Archive for Dezember 2013
Ausblick
Update zu Ein neues Stiefelpaar for what you really are:
Beim Singen die Augen zumachen ist ganz schlechter Stil, Kunstfreunde. Stranger than Fiction ist seit 2006 trotzdem der Film jedes Jahres. Nicht nur wegen der Gyllenhaal-Schwester. Aber schon auch.
0. Links die Bäume, rechts die Bäume,
und dazwischen Zwischenräume.
1. Links die Wände, rechts die Wände,
und dazwischen Gegenstände.
2. Links die Berge, rechts die Berge,
und dazwischen Gartenzwerge.
3. Links die Schaufel, rechts der Besen,
zwischen Borsten Lebewesen.
4. Salzbergwerke, Kernkraftwerke,
Schutzanzüge, Fichtensärge.
5. Links die Kleider, rechts die Leiber,
Modehighlights, nackte Weiber.
6. Arbeitsmarkt, Zuckerbrot, Peitsche,
Regenwetter, doofe Deutsche.
7. Bananen, Mangos, Kokosnüsse,
Planung, Konsulat, Beschlüsse.
8. Pass verlängern, Seemannskleidung,
und dazwischen Ehescheidung.
9. Links die Poller, rechts die Poller,
Hafenkneipe, Kaffeekoller.
10. Kein Putzlumpen, keine Lüftung,
Raucherlunge, Schnapsvergiftung.
11. Oben Captain, unten Deppen,
Karren karren, Säcke schleppen.
12. Links die Segler, rechts die Segler,
Cockpit voller Schieberegler.
13. Links die Masten, rechts die Masten,
die kaum noch aufs Kielschwein passten.
14. Backbord See, steuerbord Hafen,
und dazwischen Inselaffen.
15. Links die Inseln, rechts die Inseln,
vollgestellt mit Palmenpinseln.
16. Links die Boote, rechts die Boote,
Svalbård—Bornholm—Lanzarote.
17. Links die Yachtern, rechts die Frachtern,
Horizont von vorn bis achtern.
18. Kalfatern, spleißen, reffen, steuern,
Lee über die Reling reihern.
19. Links das Wasser, rechts die Sandbank —
Anlegemanöver, Landgang.
Gar nicht mal so uncharmante Neufassung von Wreckless Eric 1978:
The Proclaimers, aus: Life With You, 2007.
Dokumentation Maggie Gyllenhaal: Ultradamno: Maggie Maggie MagHead und Maggie Legs, 13. Juli 2008
(kommen eigentlich nebeneinander besser, aber hey).
Altjahresgewinnspiel: Zischen, schrillen, summsen, murksen (geschlossen!)
Update zu Die Brahmsianer können ja derweil aufs Klo, damit langsam eine Ruhe mit dem Wagnerjahr wird:
——— Matthias Küntzel: Wagner war Avantgarde – als Musiker und Antisemit.
Ein Ausnüchterungsversuch, in: Die Welt, 28. April 2013:
Der wagnersche Antisemitismus springt aber gerade bei diesem Nibelungen-Zyklus ins Auge und ins Ohr. „Der Gold raffende, unsichtbar-anonyme, ausbeutende Alberich, der achselzuckende, geschwätzige, von Selbstlob und Tücke überfließende Mime – all die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind Judenkarikaturen“, sagt Theodor W. Adorno. Gleichzeitig, so schreibt Paul Lawrence Rose in seinem Buch „Richard Wagner und der Antisemitismus„, gemahnen die habgierigen Nibelungenbrüder „allein schon durch die Art ihres Gesangs an das…, was Wagner im ,Judenthum in der Musik‚ ,die semitische Aussprechweise‘ genannt und als ,zischenden, schrillenden, summsenden und murksenden Lautausdruck‘ beschrieben hat“.
Aus diesem und manchem anderen Grund verlose ich ein verlagsfrisches, ungelesenes Exemplar Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung, Zsolnay Verlag, Wien 2013 an den ersten, der mir sagt, warum er das haben will.
Bitte bis zum Ende der letzten Rauhnacht, also am Montag, 6. Januar 2014, zum Sonnenaufgang, weil ich mich länger nicht damit herumschlagen will. Das wirklich einwandfrei erhaltene Stück war auch für ein Gewinn aus einem Gewinnspiel, Sie können es also guten Gewissens haben, danach geht es an Oxfam. Die Kommentarfunktion ist offen.
Update: Das Gewinnspiel ist geschlossen, das Buch geht an Mr. Thomas Brook mit der Begründung: weil er zwei Menschen kennt, die Wagner lieben und hassen. Kann man eine noblere Motivation haben, sich ein Buch zu wünschen? — Auch wenn’s vermutlich 5. Januar über dem Versandweg werden kann: Glückwunsch!
Ausnüchterungsversuch: Simply Sassy, 26. November 2013.
Danke: Katrina Clara Liszt!
Naseweise Weihnachten
Update zu Wölfchen Wulffs Weihnachten und Wumbaba:
——— Matthias Claudius: Die Mutter bey der Wiege,
Der Wandsbecker Bothe, Erster und Zweiter Theil 1771:
Schlaf, süßer Knabe, süß und mild!
Du deines Vaters Ebenbild!
Das bist du; zwar dein Vater spricht,
Du habest seine Nase nicht.Nur eben itzo war er hier
Und sah dir ins Gesicht,
Und sprach: Viel hat er zwar von mir,
Doch meine Nase nicht.Mich dünkt es selbst, sie ist zu klein,
Doch muß es seine Nase seyn;
Denn wenn’s nicht seine Nase wär,
Wo hätt’st du denn die Nase her?Schlaf, Knabe, was dein Vater spricht,
Spricht er wohl nur im Scherz;
Hab‘ immer seine Nase nicht,
Und habe nur sein Herz!
Tom Waits: Silent Night, from SOS United, 1989;
darin: Correggio: Anbetung der Hirten, 1530 (Detail); Tintoretto, 1545 oder 1578; Gerrit van Honthorst, 1622 oder 1646.
Der Kinderchor bleibt unbekannt-weil-ungenannt, aber das war 1989 eine Stiftung von Tom Waits für die SOS-Kinderdörfer. War nie auf einer Original-CD.
Weihnachtsengel 4: Der bitterböse Feind
——— Jura Soyfer: Wanderlied, 1937:
Der Sommer ist verglommen,
Der Herbst ist ausgeweint,
Nun ist der Winter kommen,
Der bitterböse Feind.Die Erde liegt im Leichenhemd
Und war einst jung und bunt.
Was suchst du noch, du bist hier fremd,
Mein Bruder Vagabund.
Bitterböse Feindin: Count Your Blessings: The Forgotten Art of Flying, 12. Februar 2011:
As she walked through the old forest, she spread her wings as if to fly but her body could no longer meet the air, for her bones had grown solid and her feathers died and fallen off. No longer would the children fly but were cursed dream, to obey the universe or gravity and to walk the earth on dirty feet.
Weihnachtsengel 3: Lasst mich scheinen, bis ich werde (Mit Freuds Worten singt Mignon als Engel ihr Liebeslied der schönen Seele ohne Geschlecht)
I like in-betweens.
Delirium in: The Sandman: Brief Lives, 1994.
Wer diese Engel eigentlich sind, erfahren wir bei Hilde Domin, Rilke, in Dogma von 1999 und auf dem Christkindlmarkt unseres Vertrauens: geschlechtslose Boten Gottes verschiedenen Charakters; die Existenzform verstorbener Seelen werden sie erst nach der Aufklärung. Wir erfahren es sogar bei Goethe, dort aber nicht ohne einige Interpretationsarbeit, dafür mit mehr intellektuellem Spaß.
Die Arbeit hat uns 1999 Michael Wetzel abgenommen, dessen Habilitationsschrift Mignon. Die Kindsbraut als Phantasma der Goethezeit auf 500 Seiten die Attraktivität kleiner Mädchen ergründet — literaturhistorisch, persönlich unbeteiligt und wahrscheinlich mit absichtlich wenigem, schwarz-weißem und niedrig aufgelöstem Bildmaterial. Das Thema bleibt dennoch brandgefährlich, das Buch ist deshalb selten und wie akademische Schriften so sind, wegen kleiner Auflage teuer. Nicht zum ersten Mal bin ich für die Magazinbestände der Münchner Stadtbibliothek im Gasteig dankbar.
Ich zitiere aus dem Kapitel zur Moral der Engel ausführlich, das Wetzels postuliertes Urbild der protopädophilen Männerphantasie, die etwa zwölfjährige Mignon aus Wilhelm Meisters Lehrjahre in die Mythologie der Engel stellt. Mignons darin enthaltenes, bestechend schönes Lied korrigiere ich (unwesentlich) nach der Frankfurter Ausgabe von Karl Eibl, versehe es mit einem Vorspann und vervollständige es um die vierte Strophe. Normalerweise sind das unzulässige Eingriffe ins Zitat, die mir hier sinnvoll scheinen.
——— Michael Wetzel: Die Moral der Engel, in: Mignon. Die Kindsbraut als Phantasma der Goethezeit,
Habilitationsschrift für die Universität Essen, Wilhelm Fink Verlag München 1999:
Antike Plastiken, barocke Opernbühnen und anatomische Theater sind nicht die einzigen Schauplätze, auf denen es um Androgynität geht. […]
Statt das „weiße“ Engelskleid nur als Übergangsobjekt zu weiblicher Kleidung zu betrachten, will Mignon in ihm wie im heiligen Gewand der Initiation verbleiben, d. h. im Übergangsstadium verharren, hyperbolisch geschlechtslos werden, sterben und verklärt werden: wenn schon kein Knabe, dann gar nichts, „L‘utrumque se parachève en devenant un neutrum.“ [Fußnote: Delcourt, Marie (1972): Deux interprétations du mythe de l’androgyne. Mignon et Séraphita, Revue des langues vivantes No. 38 (1972), S. 233.“]
Hinter dieser Mimikry am sexualfeindlichen Ideal christlicher Moral stehen aber andere symbolische Bezüge. Wie bereits im Zusammenhang mit der Kindfigur des Eros gezeigt wurde, sind Engel auch — wie dieser, Hermes oder Musen — Boten der Götter, also Dämonen. In dieser Bedeutung zeichnet sich noch einmal die Entwicklungslinie der Mignon-Figur im Roman ab, von der elementaren Naturhaftigkeit, deren archaisch dämonischer und in diesem Sinne antik heidnischer Charakter überwunden wird zugunsten einer Erlösungsfigur nach dem Muster christlicher Heilslehre. Insofern tritt nunmehr bewußt die Engelsgestalt an die Stelle des Dämons, eben als das schützende „Bild“, hinter das sich Goethe zurückzieht. Die Erlösung der Natur durch christliche Gnade wird gleichfalls zum Thema von Faust II und in diesem Sinne zu einer Allegorie des 19. Jahrhunderts [Fußnote: Vgl. hierzu Schlaffer, Heinz (1980): Faust zweiter Teil. Die Allegorie des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 154 ff. sowie Graham: Goethe. Schauen und Glauben, (Schwere Überfahrt: Natur und Gnade in Goethes Faust), a.a.O., S. 587 ff.“], wie sie z. B. Wagner in der Kundry-Figur seines Parzival aufgreift. Bei Mignons Mutation zum Engel soll aber noch eine andere Dämonie des antiken Archetypus gebannt werden: das homophil-päderastische Erbe der antiken Androgynie nämlich, an dessen Stelle das übersinnliche Bild sublimierter Unschuld tritt.
Goethe kann sich dabei wiederum auf den im Vornamen des Harfners schon zitierten Augustinus berufen, der in seinem Gottesstaat eine klare Trennung zwischen heidnischen und christlichen Medien göttlicher Botschaften vornimmt. Den antiken Dämonen wird dort zwar ein übermenschliches „Wissen“ bescheinigt, was sie aber hochmütig, ja „aufgebläht“ macht und von den Engeln unterscheidet, ist der Mangel an der letzteren gerade verliehenen Liebe, d. h. genauer göttlichen Liebe. Nur um die Sichtbarkeit der körperlichen und zeitlichen Dinge bemüht, sind die Dämonen „böse“ Engel als falsche und trügerische Vermittler der Wahrheit, während die „guten“ Engel die Wahrheit Gottes unmittelbar von Angesicht zu Angesicht schauen: „Vor Gottes Schönheit, die unkörperlich, unwandelbar und unaussprechlich ist, und zu der sie in heiliger Liebe entbrennen, ist ihnen alles, was niedriger ist und nicht ist, was Gott ist, darunter auch sie selbst, verachtenswert, und sie genießen aus dem Ganzen, das ihr Gutsein ist, nur jenes Gut, aus dem sie gut sind.“ [Fußnote: „Augustinus, Aurelius (412–26): Der Gottesstaat, übers. v. C.J. Perl, Salzburg 1966, Bd. II, S. 95.“] Mit anderen, nämlich Freuds Worten der Beschreibung himmlischer Wollustgefühle — im „Zustand ununterbrochenen Genießens“ [Fußnote: „Freud (1911): Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia, Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. VIII, S. 262; Freud bezieht sich unter Verweis auf die Wunscherfüllung eines übergeschlechtlichen Lebens ausdrücklich auf Mignon und ihr Engellied (ebd., S. 263, Anm.); vgl. auch Schreber, Daniel Paul (1903): Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, hrsg. v. S. Weber, Frankfurt/M. 1973, S. 80.“] dieses Gutseins — singt Mignon als Engel ihr Liebeslied der schönen Seele ohne Geschlecht:
——— Goethe: Zweites Kapitel in: Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795:
Es fand sich eben, daß der Geburtstag von Zwillingsschwestern, die sich immer sehr gut betragen hatten, nahe war; ich versprach, daß ihnen diesmal ein Engel die kleinen Geschenke bringen sollte, die sie wohl verdient hätten. Sie waren äußerst gespannt auf diese Erscheinung. Ich hatte mir Mignon zu dieser Rolle ausgesucht, und sie ward an dem bestimmten Tage in ein langes, leichtes, weißes Gewand anständig gekleidet. Es fehlte nicht an einem goldenen Gürtel um die Brust und an einem gleichen Diadem in den Haaren. Anfangs wollte ich die Flügel weglassen, doch bestanden die Frauenzimmer, die sie anputzten, auf ein Paar großer goldner Schwingen, an denen sie recht ihre Kunst zeigen wollten. So trat, mit einer Lilie in der einen Hand und mit einem Körbchen in der andern, die wundersame Erscheinung in die Mitte der Mädchen und überraschte mich selbst. „Da kommt der Engel“, sagte ich. Die Kinder traten alle wie zurück; endlich riefen sie aus: „Es ist Mignon!“ und getrauten sich doch nicht, dem wundersamen Bilde näher zu treten.
„Hier sind eure Gaben“, sagte sie und reichte das Körbchen hin. Man versammelte sich um sie, man betrachtete, man befühlte, man befragte sie.
„Bist du ein Engel?“ fragte das eine Kind.
„Ich wollte, ich wär‘ es“, versetzte Mignon.
„Warum trägst du eine Lilie?“
„So rein und offen sollte mein Herz sein, dann wär‘ ich glücklich.“
„Wie ist’s mit den Flügeln? laß sie sehen!“
„Sie stellen schönere vor, die noch nicht entfaltet sind.“
Und so antwortete sie bedeutend auf jede unschuldige, leichte Frage. Als die Neugierde der kleinen Gesellschaft befriedigt war und der Eindruck dieser Erscheinung stumpf zu werden anfing, wollte man sie wieder auskleiden. Sie verwehrte es, nahm ihre Zither, setzte sich hier auf diesen hohen Schreibtisch hinauf und sang ein Lied mit unglaublicher Anmut.
So laßt mich scheinen, bis ich werde,
Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!
Ich eile von der schönen Erde
Hinab in jenes feste Haus.Dort ruh‘ ich eine kleine Stille,
Dann öffnet sich der frische Blick;
Ich lasse dann die reine Hülle,
Den Gürtel und den Kranz zurück.Und jene himmlische Gestalten
Sie fragen nicht nach Mann und Weib,
Und keine Kleider, keine Falten
Umgeben den verklärten Leib.Zwar lebt‘ ich ohne Sorg und Mühe,
Doch fühlt ich tiefen Schmerz genung.
Vor Kummer altert‘ ich zu frühe;
Macht mich auf ewig wieder jung.Die eschatologische Vision vom Ablegen der „reinen Hülle“ in einer paradiesischen Welt, die selbst der Symbolik des weißen Kleides für jungfräuliche Unschuld nicht mehr bedarf, spielt auf jene Auferstehungsvorstellung aus dem Matthäus-Evangelium (XXII, 30) an, wo nicht mehr zwischen Mann und Frau im sexuellen Sinne unterschieden wird, sondern die Menschen Gottes Engeln im Himmel gleich werden. Mignons Ideal einer völligen Geschlechtslosigkeit des verklärten Leibes rekurriert in diesem Sinne auf die pietistische Vorstellung einer wieder zum Kind gewordenen Engelhaftigkeit.
Engelsbilder: Cover Michael Wetzel: Mignon via inframedialität;
Wilhelm von Kaulbach: Mignon, Goethe-Galerie (21 Karten) 1857–1864. Signet: A. Nr. 1187. Verso: F. A. Ackermann’s Kunstverlag, München, Serie 100, Lichtdruck, sign. u. dat. W. Kaulbach 1862 via Jutta Assel & Georg Jäger: Goethe-Motive auf Postkarten. Wilhelm Meisters Lehrjahre: Mignon und der Harfner; 7. Mignon als Engel, Oktober 2011;
Jana Martish: December, 19. Dezember 2012.
Nichts, das ihm gleichkäme (Mit Erlaubnis der Herren Costallat & Co.)
Hector Berlioz (11. Dezember 1803 bis 8. März 1869): La damnation de Faust, op. 24, 1845–46:
Berlioz. — Fausts Verdammung
6. Margarete erlöst. Engelchor: „Steig auf zu Gott, kindliche Seele!“
6. Ein Nachspiel findet im Himmel statt. Die Chöre der Seraphim preisen den Herrn. Margarete wird emporgehoben, sie findet Vergebung und wird verklärt. Die himmlischen Geister geben ihr die einstige Schönheit zurück, die durch Gram und Leid getrübt worden war, und trocknen ihre Tränen. Die erlöste Seele schwebt aufwärts. (Mit Erlaubnis der Herren Costallat & Co., Verleger, rue de la Chaussée d’Antia, 60, Paris.)
Bild mit Text aus Jutta Assel & Georg Jäger: Hector Berlioz: Faust’s Verdammung (Liebigbilder), November 2009 nach OXO Bouillon der Compagnie Liebig, Reine gewürzte Fleischbrühe. Sofort trinkfertig. 1½–2 Teelöffel voll zu einer Tasse heißen Wassers geben eine verzügliche Bouillon:
Liebig’s Fleisch-Extract ist die Quintessenz des besten Ochsenfleisches. Will man daher Mühe, Zeit und Geld sparen, so benutze man beim Kochen Liebig’s Fleisch-Extract, denn zum Kräftigen und Schmackhaftmachen von Suppen, Saucen und Gemüsen gibt es nichts, das ihm gleichkäme.
Verklärung Gretchens: Laus! Laus! Remonte au ciel, âme naïve, Finale:
Weihnachtsengel 2: Ein göttliches Gedichte
Update zu Ludwig Tieck is coming home:
——— Ludwig Tieck: Die Musik spricht, aus: Phantasus, 1812:
Ich bin ein Engel, Menschenkind, das wisse,
Mein Flügelpaar klingt in dem Morgenlichte,
Den grünen Wald erfreut mein Angesichte,
Das Nachtigallen-Chor giebt seine Grüße.Wem ich der Sterblichen die Lippe küsse,
Dem tönt die Welt ein göttliches Gedichte,
Wald, Wasser, Feld und Luft spricht ihm Geschichte,
Im Herzen rinnen Paradieses-Flüsse.Die ewge Liebe, welche nie vergangen,
Erscheint ihm im Triumph auf allen Wogen,
Er nimmt den Tönen ihre dunkle Hülle,Da regt sich, schlägt im Jubel auf die Stille,
Zur spielnden Glorie wird der Himmelsbogen,
Der Trunkne hört, was alle Engel sangen.
Bild: Anka Zhuravleva: ***, 2. Januar 2013.
Weihnachtsgabe
——— Heinrich Seidel:
Meine Puppe kriegst du nicht!
o. J. (ca. 1871–1906):
Nein, du kleiner Bösewicht,
meine Puppe kriegst du nicht!
Noch ist’s gar nicht lange her;
denkst du denn, ich weiß nicht mehr,
wie’s der andern ist ergangen,
was du mit ihr angefangen?
Erst die Nase abgemacht,
dann das Köpfchen ihr zerkracht,
dann den ganzen Leib zerrüttet
und die Kleie ausgeschüttet,
daß die Beine und der Bauch
hingen wie ein leerer Schlauch,
dann die Arme ausgerissen
und sie auf den Müll geschmissen!
Nein, du kleiner Bösewicht,
meine Puppe kriegst du nicht!
Bild: via Celeste Tumulte, 2009.
Weihnachtsengel 1: Brecht (Über die Vergewaltigung von Frigiden)
——— Bertolt Brecht:
Über die Verführung von Engeln
1948. Siehe Steffen Jacobs (Hg.): Liederlich! Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Eichborn 2008:
Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell
Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.Ermahn ihn, daß er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt —Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.
Brecht? Der Brecht? — In meinem 1981er Gesamtgedichteknubbel findet sich das jedenfalls nicht. Wohl aber findet sich ein Archiv, in dem ein Spiegel besser als Bild war:
Reinhard Baumgart: Baal auf Balz, in: Der Spiegel 49, 6. Dezember 1982:
Gerade der scharfen Ware ist das lange Ablagern nicht gut bekommen. Die Verse über „Ficken“ und „Vögeln“, „Fosen“ und „Schwänze“, die gestern oder vorgestern oder gar zur Zeit ihrer Niederschrift noch Provokationen gewesen sein mochten, haben inzwischen viel Muff in sich aufgesogen.
Daß man sich über viele (trotzdem und deshalb) ärgern kann, spricht aber für Brecht, für seine Lebendigkeit, so still es auch im Augenblick um ihn sein mag. Über endgültig tote Klassiker ärgert sich niemand mehr. […].
In einem Lehrgedicht von 1948, dessen Titel „Über die Verführung von Engeln“ realistischerweise heißen müßte „Über die Vergewaltigung von Frigiden“, sind dabei aufklärerischer und sadistischer Schwung ein Bündnis eingegangen, über das schmunzeln soll, wer mag — ich kann’s nicht. […]
Schließlich hat die Anthologie, aus falsch verstandener Diskretion oder Prüderie, sich auch noch bemüht, die in den Gedichten erkennbaren einzelnen Liebesgeschichten des Meisters behutsam auseinanderzuziehen und damit ihre Spuren zu verwischen. Zwar werden Brecht-Kenner die Paula Banholzer oder die Käthe Reichel, die Weigel, die Berlau, die Steffin in den Gedichten unschwer wiedererkennen, und allen anderen können diese Namen Hekuba bleiben. Doch diese allzufeine Diskretion hilft nun mit, das Konkrete und Historische des lyrisch dokumentierten Brechtschen Liebeslebens aufzulösen ins vage Allgemeinmenschliche.
Na gut, ist es halt von Brecht. Ich finde es weder so doof wie ein Literaturhüter 1982 noch so toll wie eine lebenslustige Literaturanfällige 2006 („Das berührt mich, Pornographie ist nichts dagegen… das ist wie koreanischer Film, macht Dich auf, lässt Dich erzittern und dann bist Du allein… gefangen im Moment.“), und auch nicht so provokativ, dass man es — wie über Brecht belegt — anonym wie ein Schulbub als Beitrag an „eine Zeitschrift“ (welche eigentlich?) einsenden müsste, und dann noch unter dem gar zu durchsichtigen Pseudonym seines Lieblingsfeindes Thomas Mann — moralisch untragbar finde ich es schon eher.
Also mal halblang, alle. Vor allem finde ich nicht, dass man auch nur eins von diesen vieren diskutieren muss. Fünftens finde ich es nämlich auch noch schön dynamisch, und das macht’s.
Engel noch am Bus: Rink Ratz: Even Angels Will Fall, 28. März 2011.