Der kluge Narr flüchtet vor der Inflation in die Sachwerte
und Mein Lied ertönt der unbekannten Menge:
Besonders aber laßt genug geschehn!
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Deutschland besteht seit jeher in der Hauptsache nicht aus seinen paar Metropolen, sondern aus der ganzen Provinz dazwischen. Goethe wusste das, und die Provinz weiß das. Deshalb macht kein hochrenommiertes Nationaltheater das am größten angelegte, dabei sinnvollste und bewegendste Faust-Projekt der letzten und voraussichtlich der nächsten Dekaden, sondern die Rudolf-Steiner-Schule Ismaning: das FAUST-Festival Ismaning 2014.
Beteiligt sind sechs Schulklassen, nicht alle aus Ismaning, die Spielorte für Aufführungen und angeschlossene Expertenvorträge sind je nach Bedürfnis verteilt — es ist also nicht ganz einfach, sich zwischen dem 22. und 28. Februar in Ismaning zurechtzufinden. Betrachten wir es als Teil des Konzepts: Faust verlangt denkende Zuschauer — und versuchen es nicht besser zu formulieren als die Veranstalter selbst:
Sechs 12. Klassen von sechs Waldorfschulen aus ganz Deutschland spielen jeweils einen der Parts des Monumentalwerks (FAUST I und die fünf Akte des FAUST II) und führen ihn in dem großen Festsaal der Rudolf-Steiner-Schule Ismaning an direkt aufeinander folgenden Tagen zwei Mal auf. Einmal abends für die Öffentlichkeit und einmal vormittags ebenfalls für die Öffentlichkeit, aber auch für Schulklassen.
Begleitend gibt es Einführungen in die einzelnen Akte von FAUST II sowie drei große Themenvorträge über Wissenschaft, Kunst und Ökonomie in Goethes FAUST.
Die Aufführung des ganzen FAUST im Rahmen eines Gesamtkonzepts von sechs verschiedenen Inszenierungen lässt der Kreativität der beteiligten Klassen künstlerischen und interpretatorischen Spielraum – eine außergewöhnlich innovative Art der Umsetzung.
Jedenfalls nehmen sie das Projekt in seiner Größe und Bedeutung angemessen ernst. Wie der Weblog lehrt, läuft der Vorverkauf gut. Die ganze Unternehmung ist so groß wie der Faust selbst, da können Sie jeden Zwölftklässler fragen, die Anreise naturgemäß ein Unterfangen für sich. Nach Ismaning fährt die Münchner S-Bahn, ab dort gibt es Bus-Shuttle
Die Wölfin, begeistert wie immer von allem, was mich interessiert, meint. „Zwölfte Klassen?! Ist das nicht eine Liga unter dir?“
Nein, ich werde schon nicht eine Woche lang täglich nach Ismaning rauspendeln, um wechselnden Steiner-Gymnasiasten beim Chargieren zuzuschauen — aber ich find’s toll, dass in manchen Schulen doch noch was Gescheites gelernt wird.
Foto: Veranstalter.
Valentinsgewinnspiel: Ich bin nichts Offizielles (geschlossen)
Als Organ für zeitlose Belange sollte DFWuH der Weltbumstag egal sein. Als Habe-nun-Ach für angewandte Poesie aber nicht: Verschenkt man doch am Valentinstag gemeinhin die abgeschnittenen Leichen von Blumen, sehr viel zielführender — hin auf eine gemeinsame Lotterstätte nämlich — Gedichte.
Sinnvoller war das Lyrik-Kabinett noch nie: Man verzeichnet dort etwa sieben Besucher am Tag, hat also seine Ruhe. Wenn man schon mal reinkommt, sollte man das überragende Arbeitsethos und die Kompetenz der anwesenden Stiftungsmitarbeiter fleißig nutzen und nicht bloß lustlos durchblättern, was so rumliegt. Sie sind dort großzügig mit dem Kaffee und vor allem: Man lernt wirklich jedes Mal was. Bei den abstrusen Öffnungszeiten passiert es einem schlimmstenfalls, dass man um 18 Uhr entweder hinausgebeten wird oder in eine Dichterlesung hineingerät, also kein Schaden.
Dokumentiert gehörten schon längst mal die Schilder im Durchgang zum Hinterhof der Amalienstraße 83a, in dem man zum Lyrik-Kabinett gelangt. Und weil wir alle zum Valentinstag ein Gedicht verschenken wollen, aber niemand anderem als unserem eigenen Lotterpartner, verschenke ich ganze Bücher. Das geht so:
Sie suchen sich aus den Schilderbildern unten Ihren Lieblingsgedichtfetzen aus, schreiben in den Kommentar, woher und von wem das ist, und haben schon gewonnen. Bitte bis Sonntag, den 23. Februar 2014 um 23.59 Uhr, das sollte reichen.
Es sind genug Bücher für den zu erwartenden Ansturm da. Gedichte stehen in den wenigsten, das wäre nach dieser Themenstellung zu anzüglich. Leider müssen Sie die laienhaft ausgeleuchteten und bearbeiteten Fotos lesen, weil ich davon ausgehe, dass die Leser von DFWuH auch dann lesen können, wenn sie nicht jedes Bildchen abgetippt kriegen. Viel besseres Licht herrscht in den Hauseingängen der Amalienstraße auch im Original nicht.
Es sind ganz hinreißende Fitzelchen darunter. Das erste: „Ich bin nichts Offizielles. Ich bin ein kleines Helles“ hat mich selber interessiert: Es ist das Bierlied mit Benn von Dirk von Petersdorff aus: Nimm den langen Weg nach Haus, noch ganz frisch: von 2010. Das ist also schon weg. Nur wenn Sie Ihre Liebsten mit „Es gibt Dinge, die Worte schrecken vor ihnen zurück“ zu sexuellen Handlungen zu animieren suchen, kann ich Ihnen wirklich nicht mehr helfen.
Soundtrack für den langen Heimweg: Tom Waits: Long Way Home aus: Orphans. Disc 2: Bawlers, 2006,
hier als seltenes Mashup-Duett mit Norah Jones, das so nie aufgenommen wurde, aber „with a little computer magic“ den Valentinstag zum Tanzen bringt. Voll süüüß.
Der den Wasserkothurn zu beseelen weiß
Schlittschuhlaufen war im 18. Jahrhundert eine beliebte Fortbewegungsart, begünstigt durch das kleine Interglazial. Goethe berichtet immer wieder davon, mit Klopstock hat er die Sprachgrenze zwischen Schlittschuh und Schrittschuh diskutiert, in Der Mann von funfzig Jahren tanzen Jugendliche auf dem Eis, das Eis-Lebens-Lied vom WInter 1775/1776 preist die Eleganz der Fortbewegung.
In den ersten Regierungsjahren des Herzogs Carl August von Weimar war der Schlittschuhlauf auf dem Teich im Weimarer Baumgarten, später in den Schwanseewiesen ein beliebtes höfisches Vergnügen, betrieben vom Herzog höchstselbst, seiner Gemahlin, Charlotte von Stein, Goethes Stammschauspielerin Corona Schröter und zahlreichen Höflingen, die Pagen wurden dazu angehalten, es zu lernen. Höfische Feste wurden unter großer Illumination auf dem Eise abgehalten.
——— Goethe: Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12. Buch:
[…] besonders aber tat sich bei eintretendem Winter eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich zum Schlittschuhfahren, welches ich nie versucht hatte, rasch entschloß und es in kurzer Zeit durch Übung, Nachdenken und Beharrlichkeit so weit brachte, als nötig ist, um eine frohe und belebte Eisbahn mitzugenießen, ohne sich gerade auszeichnen zu wollen.
Diese neue frohe Tätigkeit waren wir denn auch Klopstocken schuldig, seinem Enthusiasmus für diese glückliche Bewegung, den Privatnachrichten bestätigten, wenn seine Oden davon ein unverwerfliches Zeugnis ablegen. Ich erinnere mich ganz genau, daß an einem heiteren Frostmorgen ich, aus dem Bette springend, mir jene Stellen zurief:
Schon von dem Gefühle der Gesundheit froh,
Hab ich, weit hinab, weiß an dem Gestade gemacht
Den bedeckenden Kristall.Wie erhellt des Winters werdender Tag
Sanft den See! Glänzenden Reif, Sternen gleich,
Streute die Nacht über ihn aus!Mein zaudernder und schwankender Entschluß war sogleich bestimmt, und ich flog sträcklings dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger Schicklichkeit seine ersten Übungen anstellen konnte. Und fürwahr, diese Kraftäußerung verdiente wohl von Klopstock empfohlen zu werden, die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet ist. Auch hingen wir dieser Lust unmäßig nach. Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eise zu verbringen genügte uns nicht; wir setzten unsere Bewegung bis spät in die Nacht fort. Denn wie andere Anstrengungen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer neue Schwungkraft. Der über den nächtlichen, weiten, zu Eisfeldern überfrorenen Wiesen aus den Wolken hervortretende Vollmond, die unserm Lauf entgegensäuselnde Nachtluft, des bei abnehmendem Wasser sich senkenden Eises ernsthafter Donner, unserer eigenen Bewegungen sonderbarer Nachhall vergegenwärtigten uns Ossianische Szenen ganz vollkommen. Bald dieser, bald jener Freund ließ in deklamatorischem Halbgesange eine Klopstockische Ode ertönen, und wenn wir uns im Dämmerlichte zusammenfanden, erscholl das ungeheuchelte Lob des Stifters unserer Freuden:
Und sollte der unsterblich nicht sein,
Der Gesundheit uns und Freuden erfand,
Die das Roß mutig im Lauf niemals gab,
Welche der Ball selber nicht hat?Solchen Dank verdient sich ein Mann, der irgendein irdisches Tun durch geistige Anregung zu veredeln und würdig zu verbreiten weiß!
Klopstock, persönlich mit Goethe bekannt, war begeistert vom Eislauf. Als Belege gelten seine „Eislaufgedichte“, mindestens Der Eislauf, Braga, Die Kunst Tialfs, Der Kamin, Winterfreuden — siehe dort. Der Eislauf von 1764 ist zu allererst ein Gedicht über Dichtung, ein Gedicht über Klopstocks „Poetik der Bewegung“ (Gerhart von Graevenitz: Locke, Schlange, Schrift. Poetologische Ornamente der Lyrik (Zesen, Klopstock, Goethe, Handke). Anscheinend vor allem über Schlangenlinien.
——— Friedrich Gottlieb Klopstock: Der Eislauf in: Oden, Drittes Buch, Hamburg 1764:
Vergraben ist in ewige Nacht
Der Erfinder großer Name zu oft!
Was ihr Geist grübelnd entdeckt, nutzen wir;
Aber belohnt Ehre sie auch?Wer nannte dir den kühneren Mann,
Der zuerst am Maste Segel erhob?
Ach verging selber der Ruhm dessen nicht,
Welcher dem Fuß Flügel erfand!Und sollte der unsterblich nicht seyn,
Der Gesundheit uns und Freuden erfand,
Die das Roß muthig im Lauf niemals gab,
Welche der Reihn selber nicht hat?Unsterblich ist mein Name dereinst!
Ich erfinde noch dem schlüpfenden Stahl
Seinen Tanz! Leichteres Schwungs fliegt er hin,
Kreiset umher, schöner zu sehn.Du kennest jeden reizenden Ton
Der Musik, drum gieb dem Tanz Melodie!
Mond, und Wald höre den Schall ihres Horns,
Wenn sie des Flugs Eile gebeut,O Jüngling, der den Wasserkothurn
Zu beseelen weiß, und flüchtiger tanzt,
Laß der Stadt ihren Kamin! Kom mit mir,
Wo des Krystalls Ebne dir winkt!Sein Licht hat er in Düfte gehüllt,
Wie erhellt des Winters werdender Tag
Sanft den See! Glänzenden Reif, Sternen gleich,
Streute die Nacht über ihn aus!Wie schweigt um uns das weiße Gefild!
Wie ertönt vom jungen Froste die Bahn!
Fern verräth deines Kothurns Schall dich mir,
Wenn du dem Blick, Flüchtling, enteilst.Wir haben doch zum Schmause genung
Von des Halmes Frucht? und Freuden des Weins?
Winterluft reizt die Begier nach dem Mahl;
Flügel am Fuß reizen sie mehr!Zur Linken wende du dich, ich will
Zu der Rechten hin halbkreisend mich drehn;
Nim den Schwung, wie du mich ihn nehmen siehst:
Also! nun fleug schnell mir vorbey!So gehen wir den schlängelnden Gang
An dem langen Ufer schwebend hinab.
Künstle nicht! Stellung, wie die, lieb‘ ich nicht,
Zeichnet dir auch Preisler nicht nach.Was horchst du nach der Insel hinauf?
Unerfahrne Läufer tönen dort her!
Huf und Last gingen noch nicht übers Eis,
Netze noch nicht unter ihm fort.Sonst späht dein Ohr ja alles; vernim,
Wie der Todeston wehklagt auf der Flut!
O wie tönts anders! wie hallts, wenn der Frost
Meilen hinab spaltet den See!Zurück! laß nicht die schimmernde Bahn
Dich verführen, weg vom Ufer zu gehn!
Denn wo dort Tiefen sie deckt, strömts vielleicht,
Sprudeln vielleicht Quellen empor.Den ungehörten Wogen entströmt,
Dem geheimen Quell entrieselt der Tod!
Glittst du auch leicht, wie dieß Laub, ach dorthin;
Sänkest du doch, Jüngling, und stürbst!
Bild: Wilhelm von Kaulbach: Der junge Goethe auf dem Eise, 1867, Universität Düsseldorf
via Silvae, 16. Januar 2012.
Versäumt die Zeit nicht, die gemessen ist
Update zu Du hast mir mein Gerät verstellt und verschoben:
In der Schule musste ich die Iphigenie gleich zweimal durchnehmen. Beide Male die auf Tauris von Goethe, nicht die in Aulis von Schiller, und erst seit gestern weiß ich, dass es noch viel mehr Möglichkeiten gegeben hätte.
Gelesen hab ich sie genau keinmal. Und trotzdem das erste Mal in der zehnten Klasse eine Schulaufgabe darüber geschrieben, das zweite Mal im Leistungskurs Deutsch, drittes Halbjahr Kollegstufe, gar eine Klausur. Meine Einzelnoten sind mir heute nicht mehr geläufig, aber offenbar hat’s zweimal halbwegs gepasst. Alles andere wüsste ich noch.
Das war in meinen jeweiligen Klassen ziemlich gängig, genau genommen hat damals wahrscheinlich außer ein, zwei Strebsäcken gar kein alter Rattenschwanz den alten Käs gelesen, man war genug damit beschäftigt, die Augen offen zu halten, sobald jemand das Wort „Iphigenie“ laut gesagt hat. Und was les ich heute?
Genau, die Iphigenie von Goethe, wenn ich schon so blöd frag. Aber eigentlich nur den Kommentar dazu. Das hat mir auch keiner an der Schulpforte gesungen, was aus mir mal für ein notorischer Nachwortleser wird. Immerhin sind wir heute in der gesegneten Lage, uns die Frankfurter Goethe-Ausgabe als Taschenbuch leisten zu können, jedenfalls die besten Bände: um die 20 Euro verlagsneu, auf dem Ramsch mit dem kleidsamen Stempel „Preisreduziertes Mängelexemplar“ für die Hälfte.
Im Band Goethe. Klassische Dramen sind der Egmont, Torquato Tasso, ein paar hochklassische Highlights wie Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilen, Erwin und Elmire, Hanswursts Hochzeit (doch, ja, und ob das von Goethe ist!) und eben die Iphigenie in gleich zwei Fassungen: Prosa und der berüchtigte Blankvers, mit dem man’s in der Schule zu tun kriegt. Hat mich beim Münchner Bookowski einen Zehner gekostet und macht ganz ungeahnt Spaß. Da steht nämlich drin, wo sich Goethe überall bedient hat, wie er nicht weitergekommen ist, weil er seine Hanswurstiaden dazwischenschieben musste, weil sie in Weimar am Fürstenhof von Anfang an keinen Wert auf das Schnarchzeug gelegt haben, und dann die ganzen Verrisse.
Mir entfällt sogar der Name meines Deutschlehrers in der Zehnten, es war irgend so ein Sammelbegriff, Huber, Weber, in der Richtung. In Deutsch-LK war’s der Herr Ruppert. Und ich weiß, was der jetzt sagen würde:
„Jetzt kommt er wieder daher.“
Nicht bös sein, Herr Ruppert, Sie waren doch eh einer von den Guten. Der Kommentar zur Frankfurter ist 1988 ja grad erst mal erschienen, und die Klausur war locker zwei, drei Jahre vorher. Dass mir nach diesem Geständnis das Abitur aberkannt werden kann, glaub ich eher nicht, die Klausur hat ja gepasst. Falls das doch noch ein Problem darstellen sollte, kann ich jederzeit nochmal nachschreiben.
Bild: Reutlinger, Paris via La Duchesse.