Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Archive for Dezember 2022

Bewahr uns, Herr, zu lüften den Schleier von Gräbern und Grüften (O ewich is so lanck)

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Update zu Frohnleichnamsfahnen wehen
und Zum Tanz, den sie schauderlich führen:

Was uns Frank T. Zumbach online von Georg Ruseler in sein dankenswertes Archiv stellt, ist leider ein formales Desaster, in seinem fast noch dankenswerteren Balladenbuch kommt Ruseler auch mit einem Beispiel vor, nur eben mit einem anderen, wo er das in seinem Online-Archiv anno 2010 gefunden hat, weiß er auf Anfrage im dahinsiechenden 2022 auch nicht mehr, und die Version im Projekt Gutenberg ist halt, nun ja, die Version im Projekt Gutenberg.

Heute ruht Ruseler geistig in der Abteilung Oldenburg am Niedersächsischen Landesarchiv und körperlich auf dem Oldenburger Gertrudenfriedhof, wo sein Grab neben denen von Horst Janssen und Wilhelm Heinrich Schüßler – der mit dem gleichnamigen Salz – etwas untergeht.

Das im Dunkeln funkelnde Highlight in souverän tanzendem ABABCCDD-Reimschema des „Heimatdichter[s], Schriftsteller[s] und Schulrektor[s]“ (Wikipedia), der sich gern op Platt äußerte, müssen wir selber retten. Dafür sind wir ja da.

——— Georg Ruseler:

Das zweite Gesicht

aus: Der rauschende Garten. Aus dem Nachlass zusammengestellt,
Friesen-Verlag A.-G., Bremen-Wilhelmshaven 1922:

Ansichtskarte von Oldenburg nach Haldem, 1906 mit GertrudenfriedhofEhrwürden Pfarrer Henrikus Brand,
Seinen Küster ruft er herbei
Und reicht ihm den silberbeschlagenen Band:
„Dies, Alter, zur Sakristei!
Zwar düstert auf allen Pfaden die Nacht,
Doch wenn seine Fackel der Mond entfacht,
Dann geht er um Mitternacht heute
Ja doch zum Neujahrsgeläute.“

Stumm schüttelt den Kopf der Küster von Marx.
„Was? Reit‘ ihn der Kuckuck! Nein?
Er kehrt wohl, Er Hasenfuß Siebrand Tiarks,
Des Nachts beim Herrgott nicht ein?“ –
„Ich geh‘ allein zum Geläut auf den Turm,
Und rüttelt ihn auch der Wirbelsturm,
Doch nimmer zu Chor und Altare
In der letzten Nacht im Jahre.

Silvester, Ehrwürden, das ist die Zeit,
Da reichen zwei Jahr‘ sich die Hand
Und finden den Bösen zum Spuk bereit
Und die Hölle aus Rand und Band.
Wenn dann die Glocke zwölfe schlägt,
Ein Schleier sacht sich wegbewegt
Und läßt mit Augen sehen,
Was künftig soll geschehen.

Zwei Jahr sind’s heut. Grad‘ war ins Land
Der Neujahrsglockengruß
Mit vollem Klang hinausgesandt;
Da tast‘ ich mit Hand und Fuß
Die Stufen hinab im Treppenraum,
Und plötzlich treibt’s mich, wie, weiß ich kaum –
Mir dröhnt im Ohr noch das Läuten –
Abseits durch die Kirche zu schreiten.

Durchs Fenster senkt sich auf braunes Gestühl
Des Mondes ruhiger Glanz.
An weißen Wänden ein leichtes Spiel
Von Schatten und Lichtern im Tanz.
Lebendig wird mit der Dornenkron‘
Der Heiland vor Pilatus'[*] Thron,
Und Judas packt in der Ecke
Des Altars silberne Decke.

Da seh‘ ich, hilf Gott, so schattenhaft grau,
Rings durch das Gestühle verstreut,
Hier Kind und Greis, dort Mann und Frau,
Viel schweigende, harrende Leut‘.
Sie beten nicht, sie singen nicht,
In ihren Augen ist kein Licht;
Es starren erloschene Sterne
Glanzlos weithin in die Ferne.

Menko Mennen stiert von der Prieche her,
Okko Tannen trieft von Blut,
Jantje Bomreman trägt ein Pelzkleid schwer,
Kea Rykena strohernen Hut.
Ich kneif‘ mir den Arm, es ist kein Traum,
O Grausen, allein ganz hinten im Raum
Mein Schwiegersohn Edzard Onnen, –
Da bin ich vor Schrecken entronnen.

Und alle, die damals mein Auge gesehn,
Die sah ich im selben Jahr
Im schwarzen Holz auf der Diele stehn
Und dann auf der Todtenbahr.
Drum, Ehrwürden, diesmal gebt Ihr mich frei
Und schickt mich morgen zur Sakristei.
Mir Alten frommt nicht, zu lüften
Den Schleier von Gräbern und Grüften.“

~~~\~~~~~~~/~~~

Grabstein Georg RuselerDie Uhr schlägt zwölf; um Mitternacht
Der Mond lugt still herfür,
Da schreitet vorbei an Gräbern sacht,
Ganz sacht zur Kirchentür
Ehrwürden Pfarrer Henrikus Brand,
Schlüssel und Bibel in seiner Hand, –
Aufschließt er und schreitet verwegen
Dem harrenden Spuk entgegen.

Er schreitet und sieht im braunen Gestühl
Des Mondes ruhigen Glanz,
An weißen Wänden ein leises Spiel
Von Schatten und Lichtern im Tanz,
Doch starr verharrt mit der Dornenkron‘
Der Heiland vor Pilatus‘ Thron,
Auch läßt sich in Winkeln und Ecken
Kein Menschenantlitz entdecken.

’s ist totenstill im weiten Raum,
Die Schritte verhallen im Gang,
In schimmernden Pfeifen ruht ein Traum
Von brausendem Orgelklang.
Erhobenen Haupts am Altar vorbei
Die Bibel trägt er zur Sakristei,
Und war ihm das Herz beklommen,
Der Bann ist fortgenommen.

Schon ist es getan; nun tritt er heraus.
Dumpf grüßt ihn das Neujahrsgeläut‘. – –
Da sitzen in Stühlen, o Schreck und Graus,
Viel schweigende, harrende Leut‘.
Sie beten nicht, sie singen nicht,
In ihren Augen ist kein Licht,
Sie starren, das Antlitz erhoben,
Zur Kanzel hinauf nach oben.

Hilf Himmel, der Küster sprach keine Mär,
Sie sind’s, die der Tod erkor!
Ach, pocht ihm das Herz! Sein Kopf wird schwer,
Und zitternd möcht er vom Chor.
Da setzt mit wundersamem Klang
Die Orgel ein und tönt so bang,
Und jäh hat er nach oben
Zur Kanzel den Blick erhoben.

O Jesus, mit ausgestreckter Hand,
Eigen und sonderbar,
Steht er dort selbst, Henrikus Brand,
Ragend im dunkeln Talar,
Und spricht auch sein Mund kein einziges Wort,
O Schrecken, Schrecken! es gleicht ihm dort
Der Schemen in jedem Stücke
Bis auf Beffchen und Perücke.

Kein Trug, er sieht sein eigen Gesicht!
Von fern mit leisem Klang
Tönt „Jesus meine Zuversicht“,
Sein eigener Grabgesang.
Sein Herz will stocken, er ächzt nach Luft
Und hastet, daß er der harrenden Gruft
Mit schnellem Fuß entrinne, –
Da schwinden ihm die Sinne. – –

Ehrwürden Pfarrer Henrikus Brand,
Im Morgendämmerschein
Siebrand Tiarks, sein Küster, fand
Ihn tot auf kaltem Stein.
Noch sah das Antlitz bleich vom Chor
Mit gebrochenem Auge zur Kanzel empor. –
„Bewahr‘ uns, Herr, zu lüften
Den Schleier von Gräbern und Grüften!“

Bilder: Ansichtskarte von Oldenburg nach Haldem, 1906 mit dem Gertrudenfriedhof zwischen Alexanderstraße, die in den Stadtteil Dietrichsfeld führt, und Nadorster Straße im Stadtteil Nadorst.
Der scheinbar alte Stein mit dem Text „O ewich is so lanck“ scheint eine erst kurz vor dem Fototermin entstandene Replik eines alten Steines zu sein. Noch 2020 ist der Stein in der Außenmauer zu finden:

Oldenburg, den 6. 9. [September] 1906. Lieber Fritz. Ich bin gerade wieder hingewesen / zum Arzt. Es hat sich gut gebessert. / Er hatte es nicht ganz getroffen / und hat heute noch etwas weg / geschnitten. Freitag Nachmittag / sollte ich wieder hin. Der Arzt / sagt, mit Reisen sollte ich / bis Sonnabend warten. / Dann fahre ich Sonnabend / Morgen um 11,26 Min. [Minuten] in / Oldenburg ab, denn bin ich / 12,24 in Bremen und / fährt von Bremen ½ 2 Uhr / ab, dann bin ich ½ 4 Uhr / in Lemförde. Abholen braucht Ihr mich nicht. Weiter auf der Bildseite: Ich komme dann mit den Wieh[… ?]./. zu Euch. Ich darf jetzt alles essen, ich /. Bin [… ?] die Milch immer ordentlich flau / geworden. Viele Grüße an Eltern Deine Emma Helling. [Zusatz am Rand der Bildseite:] Bin Donnerstag Nachmittag zuerst aufgestanden.

Grabstätte Georg Ruseler: Alt-Oldenburg …entdecken!.

Soundtrack: Pine Box Boys/Lester T. Raww’s Graveside Quartet: Dancing On Your Grave, 2016:

As soon as you gave up the ghost
They argued who loved you the most,
But I won’t change my tune,
I’ll be dancing to it soon.

Written by Wolf

30. Dezember 2022 at 00:01

Ungeheuerlichste hochdeutsche Fachausdrücke und trübe Weissagungen

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Update zu Weihnachten Fibels,
Und wenn’s im Rücken mal weh tut, wird jede Bewegung zur Qual,
3. Katzvent: Die Katze als Subjekt der bildenden Kunst,
3. Stattvent: Sie haben kein Geld nicht besessen
und Hipsteros:

Soll keiner glauben, es wäre leicht gewesen, eine Weihnachtsgeschichte aufzutreiben, in der es um Fußball geht; allenfalls leichter als eine Fußballgeschichte, in der es um Weihnachten geht.

Sosehr Ödön von Horváth eine gesunde Abneigung gegen Sport hegte wie jeder andere vernunftbegabte Mensch auch, hat er nach Zählung der Suhrkamp-Gesamtausgabe neunzehn Sportmärchen geschrieben und unter ihnen die Legende vom Fußballplatz so favorisiert, dass er sie für seinen hartnäckigsten Beitrag zur Schullektüre, Jugend ohne Gott und für seine nachgelassene „höllische Komödie“ Himmelwärts zweit-, ja sogar drittverwendete.

Laut der bis auf weiteres gültigen Einzelbesprechung von Martin Halter: Himmelstor: Horvaths „Legende vom Fußballplatz“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Januar 2006, ist die Legende

kein Kindertotenlied, sondern die Fieberhalluzination eines Fans, geträumt auf den Federwölkchen unschuldiger Phantasie. Auf der Erde tummeln sich Rumpelfüßler, Fachsimpel und ruppige Aufseher, und Torwarttitanen schwadronieren von Siegen und unverdienten Niederlagen auf Malta. Nur im Himmel gilt, was Pele einst als Erfolgsgeheimnis des Fußballs beschrieb: „Große Kinder spielen, und große Kinder schauen zu.“ Wenn wir Weltmeister werden, ist es ein Wunder. Wenn Borneo II gegen Alaska verliert, ohne daß sich erwachsene Männer in „ungeheuerlichsten hochdeutschen Fachausdrücken“ und „trüben Weissagungen“ spreizen, ist es ein bezauberndes Märchen.

Trotzdem fröhliche Weihnachten.

Barbara Morse, Just For Kicks, 2021

——— Ödön von Horváth:

Legende vom Fußballplatz

Pester Lloyd, 1926:

Es war einmal ein armer kleiner Bub, der war kaum sieben Jahre alt, aber schon loderte in ihm eine Leidenschaft: Er liebte den Fußball über alles.

Bei jedem Wettspiel mußte er dabei gewesen sein: ob Liberia gegen Haidhausen, ob Beludschistan gegen Neukölln – immer lag er hinter einem der Tore im Grase (meistens bereits lange vor Beginn) und verfolgte mit aufgerissenen runden Kinderaugen den mehr oder minder spannenden Kampf. Und wenn ein Spieler grob rempelte, ballten sich seine Händchen erregt zu Fäusten und mit gerunzelter Stirn fixierte er finster den Übeltäter. Doch wenn dann vielleicht gleich darauf des Schicksals Laune (quasi als Racheakt) ein Goal schoß, so tanzte er begeistert und suchte strahlend all den Anderen, die um ihn herum applaudierten, ins Antlitz zu schauen.

Diese Anderen, die neben ihm lagen, waren ja meistens schon um ein oder zwei Jahre älter und andächtig horchte er, wenn sie sich in den ungeheuerlichsten hochdeutschen Fachausdrücken, die sie weiß Gott wo zusammengehört hatten, über die einzelnen Spieler und Clubs ergingen; ergriffen lauschte er trüben Weissagungen, bis ihn wieder ein wunderbar vollendet geköpfter Ball mit sich riß, daß sein Herz noch höher flog wie der Ball.

So saß er oft im nassen Grase. Stundenlang.

Der Novemberwind schmiegte sich an seinen schmalen Rücken, als wollte er sich wärmen und hoch über dem Spielplatz zog die Fieberhexe ihre Raubvogelkreise.

Und als der Schlußpfiff verklungen war, da dämmerte es bereits; der kleine Bub lief noch einmal quer über das Feld und ging dann allein nach Hause. In den leeren Sonntagsstraßen war es ihm einige Male als hörte er Schritte hinter sich: als schliche ihm jemand nach, der spionieren wolle, wo er wohne. Doch er wagte nicht umzuschauen und beneidete den Schutzmann, der solch große Schritte machen konnte. Erst zuhause, vor dem hohen grauen Gebäude, in dem seine Eltern den Gemüseladen hatten, sah er sich endlich um: ob es vielleicht der dicke Karl ist mit dem er die Schulbank teilt und der ihn nie in Ruhe läßt – aber es war nur ein dürres Blatt, das sich mühsam die Straße dahinschleppte und sich einen Winkel suchte zum Sterben.

Und am Abend in seinem Bette fror er trotz tiefroter Backen; und dann hustete er auch und es hob ihn vornüber, als haute ihm der dicke Karl mit der Faust in den Rücken.

Nur wie durch einen Schleier sah er seiner Mutter Antlitz, die am Bettrande saß und ihn besorgt betrachtete; und er hörte auch Schritte im Zimmer, langsame, hin und her: das war Vater.

Der Nordwind hockte im Ofenrohr und zu seinem Gesumm fingen Regenbogen an einen Reigen um ihn zu tanzen. Er schloß die Augen. Da wurde es dunkel. Und still.

Doch nach Mitternacht wich plötzlich der Schlaf und feine Fingerknöchelchen klopften von außen an die Fensterscheibe und er hörte seinen Namen rufen – „Hansl!“ rief eine sanfte Stimme – „Hansl!“ Da erhob sich der kleine Bub aus seinem Bette, trug einen Stuhl vor das Fenster, erkletterte ihn und öffnete –: draußen war tiefe stille Nacht; keine Trambahn läutete mehr und auch die Gaslaterne an der Ecke war schlafen gegangen und – vor einem Fenster im vierten Stock schwebte ein heller Engel; der ähnelte jenem, welcher Großvaters Gebetbuch als Spange umschloß, nur, daß er farbige Flügel hatte: der linke blau und gelb: das waren die Farben des Fußballvereins von Oberhaching; der rechte rosa und grün: das waren die Farben dessen von Unterhaching; seine schmalen Füße staken in purpurnen Fußballschuhen, an silberner Sternenschnur hing um seinen Schwanenhals eine goldene Schiedsrichterpfeife und in den durchsichtigen Händen wiegte sich ein mattweißer Fußball.

„Schau“ – sprach der Engel – „schau!“ und köpfte den Ball kerzengrade in die Höhe; der flog, flog – bis er weit hinter der Milchstraße verschwand.

Dann reichte der Himmlische dem staunenden Hansl die Hand und lächelte: „Komm mit – zum Fußballwettspiel“ Und Hansl ging mit.

Wortlos war er auf das Fensterbrett gestiegen und da er des Engels Hand ergriffen, da war es ihm als hätte es nie einen dicken Karl gegeben. Alles war vergessen, versank unter ihm in ewigen Tiefen – und als die beiden an der Milchstraße vorbeischwebten fragte der kleine Bub: „Ist es noch weit?“ „Nein“, lächelte wieder der Engel, „bald sind wir dort.“

Und weil Engel nie lügen leuchtete bald durch die Finsternis eine weiße rechteckige Fläche, auf die sie zuflogen. Anfangs glaubte Hansl es wäre nur ein Blatt unliniertes Papier, doch kaum, daß er dies gedacht hatte, erfaßte sein Führer auch schon den Rand; nur noch ein Klimmzug – und es war erreicht! Doch wie erstaunte da der kleine Bub!

Nekoylia für °•°Bocetos y guías para dibujantes°•°, Poses de peleaAus dem Blatt unliniertem Papier war eine große Wolke geworden, deren Oberfläche ein einziger herrlich angelegter Fußballplatz war; auf buntbewimpelten Tribünen saßen Zuschauer wie sie in solcher Zahl unser Kleiner noch bei keinem Wettspiel erlebt hatte. Und das ganze Publikum erhob sich zum Gruß und aller Augen waren voll Güte auf ihn gerichtet, ja selbst der Aufseher, der ihn doch sonst immer sofort hinter das Tor in das nasse Gras trieb, führte ihn unter fortwährenden Bücklingen auf seinen Platz: Tribüne (!) Erste Reihe (!!) Mitte (!!!)

„Wie still nur all die Leute sind!“ meinte der kleine Bub. „Sehr recht, mein Herr“, lispelte der Aufseher untertänig, „dies sind ja auch all die seligen Fußballwettspielzuschauer.“

Unten am Rasen losten die Parteien nun um die Sonne-im-Rücken-Seite und – „das sind die besten der seligen Fußballspieler“, hörte Hansl seinen Nachbarn sagen; und als er ihn ansah nickte ihm dieser freundlich zu: da erkannte er in ihm jenen guten alten Herrn, der ihm einst (als Borneo gegen Alaska verlor) vor dem dicken Karl verteidigte; noch hielt er den Rohrstock in der Hand mit dem er den Raufbold damals drohte. Wie der dann lief!

Unermeßliche Seligkeit erfüllte des armen kleinen Buben Herz. Das Spiel hatte begonnen um nimmermehr beendet zu werden und die Zweiundzwanzig spielten wie er noch nie spielen sah. Manchmal kam es zwar vor, daß der eine oder andere dem Balle einfach nachflog (es waren ja auch lauter Engel) doch da pfiff der Schiedsrichter (ein Erzengel) sogleich ab: wegen unfairer Kampfesweise.

Das Wetter war herrlich. Etwas Sonne und kein Wind. Ein richtiges Fußballwetter.

Seit dieser Zeit hat niemand mehr den armen kleinen Buben auf einem irdischen Fußballplatze gesehen.

Dahy Garay

Zugabe nach dem Vorbild der Quelle:

Autobiographische Notiz (auf Bestellung)

1927:

Geboren bin ich am 9. Dezember 1901, und zwar in Fiume an der Adria, nachmittags um dreiviertelfünf (nach einer anderen Überlieferung um halbfünf). Als ich zweiunddreißig Pfund wog, verließ ich Fiume, trieb mich teils in Venedig und teils auf dem Balkan herum und erlebte allerhand, u. a. die Ermordung S.M. des Königs Alexanders von Serbien samt seiner Ehehälfte. Als ich 1,20 Meter hoch wurde, zog ich nach Budapest und lebte dort bis 1,21 Meter. War dortselbst ein eifriger Besucher zahlreicher Kinderspielplätze und fiel durch mein verträumtes und boshaftes Wesen unliebenswert auf. Bei einer ungefähren Höhe von 1,52 erwachte in mir der Eros, aber vorerst ohne mir irgendwelche besonderen Scherereien zu bereiten – (meine Liebe zur Politik war damals bereits ziemlich vorhanden). Mein Interesse für Kunst, insbesondre für die schöne Literatur, regte sich relativ spät (bei einer Höhe von rund 1,70), aber erst ab 1,79 war es ein Drang, zwar kein unwiderstehlicher, jedoch immerhin. Als der Weltkrieg ausbrach, war ich bereits 1,67 und als er dann aufhörte bereits 1,80 (ich schoß im Krieg sehr rasch empor). Mit 1,69 hatte ich mein erstes ausgesprochen sexuelles Erlebnis – und heute, wo ich längst aufgehört habe zu wachsen (1,84), denke ich mit einer sanften Wehmut an jene ahnungsschwangeren Tage zurück. Heut geh ich nurmehr in die Breite – aber hierüber kann ich Ihnen noch nichts mitteilen, denn ich bin mir halt noch zu nah.

Sarrah Williams, 2022

Fußballengel:

  1. Barbara Morse: Just For Kicks, 2021;
  2. Nekoylia für °•°Bocetos y guías para dibujantes°•°: Poses de pelea;
  3. Dahy Garay;
  4. Sarrah Williams, November 2022.

Soundtrack: Die schönste von allen bekannten Tausenden Versionen Stille Nacht ist zweifellos eine englische – Silent Night –, nämlich die von die von Tom Waits. Sie ist nie auf einer Original-CD von ihm erschienen, insofern eine Rarität, nur auf SOS United, 1989 – eine Stiftung von Tom Waits für die SOS-Kinderdörfer. Der teilhabende Kinderchor bleibt unbekannt, weil ungenannt.
Im Video: Correggio: Anbetung der Hirten, 1530 (Detail); Tintoretto, 1545 oder 1578; Gerrit van Honthorst, 1622 oder 1646.

Written by Wolf

23. Dezember 2022 at 00:01

Ob ich recht erraten könne, was die Minne sei?

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Update zu Der Weise aus dem Mörchenland,
Da ist schwäb’scher Dichter Schule, und ihr Meister heißt – Natur!
und Der arme Stephan mit dem gebackenen Kopf:

Unserer Vorliebe für siebenzeilige Strophen folgend, entdecken wir welche im Minnesang des Hochmittelalters. Letzteres wiederum entdecken wir im historischen Bestsellerroman der deutschen Romantik, und Wilhelm Hauff tut uns gleich den Gefallen und erklärt das Wichtigste im eigenen Primärtext.

Literaturgeschichtlich hat Lichtenstein, Wilhelm Hauff 1826, mehrmals die wunderschönsten, dabei noch historisch informative Illustrationen erfahren, die man neben getrost bei Inge Nunnenmacher: Wilhelm Hauff und sein Roman Lichtenstein. Folge I, 2013 ff. im gewohnt kompetenten Goethezeitportal nachschlagen mag; mit Folge II: Ein Märchenschloss wird Wirklichkeit, 2013 f. und Folge III: „Wer kennt nicht Wilhelm Hauff, den schwäbischen Walter Scott? Wer hat nicht seinen Lichtenstein gelesen?“ (Griesinger) Ein Beitrag zur Rezeption von Hauffs „Lichtenstein“, 2014 ergibt sich eine nahezu erschöpfende Dokumetation.

Weil sich mein Beitrag durch solche Vorarbeit überflüssig gemacht hat, bringe ich im Bildmaterial nur thematisch halbwegs passend das zeitgenössische Lied Under der linden im Laufe der Zeit – übrigens vom selben Dichter und gleichfalls mit einer waghalsig ungeraden Verszahl von 9 –, und wir können in dem höchst cantabilen ABABCXC (6. Vers verwaist) des Vogelweidners baden.

Herr Konrad von Altstetten, Manessische Handschrift

——— Wilhelm Hauff:

Lichtenstein

Erster Teil, VII, aus: Lichtenstein. Romantische Sage aus der würtembergischen Geschichte,
Friedrich Franckh, Stuttgart 1826, cit. nach Winkler-Ausgabe 1970, Band 1, Seite 58 f.:

Endlich ergriff sie, als gar nichts mehr helfen wollte, ihre Laute, die in der Ecke stand. Marie besaß auf diesem Instrument große Fertigkeit, und Berta hätte sich sonst nicht leicht bewegen lassen, vor der Meisterin zu spielen. Doch heute hoffte sie durch ihr Geklimper wenigstens ein Lächeln ihrer Base zu entlocken. Sie setzte sich mit großem Ernste nieder und begann:

„Fragt mich jemand, was ist Minne?
Wüßt ich gern auch darum meh(r).
Wer nun recht darüber sinne
Sag mir, warum tut sie weh?
Minne ist Liebe, tut sie wohl;
Tut sie weh, heißt sie nicht Minne.
Oh, dann weiß ich, wie sie heißen soll.“

„Wo hast du dies alte, schwäbische Liedchen her?“ fragte Marie, die der einfachen Musik und dem lieblichen Text gerne ihr Ohr lieh.

„Nicht wahr, es ist hübsch? aber es kommt noch viel hübscher, wenn du hören willst“, antwortete Berta; „das hat mich in Nürnberg ein Meistersänger, Hans Sachs, gelehrt, es ist übrigens nicht von ihm, sondern von Walther von der Vogelweide, der wohl vor dreihundert Jahren gelebt und geliebt hat. Höre nur weiter:

Ob ich recht erraten könne,
Was die Minne sei? so sprecht ja;
Minne ist zweier Herzen Wonne;
Teilen sie gleich, so ist sie da.
Doch – soll ungeteilt sein,
So kann ein Herz allein sie nicht enthalten;
Willst du mir helfen, traute Jungfrau mein?

Nun hast du geteilt mit dem armen Junker?“ fragte die schelmische Berta ihre errötende Base. „Vetter Kraft möchte gerne auch mit mir teilen, einstweilen kann er aber seinen ganzen Part allein tragen. Doch du wirst mir wieder ernst, ich muß schon noch ein Liedchen des alten Herrn Walthers singen:

Ich weiß nicht, wie es damit geschah,
Meinem Auge ist’s noch nie geschehen,
Seit ich sie in meinem Herzen sah
Kann ich sie auch ohne Augen sehen;
Da ist doch ein Wunder mit geschehen,
Denn wer gab es, daß es ohne Augen
Sie zu aller Zeit mag sehen?

Wollt ihr wissen, was die Augen sein,
Womit ich sie sehe durch alle Land,
Es sind die Gedanken des Herzens mein
Damit schau ich durch Mauer und Wand,
Und hüten diese sie noch so gut,
Es schauen sie mit vollen Augen
Das Herz, der Wille und mein Mut.“

Marie lobte das Lied des Herrn Walther von der Vogelweide als einen guten Trost beim Scheiden; Berta bestätigte es. „Ich weiß noch einen Reim“, sagte sie lächelnd, und sang:

„Und zog sie auch weit in das Schwabenland,
Seine Augen schauen durch Mauer und Wand,
Seine Blicke bohren durch Fels und Stein,
Er schaut durch die Alb nach dem Lichtenstein!“

Als Berta noch im Nachspiel zu ihrem Liedchen begriffen war, ging die Gartenpforte; Männertritte tönten den Gang herauf, und die Mädchen standen auf, die Erwarteten zu empfangen.

Eduard Ille, Under der Linden

——— Walther von der Vogelweide:

Saget mir ieman, waz ist minne?

Original 1. und 2. Strophe, cit. nach: Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche.
14., völlig neubearbeitete Auflage der Ausgabe Karl Lachmanns
mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996:

I

Saget mir ieman, waz ist minne?
weiz ich des ein teil, sô west ich es gerne mê.
der sich baz denne ich versinne,
der berihte mich, durch waz sie tuot sô wê.
Minne ist minne, tuot sie wol;
tuot sie wê, sô heizet sie niht rehte minne.
sus enweiz ich, wie sie denne heizen soll.

II

Ob ich rehte râten kunne,
waz die minne sî, sô sprechet denne jâ.
minne ist zweier herzen wunne:
teilent sie gelîche, sô ist die minne dâ.
Sol sie aber ungeteilet sîn,
sône kan sie ein herze aleine niht enthalden.
owê, woltestû mir helfen, vrouwe mîn!

III

Vrouwe, ich trage ein teil zuo swære,
wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît.
sî aber ich dir gar unmaere,
daz sprich endeclîche, sô lâz ich den strît
Und bin von dir ein ledic man.
dû solt aber einez rehte wizzen, ,
daz dich lützel ieman baz geloben kan.

IV

Ich wil alsô singen immer,
daz sie danne sprechen: >erne sanc nie baz<.
desne gedankestû mir nimmer!
daz verwîz ich dir alrêst, sô denne daz.
Weistû, wie sie wünschen dir?
>daz sie sælic sî, durch die man uns sus singet!<
sich, vrouwe, den gemeinen wunsch hâstû ouch von mir!

V

Kan mîn vrouwe süeze siuren?
wænet sie, daz ich ir liep gebe umbe leit?
solt ich sie dar umbe tiuren,
daz sie sich kêre an mîn unwerdekeit?
Sô kunde ich unrehte sprechen.
wê, waz rede ich ôrlôser und ougen âne?
swen die minne blendet, wie mac der gesehen?

Ein Übersetzungsvorschlag
zu Walthers „Saget mir ieman, waz ist minne?“

Übersetzt nach Cormeau, 44:

I

Kann mir jemand sagen, was Minne ist?
Verstehe ich auch etwas davon, so wüsste ich gerne mehr.
Wer sich besser als ich darauf versteht,
der möge mich belehren, weswegen sie so schmerzt.
Minne ist Minne, wenn sie gut tut;
tut sie aber weh, so heißt sie zu unrecht Minne.
So aber weiß ich nicht, wie sie sonst heißen soll.

II

Wenn ich es vermag, richtig zu raten,
was die Minne sei, so stimmt mir zu. (ruft sodann „Jâ“)
Minne ist ist die Freude zweier Herzen:
teilt man sie gleichermaßen, so ist die Minne da.
Ist sie aber ungeteilt sein,
so kann sie ein Herz alleine nicht aufrecht erhalten.
Weh mir! Meine Herrin, würdest du mir doch helfen wollen!

III

Herrin, ich trage die Last von Zweien,
wenn du mir helfen willst, so hilf mir bald.
Bin ich dir aber völlig gleichgültig,
sprich es rasch, so lasse ich ab von meinem Kampfe.
Und bin frei von dir.
Eines sollst du aber wahrhaft wissen, Herrin,
Niemand kann dich jemals besser loben.

IV

Ich werde so immer singen,
dass sie sagen werden: „Er sang nie besser!“.
Worauf du mir niemals Dank erwidern wirst!
Zurecht werfe ich dir dies vor, und so auch das Folgende.
Weißt du, was sie dir wünschen?
„Gesegnet sei jene, derentwegen man uns so vorsingt!“
Siehe, Herrin, den gemeinen Wunsch verdankst du mir auch.

V

Kann meine Herrin Süßes verbittern?
Glaubt sie, dass ich ihr Freude schenke, um Leid zu empfangen?
Sollte ich sie darum höher schätzen,
dafür dass sie sich meiner Wenigkeit zuwendet?
Dann besäße ich keinen Verstand.
O weh, was rede ich Tauber und Blinder?
Wen auch immer die Minne blendet, wie vermag der zu sehen?

Wilhelm von Kaulbach, Unter den Linden auf der Heide, o. J.

Bilder: Unter der Linde:

  1. Her Chunrat vo Altstetten, Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 249v;
  2. Eduard Ille: Under der Linden, Wandgemälde in Schloss Neuschwanstein, also ca. 1869,
    via Elobrus Maximus: Walther von der Vogelweide (1170–1230) – „Saget mir ieman, waz ist minne“ (Minnesang), 20. Oktober 2015;
  3. Wilhelm von Kaulbach: Illustration zu Walter von der Vogelweide: Unter der Linden,
    alte Postkarte aus der Sammlung: Wilhelm von Kaulbach. Zwölf Bilder zu Schiller’s Dramen u.a.
    in Ansichtspostkarten. Verlag von K. Ad. Emil Müller in Stuttgart. o. J.

Soundtrack: Courtly Love: Mirage, 2014:

Written by Wolf

16. Dezember 2022 at 00:01

La Wölfin lernt einen Podcast 1.0

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Update zu Den Bach runter,
Danne ich wüete fluot des rîfen nû mit füezen bar,
Wir rechnen jahr auff jahre / in dessen wirdt die bahre vns für die thüre bracht
und Da unten in jenem Thale (da geht ein Kollergang):

Es ergeht Empfehlung für eine Art Podcast 1.0, mit der tröstlichen Gewissheit, dass hier ein Opus in seiner Abgeschlossenheit vorliegt.

Zweifarbig lackiert„Halt, halt, halt“, gebietet die Wölfin.

„Was denn wieder?“ halte ich sofort ein.

„Der Mann ist nach dem dreizehnten Vortrag gestorben“, sagt die Wölfin, „was soll denn daran tröstlich sein?“

„Genau das, was ich gesagt hab“, sag ich: „dass es nicht mehr als 13 Teile werden können.“

„Du wünschst Studiendirektoren den Tod, damit du nicht mehr als 320 Seiten lesen musst?“

„Das hab ich ganz sicher nicht gesagt“, sag ich, „auch aus dem traurigen Anlass des Ablebens kann Trost entstehen. Ja, so weit möchte ich mich aus diesem Fenster werfen, zu sagen, dass ohne den traurigen Anlass kein Trost notwendig wäre.“

„Wolfwolfwolf“, seufzt die Wölfin, „hingenommen. Fahre fort.“

Es ergeht Empfehlung, sagte ich, für die Vorträge von Wolfgang Beitinger, Lehrer für Latein, Altgriechisch und Deutsch in Kaufbeuren.

„Warum?“ fragt die Wölfin. – Darum:

Wolfgang BeitingerHier finden Sie insgesamt 13 germanistische Fachvorträge aus dem Nachlass von StD a. D. Wolfgang Beitinger († 2010). Gehalten wurden diese Vorträge in den Jahren 1993 bis 2007. […] Für Leute, die nicht so gern am Bildschirm lesen und lieber ein komplettes Buch in Händen halten, gibt es einen 320-seitigen Sammelband aller dreizehn Vortrags-Manuskripte als Taschenbuch (9,90 €). Er eignet sich auch als Geschenk für literarisch Interessierte, die selber keinen Computer haben.

Dass es das – immerhin ab anno salutis 2017 – noch geben darf.

„Was genau“, fragt die Wölfin, „macht es zum Podcast?“ – Nun, die Selbstbeschreibung:

Von allen Vorträgen gibt es Manuskripte. Von einigen gibt es zusätzlich komplette Tonaufnahmen. Diese Materialien stehen hier einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung. Sie dürfen kostenlos genutzt und in unveränderter Form weitergegeben werden.

Bilder und Musikbeispiele, die im Text erwähnt werden, sind aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht enthalten.

Die Tonaufnahmen können Sie direkt von dieser Internetseite abspielen (Wiedergabe-Schaltflächen direkt unter den Titeln). Alternativ können Sie MP3-Dateien herunterladen und mit einem Player Ihrer Wahl wiedergeben.

Darunter die Sammel-Downloads.

„Was genau“, lässt die Wölfin nicht locker, „macht es 1.0?“ – Nun, dass ihm vom Seitenbetreiber Andreas Beitinger, vermutlich einem überlebenden Verwandten des vortragenden Studiendirektors a. D., keine widerwärtige Kommentarfunktion mit Ambition zur Community-Bildung angekleistert wurde.

„Das ist überaus tröstlich“, sagt die Wölfin.

„Sag ich doch“, sag ich.

„Und was genau steht drin?“ – Alle dreizehn Vorträge, darunter auch der ausgefallene:

  1. Cover Vorträge von Wolfgang Beitinger. Sammelband Taschenbuch, 2017Wallenstein aus kurbairischer Sicht: 31.03.1993 im Gablonzer Haus, 16 Seiten;
  2. Adalbert Stifter: Der Böhmerwald und das „Sanfte Gesetz“ 30.03.1994 im Gablonzer Haus, 15 Seiten;
  3. Mozart auf der Reise nach Prag. Historie – Dichtung – Musik: 29.03.1995 im Gablonzer Haus sowie am 21.11.1995 im Gasthof zum Goldenen Schwanen in Frankenried, 18 Seiten, Tonaufnahme 88 Minuten;
  4. Franz Grillparzer: Libussa und die Gründung Prags: 27.03.1996 im Gablonzer Haus, 16 Seiten, Tonaufnahme 84 Minuten;
  5. Clemens Brentano – ein Romantiker in Böhmen 1811 bis 1814: 19.03.1997 im Gablonzer Haus, 19 Seiten, Tonaufnahme 101 Minuten;
  6. Joseph Freiherr von Eichendorff: „… Und die Welt hebt an zu singen“: 01.04.1998 im Gablonzer Haus, 19 Seiten, Tonaufnahme 80 Minuten;
  7. Goethe: Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident: zum „West-östlichen Divan“ von Johann Wolfgang von Goethe am 24.03.1999 im Gablonzer Haus, 22 Seiten, Tonaufnahme 96 Minuten;
  8. Schlesische Lyrik im 17. Jahrhundert – Blütezeit deutscher Dichtung mitten im großen Krieg: Vortrag mit Dichterlesung am 19.04.2001 in der Schlesischen Heimatstube Kaufbeuren, 12 Seiten, Tonaufnahme 61 Minuten;
  9. Rainer Maria Rilke – Ein deutscher Lyriker aus Prag: 12.03.2003 im Gablonzer Haus, 20 Seiten, Tonaufnahme 124 Minuten;
  10. Gedenkstunde für Joseph von Eichendorff: 29.11.2003 beim Eichendorff-Denkmal Frankenried, 8 Seiten;
  11. Der Ackermann aus Böhmen. Ein Kleinod deutsch-böhmischer Literatur um 1400: 10.03.2004 im Gablonzer Haus, 16 Seiten, Tonaufnahme 98 Minuten;
  12. Adalbert Stifter: „Die Mappe meines Urgroßvaters“: Vortrag und Lesung (am 16.03.2005 im Gablonzer Haus geplant, aber ausgefallen), 6 Seiten;
  13. Eichendorff als politischer Denker: 25.11.2007 im Gasthof zum Goldenen Schwanen in Frankenried, 8 Seiten.

„Hab ich’s doch gewusst“, sagt die Wölfin, „nichts als Großvaterthemen.“

„Was fürs Leben halt.“

„Wolfwolfwolf“, seufzt die Wölfin.

Bilder: a. a. O., 2017;
eins von ungefähr Silvester 2017.

Soundtrack: Joseph von Eichendorff: Lied/Das zerbrochene Ringlein/In einem kühlen Grunde/Untreue, 1813;
Musik: Friedrich Glück/Friedrich Silcher; Regie: Joseph Vilsmaier, 1997:

Written by Wolf

9. Dezember 2022 at 00:01

Veröffentlicht in Klassik, Weisheit & Sophisterei

Begräbnis des Glaubens (L’enterrement de la foi)

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Update zu Paris Faustiens,
Dieses unnötige, ja sinnlose Hin und Her
und Moritz Under Ground:

Die junge, noch nicht Neue Zürcher Zeitung berichtete am 14. Juni 1780, und zwar aus ihrem Standort Berlin:

Heute ist der Sterbetag des Herrn von Voltaire auf Sr. Majestät Befehl in der hiesigen Katholischen Kirche feyerlich begangen worden. Es wurde bey dieser Gelegenheit eine hohe Messe gehalten, und in der Mitte der Kirche war ein Castrum doloris errichtet, auch die Kirche mit vielen Waxlichtern erleuchtet. Die Kosten hierzu haben Se. Majestät gegeben. – Diese andächtige Feyerlichkeit wurde in Gegenwart einer ansehnlichen Versammlung, Personen von allen Ständen verrichtet, welche nach deren Beendigung reichliche Allmosen unter die Armen austheilten.

Die Katholischen Mitglieder der hiesigen Königl. Akademie der Wissenschaften haben diese Messe veranlasset, und der hiesige Herr Pfarrer hat um so weniger Bedenken getragen darein zu willigen, da sie ungezweifelte Beweise beygebracht, daß der Herr von Voltaire kurz vor seinem Ende ein Christ-Katholisches Glaubens-Bekenntniß abgelegt, ordentlich gebeichtet, seinem christlichen Nebenmenschen durch Allmosen und andere gute Werke ein Beyspiel gegeben, und nach seinem erfolgten Ableben in die Abtey Scellieres […] nach den Gebräuchen der katholischen Kirche beerdiget, mithin der französischen Geistlichkeit um so mehr zur Ungebühr und boshafter Weise zur Last gelegt worden, daß sie ihm die kirchliche Beerdigung versaget, da dieser ehrwürdige Stand es nicht würde haben wollen an sich kommen lassen, daß er die Grundsätze der Gerechtigkeit[…] aus den Augen gesetzet, wodurch er den Verdacht eines mit der christlichen Liebe und aller wahren Tugend streitenden Privathasses gegen sich erweckt haben würde.

Jedenfalls hinterbringt es so die Neue Nachfolgerin ihrer selbst in in: Voltaires Totenmesse, Neue Zürcher Zeitung, 2. August 2005. Und für einen Todestag am 30. Mai 1778 wäre ein Begräbnis anno 1780 doch auffallend spät.

Das Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon von 1837 erklärt uns den Verzug:

Im Théâtre français wurde seine Büste und er selbst gekrönt; allein der 84jährige Greis ward von allen diesen Festlichkeiten und der veränderten Lebensweise so angegriffen, daß er erkrankte, eines Tages schwermüthig ausrief: „er sei blos nach Paris gekommen, um Ehre und Grab zu finden“, und im Mai 1778 starb. Da er nicht wie ein katholischer Christ verschieden war, verweigerte der Erzbischof ihm in Paris ein ehrliches Begräbniß und seine Leiche ward deshalb im Stillen nach der Abtei Scellières (zwischen Troyes und Noyent) gebracht und bestattet. Im J. 1791 ließ aber die Nationalversammlung V.’s Asche nach Paris holen und feierlich im Pantheon (s.d.) beisetzen.

Ausführlicher hat man es seit 1992:

——— Hans Pleschinski:

Voltaire – Friedrich der Große.
Briefwechsel.
Herausgegeben, vorgestellt und übersetzt von Hans Pleschinski

aus: ebenda, Haffmans Verlag, Zürich 1992, Seite 555:

Voltaire, Brockhaus 1837, 1841Eine größere Makabrität als das Nachspiel zum Sterben Voltaires ließe sich kaum erfinden. Bei der Sektion und Einbalsamierung des Leichnams, um den sich die Nichte und Haupterbin Marie-Louise Denis nicht mehr kümmert, nimmt der Chirurg das Gehirn Voltaires an sich und überläßt dem Marquis de Villette, Voltaires letztem Gastgeber, das Herz des Toten, in einer Kapsel verwahrt. Der Erzbischof von Paris lehnt eine ordentliche Beisetzung des Verstorbenen kategorisch ab. Einbalsamiert und angekleidet, wie ein Schlafender, wird der Leichnam aus Paris herausgebracht, wird tagelang kreuz und quer durch Ostfrankreich gefahren, bis Voltaires Neffe bei Troyes endlich einen Geistlichen findet, der bereit ist, die sterblichen Überreste des Freigeists in der Abtei Scellières beizusetzen. Ein Grabmal darf jedoch nicht errichtet werden, und überdies wird der hilfreiche Abbé Mignot alsbald seines Amtes enthoben.

Dreizehn Jahre lang ruht der Leichnam in der Champagne. 1791 wird er in der Abtei aufgestöbert und zum Heiligtum der Revolution erklärt. Am 11. Juli 1791, genau dreizehn Jahre nach Voltaires Tod, muß der schon halbwegs inhaftierte Ludwig XVI. aus den Tuilerien mitansehen, wie die leiblichen Überreste des Philosophen und Ex-Historiographen Ludwigs XV. in einem Prunkkatafalk nach Paris überführt und als Symbol des Umsturzes und der Freiheit ins Panthéon gebracht werden. Dort bleibt Voltaire – neben den Resten seines Antipoden Jean-Jacques Rousseau – bis 1814. Wiederum im Mai stürmen katholische Ultraroyalisten das Mausoleum der Revolution und Republik, brechen die Sarkophage auf und vernichten die Philosophengebeine vor der Stadt in ungelöschtem Kalk.

Voltaires riesige Bibliothek wird von seinen Erben gleich nach seinem Tod verkauft und trifft schon 1778 in Petersburg bei Katharine der Großen ein; Voltaires präpariertes Herz, eingeschlossen in einer goldenen Kapsel, wird im 19. Jahrhundert Eigentum der Bibliothèque Nationale in Paris.

Und das einem Mitglied der Académie française, dem eine Totenmesse zusteht. Offenbar kann sich die NZZ a. a. O. in Detailfragen des Voltaireschen Vermächtnisses recht sicher sein:

Zwar wünschte sich der Philosoph tatsächlich ein ordentliches christliches Begräbnis, aber er machte dem Klerus die geforderten Zugeständnisse nicht: Er legt auf dem Totenbett die Lebensbeichte ab, verweigert aber sowohl den vollen Widerruf seines Werks als auch die Kommunion.

Von Voltaires posthumer Odyssee, die in den absolutiven Stunt mit dem ahnungslosen Prior der Abtei Scellières mündete, über die quasireligiöse Überführung ins Panthéon kurz nach Ausbruch der Französischen Revolution und auf Betreiben des Enzyklopädisten d’Alembert bis hin zur Grabschändung durch die Allzukatholischen schien mein alter Religionslehrer (katholisch) nichts zu wissen. Der stellte es noch so dar, dass Voltaire allein in seinem Sterbekämmerlein jämmerlich vor sich hin verreckte, warum auch immer jemand dergleichen zugelassen haben sollte, und bis zu seiner Auffindung mit blutigen Fingernägeln „Ich bereue“ in die Wand neben seinem Bett geschürft hatte. Und dann wusste der Herr Lehrer nicht mal, um die Anschlagszahl pro Fingernagel einzuschätzen, was „bereuen“ auf französisch heißt.

Man kann immer nur das glauben, was einem aktuell hinterbracht wird. Mir selber sagt die Version Pleschinksi 1992 am meisten zu – was gut damit zusammenhängen kann, dass ich das wirklich wunderschöne Buch mal auf einem Nymphenburger Bücherramsch gefunden hab. Tipp für Neuanschaffungen: Das leichter erreichbare Taschenbuch bei dtv 2004 soll eine „völlig revidierte Neuausgabe“ sein.

Bild: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4, Leipzig 1841.

Soundtrack: Aurelio Voltaire: Death Death (Devil, Devil, Devil, Devil, Evil, Evil, Evil, Evil Song),
aus: To the Bottom of the Sea, 2008:

Written by Wolf

2. Dezember 2022 at 00:01

Veröffentlicht in Aufklärung, Vier letzte Dinge: Tod