Archive for März 2018
Dem Knaben graut im Haidekraut
Update zu Ho, ho, meine arme Seele!:
Es lässt sich leider nicht in Abrede stellen, dass Forscher, welche sich mit zahlreichen Fragen beschäftigen, die besonders die Hochmoore stellen, schon jetzt im nordwestdeutschen Tieflande, einem der Moorreichsten Länder der Erde, sich vergeblich um deren Lösung bemühen. In wenigen Jahren wird dies überhaupt nicht mehr möglich sein, bei der Hast, mit der man bemüht ist, die letzte Spur der Natur auf diesen interessanten Bildungen der Nützlichkeit zu opfern.
Carl Albert Weber, 1901.
Wie versprochen verlautet nachstehend das Gedicht vom Haidemesser, das aller Wahrscheinlichkeit nach die Freiin Annette von Droste-Hülshoff im November 1841 zu ihrem Der Knabe im Moor angeregt hat.
Um bei dieser Gelegenheit der Frage eines nicht gerade minderbemittelten, nur eben mit anderen Sachen beschäftigten Kollegen zu begegnen: Doch, ja, wirklich, solche Interferenzen lassen sich schlüssig begründen und nachweisen; und: nein, nicht mit allerletzter, unwiderlegbarer Sicherheit. Leider zählt die Literaturwissenschaft „nur“ unter die Geisteswissenschaften, die nicht alles durch Empirie beweisen können, aber keineswegs bei beliebig austauschbaren Assoziationen und Vermutungen verweilen. Deshalb bleiben sie weiterhin Wissenschaften, weil sie auf logischen Wegen zu Ergebnissen kommen. Woraus ich betonen möchte: auf logischen Wegen; daran muss man oft auch die Literaturwissenschaftler selbst erinnern. Aber das funktioniert, und es funktioniert wissenschaftlich durch Deduktion und Induktion.
Der schlüssige Nachweis von dem apokryphen Gedicht Der Haidemesser von einem anonym bleibenden „B.H.“ auf Der Knabe im Moor geht so: Der Haidemesser stand am 18. Dezember 1837 im Unterhaltungsblatt des Westfälischen Merkur, den sich die Droste bis auf Schloss Meersburg am Bodensee liefern ließ — weil sie ihr angekauftes Fürstenhäusle krankheitshalber von ihrer Schwester und Schlossherrin verwalten lassen musste. was sie leider nicht mehr überleben sollte.
Nach der anderen Richtung — zurück in die Vergangenheit, auf die Quelle zu — reicht Der Haidemesser inhaltlich an das Gedicht Der Heidemann von Wilhelm Junkmann von 1836. Mit Junkmann war die Droste persönlich bekannt, kurz nach dem Knaben im Moor schrieb sie 1842 ihrerseits eine eigene Version gleichen Namens.
Zu den Handlungsmotiven bei B.H., Junkmann und Droste-Hülshoff: Auch bei der Droste — wie übrigens schon im alles andere als vorbildlosen Erlkönig von Goethe 1782 — flieht ein Knabe vor dem versammelten Volksaberglauben, den die Droste 1845 noch in Gestalten der Sonntagsspinnerin, des diebischen Torfgräbers und des kopflosen Geigers in den Westphälischen Schilderungen ausbreiten sollte. Darüber hinaus sollten dem eingesessenen Westfalen Moorlandschaften geistig sehr viel näher liegen als anderen Ethnien: sind im heutigen Nordrhein-Westfalen doch in Zeiten der Entwässerung bis heute auffallend viele Moore erhalten. Für die Empiriker unter uns sind das Zufälle, deren Logik nicht eindeutig zwingend sein kann, für Literaturwissenschaftler sind es Zufälle, die sich nicht mehr ignorieren lassen.
Im Falle der Droste erfährt man diese Herleitung aus ihrer Gesamtausgabe von Bodo Plachta und Winfried Woesler — zwei Bände, Deutscher Klassiker Verlag, als wohlfeilere Hardcovers bei Insel — die ihren Kommentar offenbar sehr direkt aus der großen Gedichtinterpretation von Hermann Kunisch bezieht: In Annette von Droste-Hülshoff: ‚Der Knabe im Moor‘ in: Kleine Schriften. Zweiter Teil: Zur neueren deutschen Literatur, Duncker & Humblot, Berlin 1968, Seite 303 bis 337 steht in allen Wortsinnen erschöpfend alles zusammengetragen, was es zu Geschichte, Deutung und Bedeutung der Drosteschen Ballade zu wissen gibt — diese 35 Seiten der „Kleinen Schrift“ sind das einschlägige Standardwerk. Zur Erschließung der Quellen heißt es dort — wertend genug:
Die bisherige Beschreibung und Auslegung des ‚Knaben im Moor‘ kann in ihrem Gewicht verstärkt werden, wenn wir neben dieses Gedicht ein im Thema verwandtes eines münsterländischen Heimatpoeten stellen. Julius Schwering hat in seiner für die Klärung der Dichtung Annettes noch immer wichtigen Ausgabe [] ein Gedicht eine unbekannten (B. H. unterzeichnet) mitgeteilt, das im Unterhaltungsblatt des ‚Westfälischen Merkur‘ vom 18. 12. 1837 erschienen ist. Schwering vermutet, daß die Dichterin dieses Machwerk gekannt habe und von ihm zu ihrem angeregt worden sei. Das ist sicher zutreffend. Nur darf man darüber hinaus sagen, daß Widerspruch gegen dieses Erzeugnis, in dem ein großartiger Vorwurf kläglich vertan worden war, sie zu ihrem Gedicht veranlaßt haben kann. Jedenfalls ist das Gedicht aus dem ‚Westfälischen Merkur‘ geeignet, den Rang der Drosteschen Balle in volles Licht zu rücken.
Ein Machwerk also, das einen großartigen Vorwurf kläglich vertut. Die Leistung der Droste wäre demnach, aus Widerspruchsgeist eine regionale Gespenstergeschichte in der Tradition des Erlkönigs verbessert zu haben; die Leistung der heute gut erreichbaren Gesamtausgabe, das „Machwerk“ im Gegensatz zu Hermann Kunisch in originaler Rechtschreibung anzuführen. Die Typographie der Zeileneinrückungen entnehme ich dagegen nur dem Kunisch:
——— B. H.:
Der Haidemesser
Unterhaltungsblatt des Westfälischen Merkur, 18. Dezember 1837:
Der Süd durchfleucht
Die Haide feucht,
In himmlischer Ferne
Erblassen die Sterne,
Es eilet der Knabe: O wär ich zu Haus!
Da ist es warm, da wird mir nicht graus!“Dem Knaben graut
Im Haidekraut,
Da glühet es helle
Von Stelle zu Stelle,
Da zittert das kraut, da risselt der Schilf.
Der Knabe rufet: „Mein Vater, o hilf!“Der Knabe flieht
Durch Kraut und Riet,
Und stürzt in die Hütte
Mit bebendem Schritte,
Da athmet er frei, da wehet es warm.
„Was bist du so blaß? Komm, ruh‘ mir im Arm!“Ach, ach, mir graut‘
Im Haidekraut,
Da glüht es so helle
Von Stelle zu Stelle,
Da zittert das Kraut, da risselt der Schilf.
Ich rief vor Schrecken: „Mein Vater, o hlf!“„Mein Kind, das ist
Der böse Christ,
Durchwandelt die Haide
In Trauer und Leide
Mit dürrem Fuße bei nächtlichem Graun.
Und öfter noch wirst du im Sturm ihn schaun.Der Mann war schlecht,
Er maß nicht recht,
D’rum mißt er die Stätte
Mit glühender Kette
Von Alters her bis zum Ende der Welt.
Thu‘ immer, mein Söhnchen, was Gott gefällt!“
Knäbin im Moor: Martin Peterdamm, Berlin: Lost in the Swamp, 1. April 2017. Nach neuerer spontaner Auskunft des Fotografen selbst entstand die Serie an einem der brandenburgischen Moore: dem Moor um den Teufelssee, nahe dem Müggelsee, den Zeitstempeln nach zwischen 18.02 und 18.45 Uhr.
Soundtrack: Kate Bush: Wuthering Heights, aus: The Kick Inside, 1978: „Out on the wiley, windy moors, we’d roll and fall in green“, der Jugend zur Warnung:
Bonus Track: das gleiche nochmal von The Ukulele Orchestra of Great Britain, aus: A Fist Full of Ukuleles, 1994, weil Musik ja ruhig auch Spaß machen darf:
Wunder im Gehirn. Vier Bier und ein Buch de cerevisiis
Update zu Das Beste sind die Kartoffeln und
Damit du siehst, wie leicht sich’s leben läßt:
Das Elend mit der Hanserschen Jean-Paul-Gesamtausgabe von Norbert Miller mit den Kommentaren von Walter Höllerer ist ja, dass die Herren die Nahrungsmittel nicht erklären. Nun war es am 21. März auch schon wieder fünf Jahre her, dass Jean Paul 250 Jahre alt wurde. Der Mann ist also jetzt 255 und kann gewiss einige Hilfe gebrauchen, auch beim Feiern. Selber werd ich bald zarte 50 und vertrag schon nix mehr.
——— Jean Paul:
Die unsichtbare Loge.
Eine Lebensbeschreibung.
Mumien
Karl Matzdorffs Buchhandlung, Berlin 1793,
aus: Zweiter Sektor oder Ausschnitt: Ahnen-Preiskurant des Ahnen-Grossierers – der Beschäler und Adelbrief:
Darauf fußte der Urgroßvater, der ihm sein Adeldiplom abzufluchen und abzubetteln suchte, um es für sein eignes auszugeben: „Denn wer Teufel weiß es,“ sagte er, „dir hilft es nichts, und ich heft‘ es an meines.“ Ja der Ahnen-Kompilator, der Urgroßvater, wollte christlich handeln und bot dem Roß- und Ahnentäuscher für den Brief einen unnatürlich schönen Beschäler an, einen solchen Großsultan und Ehevogt eines benachbarten Roß-Harems, wie man noch wenige gesehen. Aber der Stammhalter drehte langsam den Kopf hin und her und sagte kalt „ich mag nicht“ und trank Zerbster Flaschenbier. Da er ein paar Gläser von Quedlinburger Gose bloß versucht hatte, fing er schon an, über das Ansinnen zu fluchen und zu wettern; was schon etwas versprach. Da er etwas Königslutterischen Duckstein, denk‘ ich, daraufgesetzt hatte (denn Falkenberg hatte einen ganzen Meibomium de cerevisiis, nämlich seine Biere, auf dem Lager): so ging er gar mit einigen Gründen seines Abschlagens hervor, und die Hoffnung wuchs sehr.
Als er endlich den Breslauer Scheps im Glase oder in seinem Kopfe so schön milchen fand: so befahl er, das Luder von einem elenden Beschäler in den Hof zu führen – – und da er ihn etwa zwei- oder dreimal mochte haben springen sehen: so gab er dem Urgroßvater die Hand und zugleich die 128 Ahnen darin.
Auf so engem Raum so viel zu trinken. Man merkt, dass Jean Paul fränkische Kneipen gewohnt war, und sein bevorzugtes „bitteres, braunes [Bayreuther] Bier“ (brieflich) ist noch nicht einmal dabei (historisch möglich wäre Becher-Bräu). Für die tiefreichende Tradition des Brauereigewerbes spricht, dass so zufällig wie beiläufig erwähnte Biersorten in einer fiktiven Biographie aus dem 18. Jahrhundert noch anno 2018 florieren.
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Zerbster Flaschenbier:
——— Alt-Zerbst: Das Zerbster Bier:
Den Hunger stillt die Brägenwurst;
Das Bitterbier, es löscht den Durst.In den Zerbster Bitterbierstuben, welche meist Fleischerei und Gastwirtschaft miteinander vereinten, konnte man einem nur schwer wiederstehen:
die nach Zwiebeln riechende köstliche und ziemlich fette Zerbster Brägenwurst!
Das Zerbster Bitterbier war wohl der bekannteste Exportschlager seit dem Mittelalter den Zerbst zu bieten hatte.
Bereits 1375 hatten sich schon die Brauer zu einer Innung zusammen geschlossen.
Der letzte bekannte Brauort des beliebten Bieres war die Ratsbrauerei (später Friedrichs) auf der Schleibank.
Zerbster Scherzfrage
Nenne ein ehemaliges Zerbster Erzeugnis, in dem jeder in dem Wort enthaltene Buchstabe zweimal vertreten ist???
„Bitterbier“
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Quedlinburger Gose:
——— Gose: Geschichte der Gose:
Unbestätigten Überlieferungen zufolge soll der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Otto III. bereits um das Jahr 1000 ein Liebhaber der Gose gewesen sein, die er bei Besuchen seiner Schwester Adelheid im Stift Quedlinburg trank.
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Königslutterisches Duckstein:
Duckstein Bier ist mir persönlich bekannt, weil das die Donaldisten gern auf ihren Zusammenkünften — Kongresse, Zwischenzeremonien, Mairennen und, wenn’s geht, den Stammtischen — verwenden. Natürlich wegen des Namens, aber der Stoff ist auch sonst uneingeschränkt zu empfehlen. Er schmeckt, sagen wir, diamanten. Glauben Sie mir, die Jungs — es sind eher wenige Mädels — verstehen zu leben. Auf der Bierseite erfahren wir von den Brauern und Mälzern selbst:
——— Duckstein Bier: Markenwelt. Tradition:
Die Geschichte von Duckstein beginnt in der Domstadt Königslutter am Elm. Das hier gebraute Bier wurde zunächst „Luttersches Bier“ genannt, aber nach und nach setzte sich der Name „Duckstein“ durch, der sich von „Tuffstein“ ableitet, der mächtigen Kalksinterschicht, auf der die Stadt erbaut ist.
Urkundliche Erwähnung fand Duckstein erstmalig in einem Gildebrief aus dem Jahre 1640. Innerhalb kürzester Zeit schaffte es die Bierspezialität in die besten Kreise: 1713 galt es als das Lieblingsbier des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. und fand im berühmten Tabakkollegium zahlreiche Liebhaber.
Bald darauf erfreute sich das rotblonde Bier auch überregional immer größerer Beliebtheit. Kein Wunder! Denn früher wie heute wird ein Duckstein nur mit erlesenen Zutaten gebraut und besitzt einen unvergleichbaren Geschmack.
——— Duckstein (Bier): Geschichte des Duckstein-Biers:
Duckstein-Bier wurde seit dem 17. Jahrhundert in Königslutter am Elm von bis zu 73 berechtigten Brauhäusern in der Stadt als obergäriges Weizenbier gebraut. Das Bier war von gelblicher Farbe, schmeckte süßlich und soll gegen vielerlei Krankheiten gut gewesen sein. Zutaten waren Weizen, etwas Hopfen und das Wasser des Baches Lutter, der mitten durch Königslutter fließt. Das harte Wasser der naheliegenden Lutter-Quelle am Elm eignete sich zum Brauen dieses Bieres besonders wegen seines hohen Mineralstoffgehaltes (Calcium- und Hydrogencarbonat). Der Bach entspringt dem größtenteils aus Kalkgestein aufgebauten Höhenzug Elm und schied im Bachbett in jüngeren geologischen Zeiten Kalktuff (Travertin) ab. Das gesteinsähnliche Material wird auch als „Duckstein“ bezeichnet und gab der Biermarke den Namen. […]
Das heute unter der Marke Duckstein angebotene Bier wird nicht mehr in Königslutter gebraut.
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Breslauer Scheps:
———- Kölner Bierhistoriker e. V.:
… auf den Spuren (fast) vergessener Bierrezepturen und Brautraditionen …:Breslauer Scheps
Einleitung
Das Breslauer (weiße) „Scheps“ oder vielfach auch „Schöps“ geschrieben, war vermutlich ein nicht-saurer Weizenbock. Der Name bedeutet vermutlich „kastriertes Hausschaf“, also Hammel, vom slawischen Lehnwort „skopez“ stammend. Es wurde auch „toller Wrangel“ oder lateinisch „Cerevisia Uratislaviensis“ genannt. Von Julius Ludwig Gumbinnen (1846) wird es zu den böhmischen und obersächsischen Bieren gezählt.
Gedichte
Scheps steiget ins Gesicht,
braucht keine Leiter nicht;
Er sitzet in der Stirn,
wirkt Wunder im Gehirn.Sie brauchen keinen welschen Wein,
nichts von Bacharach am Rhein,
Ihren Hals zu netzen,
auch nichts vom Kretenser Saft,
Schöps kann schon mit seiner Kraft
sie genug ergötzen.
Hier zu Bressel in der Stadt
dieser Trunk den Ursprung hat.
Von drei guten Sachen:
Hopfensamen, Weizengetreid,
wohl Wasser abgebräut,
solch Getränke machen.Rezepte
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Literatur
Annemüller, Gerolf; Manger, Hans J.; Lietz, Peter: Die Berliner Weiße. Ein Stück Berliner Geschichte. 1. Aufl. Berlin: VLB Berlin, 2008
Gumbinnen, Julius Ludwig: Handbuch der praktischen Bierbrauerei. 2. Band, Stuhr’sche Buchhandlung Berlin, 1846, unveränderter Nachdruck
——— Die Breslauer Bier-Legende: Über die Schöps-Biere:
Was ist über den „Breslauer Schöps“ im Wesentlichen zu sagen?
Eindeutig belegt sind zwei obergärige Varianten.
Das ist einmal der „Schwarze Schöps“, welcher den sogenannte „Ur-Schöps“ darstellt, also die Variante die zuerst gebraut wurde und die auch für die Namensgebung verantwortlich ist.
In allen Beschreibungen und Überlieferungen wird deutlich, daß es sich hierbei um ein dunkles, starkes, sowie nahrhaftes und sehr süffiges Weizenbier handelte, das aufgrund seiner Eigenschaften sehr beliebt war und wegen dieser Tatsachen von den damaligen Ärzten auch gerne als unterstützende Maßnahme beim Heilungsprozess mitverordnet wurde. Schon aus den verschiedenen Beschreibungen ist zu erkennen, daß es wohl vom Stammwürzegehalt höher, dehalb alkoholhaltiger und somit auch restzuckerhaltiger (deswegen süßer) und somit auch süffiger war, als andere Biere. Und süffigere Biere hatten schon immer den Vorteil, daß sie von der Mehrheit des Publikums bevozugt wurden. Deshalb wohl auch der große Erfolg des „Schwarzen Schöps“ über Jahrhunderte hinweg. All dieses und natürlich die Braukunst der Breslauer Brauer haben letztlich zur Erfolgsgeschichte des „Schöps“ beigetragen.
Später, im 18. Jahrhundert, kam dann auch der „Weiße Schöps“ (ein helles Hefeweizen mit ähnlichen Eigenschaften wie der „Schwarze Schöps“) auf, der alsbald aber dem „Schwarzen Schöps“ den Rang ablief. Das lag wohl an der damaligen Zeit und dem sich damals geänderten Geschmack des Publikums, welches, wie anderswo auch, halt immer mehr zum „Weissbier“ tendierte. Und auch diese helle Schöps-Variante war überaus erfolgreich und wurde von den Breslauer Kretschmern (Hausbrauern) bis ins 19. Jahrhundert hinein gebraut und geschänkt, während sich die normalen Brauereien schon früher vom Schöps lossagten und immer mehr untergäriges Braunbier nach „Münchner Art“ herstellten.
Und auch dieses wurde noch lange Zeit „Schöps“ genannt, woraus zu schließen ist, daß der Name „Schöps“ irgendwann schlechthin als Synonym für gute Schlesische Biere, insbesondere für solche aus Breslau benutzt wurde.
Bevor der „Schöps“ aufkam dominierte das „Schweidnitzer Bier“ in Breslau und in Schlesien, wurde aber dann vom „Breslauer Schöps“ verdrängt. Manchmal wird auch vom „Schweidnitzer Schöps“ gesprochen, was aber so nicht richtig ist. In diesem Fall steht „Schöps“ lediglich für „gut und beliebt“. Die Schweidnitzer wollten trotzdem noch einmal an die Hoch-Zeit ihrer Biere anknüpfen und nannten ihr Gebräu zeitweise wohl auch „Schöps“. Weil es aber nie die Qualität und Beliebtheit des „Breslauer Schöps“ erlangte, wurde es von der Bevölkerung spottenderweise nur „Stähr“ (Widder) genannt. […]
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Soweit war ich, als ich bemerkte, wie viel mehr Spaß es macht, über Bier zu reden, als nach Bildern davon zu suchen: Bier als — siehe oben — traditionsreiche Einrichtung entspringt sozialen und kommunikativen Bedürfnissen. Daher begreift es als seinen Job, von echten Leuten getrunken, nicht abgebildet zu werden. In den Geschichten der echten Leute fortzuleben, scheint ihm in Ordnung. Jean Paul kannte mehr als die vier gerade abgehandelten Biersorten, hat von allen gern erzählt und mehr als einmal seinen Wohnort nach seinen liebsten ausgesucht. Nicht auszudenken, was er von den heute üblichen zu Tode ausgeleuchteten Bildern von Bier gehalten hätte. Ebenso beiläufig wie das Bier erwähnt er das Fachbuch dazu:
Falkenbergs Meibomium de cerevisiis ist Johann Heinrich Meibom (1590 bis 1655): laut Kommentar der Gesamtausgabe von Walter Höllerer: Librum de vino et cerevisiis, posthum erschienen; anderweitig nachweisbar — in Pierer’s Universal-Lexikon und Johann Traugott Leberecht Danz: Versuch einer allgemeinen Geschichte der menschlichen Nahrungsmittel, Band 1 — als: De Cerevisiis poibusque et inebriaminibus extra vinum aliis, Helmstedt 1668.
Ein 125 Jahre altes Buch über Wein und Bier, das noch gilt. Ein lateinisches. Nein, da muss man sich heute auch nicht verschroben dabei vorkommen, einen 255. Geburtstag zu feiern. Falls gerade kein Becher-Bräu zur Hand ist, wäre wohl extrabitteres Pils passend oder alles aus Franken. Damit kann man nichts falsch machen.
Bilder: Das Zerbster Bier; Duckstein Bier; Fatal Women, 7. Oktober 2017.
Soundtrack, weil mir bei der bloßen Erwähnung der Stadt Zerbst unweigerlich Insterburg & Co. einfallen, und von denen ihr unsterbliches Meisterwerk Ich liebte ein Mädchen, aus: Laßt uns unsern Apfelbaum und andere brandneue Ladenhüter, 1970, als Single erst 1974 ein Hit, das ich mal zur Klampfe auswendig hersingen konnte:
Ich liebte ein Mädchen in Meißen,
die tat mir die Hose zerreißen,
ich liebte ein Mädchen im schönen Zerbst,
da hielt die Hose bis zum Herbst.
Wie schön, nach so vielen Jahren mal wieder das Lied aufzusuchen, um zu erfahren, dass es einen Extended Remix von 1995 gibt. In dem Zerbst gar nicht mehr vorkommt. Irgendwas ist ja immer:
Królowa nieba niezrównany (Himmels Königin ohne Gleichen)
Update zu Jug,
Und zwar es ist ja doch so und
Beiträge zur Arbeitsmoral (Ich begreif nicht, was Ihr habt):
Gibt es eigentlich noch Menschen, die sich über Deppenapostrophe echauffieren? Weiter gedacht: Sind Deppenleerzeichen noch diskutierwürdig?
Offensichtlich sind sie das, jedenfalls unter Nachwuchshipstern, die beim nächsten großen Ding hinterherhinken. Als man Max Goldt noch alles glauben konnte, hat er das Richtige über „Deppenapostrophe“ gesagt. Das war 1993, lange vor der Gründung der ersten Homepages, wo nicht gar Websites zur Geißelung vermeintlich falscher Rechtschreibung:
Liebe Leute: mich interessiert diese Mode, an Apostrophen zu mosern, überhaupt nicht. Wenn es Autoren gefällt, in den neuen Bundesländern, statt die dortigen Kunstschätze zu besichtigen, falsch geschriebene Imbißbuden zu photographieren und zu diesen Photos kleinkarierte Nörgelartikel mit rassistischer Tendenz zu verfassen, dann ist das deren Problem. Ich stehe fest zu meiner Überzeugung, daß es eine erstrangige charakterliche Widerwärtigkeit ist, sich über anderer Leute Rechtschreibfehler lustig zu machen. Erstaunlich ist, wie verbiestert gerade Leute, die sonst allen möglichen Regelwidrigkeiten oder sogar dem Anarchismus das Wort reden, sich über die paar überflüssigen Stricheleien ereifern.
Aktueller äußert sich der Sprachkolumnist Cus: Und Helga hat doch recht, Süddeutsche Zeitung, 22. September 2017:
Was die Oberlehrer gar nicht wissen wollen: Wahre Meister der Sprache lassen sich von kleinlichen Vorschriften nicht verdrießen. Thomas Mann, schludrigen Sprachgebrauchs nicht verdächtig, korrigierte in seine Gesamtausgabe von 1960 wieder die Apostrophe hinein, die ein übereifriger Lektor herausgestrichen hatte. Bravo, Mann! Und zwar immer dann, wenn ein Name auf einen Vokal endet: Tonio’s und Rebecca’s schrieb er folglich, alles andere empfand er als hässlich. Unsere dermaßen gescheiten Wutbürger von heute würden ihn des Deppenapostrophs bezichtigen, die von gestern verbrannten seine Werke.
Noch weniger als etwaige Schreibnachlässigkeiten müssen wir diskutieren, dass niemand jemals so weit hätte gehen dürfen, und selbst solche, die diesen Weg Schutze ihrer Kultur für den geeigneten hielten, schlugen ihn nicht wegen falsch gesetzter Hochkommata ein; übrigens erinnere ich mich an die ausdrückliche Rechtfertigung seiner Apostrophe vor Genitiv-s des ach so unpolitischen Emigranten Thomas Mann: „Ich finde, das Auge verlangt entschieden danach“, kann sie aber nicht nachweisen. Kennt jemand die Stelle?
Rechtschreibung war lange Sache eines Sprachgefühls der professionellen oder gelegentlichen Schreiber, die richtigen oder falschen Schreibweisen der individuellen Autorität und Expertise unterworfen, dem vermuteten Auffassungsvermögen der angesprochenen Leser – vorgesetzte Herrscher, zu unterweisende Gottesgläubige, auswärtige Handelspartner – und regionalen Spracheigenheiten – in Sachsen anders als im Rheinland, an der Etsch anders als am Belt – und zwar wesentlich anders. Groß angelegte Bestrebungen, Sprech- und Schreibweisen möglichst weitreichend zu vereinheitlichen, fangen ungefähr mit der Lutherschen Bibelübersetzung an, die sich immerhin an eine große Menge von Sprachgemeinschaften wandte, die sich allesamt als deutsch verstanden – also um 1545.
Und die Sprachentwicklung schreitet schnell: In der heutigen neuhochdeutschen Standardsprache richtet sich Österreich nach einem eigenen Duden, die Schweiz benutzt gar eine eigene Tastaturbelegung. 40 Jahre DDR haben gereicht, um ein – im Vergleich zum mittelalterlichen – recht fest umrissenes Sprachgebiet in zwei eindeutig unterschiedene Varianten zu teilen, von den Ausprägungen fortbestehender deutschsprachiger Minderheiten in aller Welt zu schweigen.
Weil wir über Deutschland reden, stellen wir ab der Barockzeit Gesellschaften zur organisierten Pflege der Sprache fest, allen voran die Fruchtbringende Gesellschaft 1617 bis 1680, die Aufrichtige Tannengesellschaft 1633 bis 1670, die Deutschgesinnte Genossenschaft 1643 bis 1705 unter dem schätzbaren Philipp von Zesen, den Elbschwanenorden 1656 bis 1667, aber 2005 vom Verein Deutsche Sprache wiederbelebt, und die Nürnberger Gesellschaft vom Gekrönten Blumenorden von der Pegnitz, vulgo Pegnesischer Blumenorden oder Societas Florigera ad Pegnesum ab 1644, die lückenlos bis heute besteht. Die Missstände, die solche Organisationen erkannten und mit als geeignet befundenen Methoden bekämpften, waren ein gedankenloser Gebrauch der Sprache, zu viele Anteile der deutschen an der französischen Sprache, vergleichbar mit der heutigen Kritik am Denglischen, oder zu wenige oder zu unklar vermittelte Regeln für die Herstellung von Literatur in ungebundener und lyrischer Form. Dagegen traten auch Einzelpersonen wie Gottfried Wilhelm Leibniz mit seiner Ermahnung an die Deutschen. Von deutscher Sprachpflege 1697 oder Martin Opitz mit seinem Buch von der Deutschen Poeterey 1624 auf. Manche davon – unter anderem der rezente Verein Deutsche Sprache – haben ihre Mission immer wieder übertrieben und sich der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein normativer Vorläufer des Duden wird ab 1774 mit dem „Adelung“ benutzt: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, wenn auch noch mit unterschiedlich wahrgenommener Verbindlichkeit.
Auf eine viel kürzere Geschichte kann die Kritik der Deutschsprachigen an der deutschen Sprache verweisen, sobald sie das übermäßige Trennen zusammengesetzter Wörter bemängelt. Traditionell macht sich das Deutsche eher durch zu lange Zusammensetzungen zum Gespött: Die „Freundschaftsbezeigungen“, „Dilettantenaufdringlichkeiten“, „Stadtverordnetenversammlungen“ und sonstigen „Umzüge sämtlicher Buchstaben des Alphabets“, vor denen es angeblich im Deutschen wimmelt, waren Mark Twain 1880 aufgefallen — das nur als prominentes und durchaus vergnügliches Beispiel. Spätestens seit nicht mehr kunstvoll verschraubte Hypotaxen einen wünschenswerten Sprech- und Schreibstil kennzeichnen, sondern schnell fassbare Hauptsätze, mag es Schreibern beigefallen sein, Komposita aufzulösen, wie es das im Lauf der Sprachgeschichte immer präsentere Englisch in systemkonformer und korrekter Weise pflegt. Hier fällt der Nachweis ebenfalls schwer, weil die Kritik daran meist in der Zurschaustellung und Geißelung der – zugegeben zahlreichen und oft eindeutig falschen – Fallbeispiele als „Deppenleerzeichen“, dem allzu nahen Verwandten des „Deppenbindestrichs„, steckenbleibt. Soviel wird immerhin erkennbar: dass ein instinktives Bedürfnis danach besteht, Komposita zugunsten der Schlichtheit zu entzerren, und sei es auf Kosten der Korrektheit – wie Thomas Mann (vielleicht) sagte: „Das Auge verlangt entschieden danach.“
Für zum Beispiel 1816 dürfen wir eine verhältnismäßig urtümlichere Schreibweise als für zwei Jahrhunderte später voraussetzen, den so verbreiteten wie verbindlichen Adelung hin oder her. Dem etwas hämischen Vergnügen nachgehend, zwielichtigen Verfehlungen anerkannter, ihrerseits normativ gewordener Klassiker hinterherzuspüren, lesen wir aus den Nachtstücken von E. T. A. Hoffmann: Die Jesuiterkirche in G. wieder. Dort ist mit „G.“ Glogau, das heute polnische Głogów gemeint, die Jesuiten residierten damals in der Corpus-Christi-Kirche, polnisch Kościół Bożego Ciała w Głogowie.
——— E. T .A. Hoffmann:
Die Jesuiterkirche in G.
aus: Nachtstücke, 1816:
Wir gingen nach der Kirche, der Professor ließ das Tuch von dem verhängten Gemälde herunternehmen, und in zauberischem Glanze ging vor mir ein Gemälde auf, wie ich es nie gesehen. Die Komposition war wie Raffaels Stil, einfach und himmlisch erhaben! – Maria und Elisabeth, in einem schönen Garten auf einem Rasen sitzend, vor ihnen die Kinder Johannes und Christus, mit Blumen spielend, im Hintergrunde seitwärts eine betende männliche Figur! – Marias holdes himmlisches Gesicht, die Hoheit und Frömmigkeit ihrer ganzen Figur erfüllten mich mit Staunen und tiefer Bewunderung. Sie war schön, schöner als je ein Weib auf Erden, aber so wie Raffaels Maria in der Dresdner Galerie verkündete ihr Blick die höhere Macht der Gottes-Mutter. Ach! mußte vor diesen wunderbaren, von tiefem Schatten umflossenen Augen nicht in des Menschen Brust die ewigdürstende Sehnsucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeöffneten Lippen nicht tröstend, wie in holden Engels-Melodien, von der unendlichen Seligkeit des Himmels? – Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der Himmels Königin, trieb mich ein unbeschreibliches Gefühl – keines Wortes mächtig, konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgeführt, an der Figur Elisabeths schien die letzte Hand zu fehlen, und der betende Mann war noch nicht übermalt. Näher getreten, erkannte ich in dem Gesicht dieses Mannes Bertholds Züge.
Bilder: Glogau/Oder Jesuitenkirche, Ansichtskarte 1934, Geschäfte und Jesuitenkirche — Glogau;
Hans-J. Breske: Es fehlen immer noch die Turmhauben,
Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2010, via Glogauer Heimatbund;
Zetem: Kościół Bożego Ciała, d. jezuitów Głogów, ul. Powstańców 1, Głogów, 10. August 2010;
Brigitte Marufke: Corpus-Christi-Kirche, frühere Jesuitenkirche, 2005,
aus: Quer durch Mitteleuropa mit Schwerpunkt Mittelpolen.
Deutsch-osteuropäischer Soundtrack: Rammstein: Du hast, aus: Sehnsucht, 1997,
einmal von Dobranotch aus Russland und einmal von Лос Колорадос aus der Ukraine,
jedenfalls zweimal dreimal besser als das Original:
Nachtstück 0013: It merely takes brains to outsmart these dumb critters!
Update zu Doktor Faustus goes Science Fiction
und Weihnachtsgabe:
Für Dipl.-Ing. FH Markus H. (50):
Selbst die nicht einfach kongeniale, sondern schlichtweg geniale Übersetzerin und Wegbereiterin moderner alltagssprachlicher Ausdrucksweisen Frau Doktor Erika Fuchs schöpfte nicht allein aus ihrem eigenen Inneren, sondern war auf Ideenzufuhr von außen angewiesen. Ihren Ehemann Dipl.-Ing. Günter Fuchs, der sie bei technischen Übersetzungspassagen beraten und mit mancher klassisch-literaischen Anspielung versorgen konnte, betrachtete sie als eine Art hiesige Entsprechung zum Entenhausener Daniel Düsentrieb.
Ihr bekanntester Satz „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“, der ihr meistens als Standardbeispiel für stilprägende Urheberschaft zugeschrieben wird, ist eine Ableitung von Heirich Seidel, die offenbar prächtig auf den angetrauten Ingenieur passte, und den sie über die Arbeitsjahre hinweg öfter verwenden konnte. Immer wird der Satz von Daniel Düsentrieb zur Selbstbeschreibung gesprochen, niemals schreibt Fuchs, wie gerne nachlässig kolportiert wird, „Inschinör“.
——— Heinrich Seidel:
Ingenieurlied
1871, aus: Glockenspiel. Gesammelte Gedichte, A. G. Liebeskind, Leipzig [Erstauflage] 1889,
in: Akademischer Verein Hütte e.V. (Hrsg.): Kommers-Buch für Studierende Deutscher Technischer Hochschulen, Verlag von Eisoldt & Rohkrämer, 11. Auflage, Berlin 1904,
III. Abteilung: Technische Lieder, Lied 318. (295.), Notenheft Nr. 57:
Singw.: Krambambuli das ist der Titel etc.
Dem Ingenieur ist nichts zu schwere –
Er lacht und spricht: „Wenn dieses nicht, so geht doch das!“
Er überbrückt die Flüsse und die Meere,
Die Berge unverfroren zu durchbohren ist ihm Spass.
Er thürmt die Bogen in die Luft,
Er wühlt als Maulwurf in der Gruft,
Kein Hinderniss ist ihm zu gross –
Er geht drauf los!Den Riesen macht er sich zum Knechte,
Dess‘ wilder Muth, durch Feuersgluth aus Wasserfluth befreit,
Zum Segen wird dem menschlichen Geschlechte –
Und ruhlos schafft mit Riesenkraft am Werk der neuen Zeit.
Er fängt den Blitz und schickt ihn fort
Mit schnellem Wort von Ort zu Ort,
Von Pol zu Pol im Augenblick
Am Eisenstrick!
Was heut sich regt mit hunderttausend Rädern,
In Lüften schwebt, in Grüften gräbt und stampft und dampft und glüht,
Was sich bewegt mit Riemen und mit Federn,
Und Lasten hebt, ohn‘ Rasten webt und locht und pocht und sprüht,
Was durch die Länder donnernd saust
Und durch die fernen Meere braust,
Das Alles schafft und noch viel mehr
Der Ingenieur!Die Ingenieure sollen leben!
In ihnen kreist der wahre Geist der allerneusten Zeit!
Dem Fortschritt ist ihr Herz ergeben,
Dem Frieden ist hienieden ihre Kraft und Zeit geweiht!
Der Arbeit Segen fort und fort,
Ihn breitet aus von Ort zu Ort,
Von Land zu Land, von Meer zu Meer –
Der Ingenieur!
Bilder: It merely takes brains to outsmart these dumb critters!: 1954;
Dem Ingeniör ist nichts zu schwör: 1954; 1955/1958; 1964 Disney/Egmont Ehapa,
mit besonderem Dank an die Dr.-Erika-Fuchs-Stiftung im Erika-Fuchs-Haus, Museum für Comic und Sprachkunst, Schwarzenbach an der Saale, und D.O.N.A.L.D.; LinkedIn.
Soundtrack: Eddie Vedder: Guaranteed, aus: Into the Wild, 2007
(„I knew all the rules but the rules did not know me“):
Ho, ho, meine arme Seele!
Update zu Denkst du denn nicht an den Loup Garou?,
Oh my, oh my, oh my, what if it was true? (O wolle nicht ergründen, was einmal unergründlich ist)
und Ach! wie ists erhebend sich zu freuen:
Es ergeht Empfehlung, ausnahmsweise fürs Fernsehen:
Jan Haft hat bis 2015 für Magie der Moore 500 Drehtage auf fünf Jahre und 80 Drehorte verteilt; der technische Aufwand lässt sich natürlich schon in Zahlen ermessen, sagt aber noch lange nichts aus über die Wunder, um nicht zu sagen: das Wunder dieses Dokumentarfilms.
Dokumentarfilm. Wie das klingt. Nach Terra X mit Wumpf-Wumpf-Untermalung von lizenzfrei schaffenden Hans-Zimmer-Epigonen — wie sie auch der Trailer noch bringt. Erwarten Sie nichts und erwarten Sie alles. Wenn Sie das Ereignis, wie es leider wahrscheinlich ist, auf Arte verpasst haben, muss eben jetzt die DVD her, aber wahrscheinlich wurde genau dafür die Blu-ray erfunden. Beide werden offenbar extra erschwinglich gehalten, weil sie ausdrücklich als Unterrichtsmaterial ab der 5. Klasse herhalten sollen — Freigabe ohne Altersbeschränkung — und zwar vorzugsweise für Deutsch, Biologie, Erdkunde und Kunst. So geht interdisziplinär. Und: Nein, einfach so auf YouTube steht’s nicht.
Zu Jan Hafts interdisziplinärem Vorgehen gehört es, ausführlich an geeigneten Stellen zum Gestalten seiner Stimmung ein Gedicht heranzuziehen, das wir in unserer leider allzu monofakultären Sichtweise — mit Verlaubnis — nicht mit dem Arsch anschauen würden, weil es zu bekannt und auch ohne uns schon viel zu gut belegt ist: Der Knabe im Moor von der Droste 1842.
In der Verbindung zu Hafts ganz und gar erstaunlichen Bildern, die man so nicht hat kommen sehen, erhellt plötzlich, wie schön das Gedicht eigentlich ist — schauen Sie zum Beispiel mal das durchtriebene Reimschema genau an. Wir müssen deshalb gar nicht so elitär tun, sondern als Erkenntnisgewinn mitnehmen, was sich anbietet: 1. Die Droste hatte für ihre Interpretation einer Moorbegehung ein recht eindeutig fassbares Vorbild: einen nicht näher bezeichneten „B.H.“, der am 18. Dezember 1837 ins Unterhaltungsblatt des Westfälischen Merkur ein Gedicht namens Der Haidemesser setzen ließ, das möglicherweise auf Der Heidemann von Wilhelm Junkmann 1836 zurückgeht, welche beiden im Gegensatz zur Droste praktisch gar nicht belegt werden. Den Apokryphen vom Haidemesser will ich demnächst an dieser Stelle ausbreiten, was ich für diesen Fall ausnahmsweise versprechen kann (und wofür sich Ostern aufdrängt); 2. „Scheide“ bedeutet, liebe pubertäre Unterrichtsteilnehmer ab der 5. Klasse, die Grenze zwischen Moor und festem Boden.
Es folgt die zeichengenaue Fassung nach dem Erstdruck.
——— Annette von Droste-Hülshoff:
Der Knabe im Moor
geschrieben November 1841 im Fürstenhäusle zu Meersburg am Bodensee,
aus: Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 40, 16. Februar 1842,
in: Gedichte, 1844, Abschnitt Heidebilder;
Levin Schücking (Hrsg.): Gesammelte Schriften von Annette Freiin von Droste-Hülshoff.
Band 1: Lyrische Gedichte, J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart 1879, Seite 115–116:
O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Haiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt –
O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor‘,
Die den Haspel dreht im Geröhre!Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran, als woll‘ es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigenmann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!“
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär‘ nicht Schutzengel in seiner Näh‘,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimathlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief athmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
O, schaurig war’s in der Haide!
Jan Haft könnten wir an dieser Stelle noch öfter gebrauchen. Noch vor seinem — nicht seinem ersten — wundersamen Meisterwerk über Moore 2015 hat er nämlich Das Grüne Wunder – Unser Wald 2012 gedreht, in sechs Jahren an 70 Drehorten, als Unterrichtsmaterial empfohlen für Deutsch, Heimat- und Sachkunde, Erdkunde, Kunst und Werken: noch viel interdisziplinärer, und sobald es um Wälder geht, bestimmt noch viel wundersamer. Auch der steht nicht einfach so auf YouTube, aber die DVD ist lieferbar.
Bilder: Deutscher Balladenborn für jung und alt, 1904,
via Martina „Büchersammler“ Berg, 16. September 2013;
T. Finn: Moor, Germany, 2015, via Low on Clichés:
Torfstich. Torfabbau zu Heizzwecken vor 1900 und nach 1918 bis Ende der 20er Jahre. Geringfügiger Abbau von 1945–1946 (Abstichkante von 1946 nch sichtbar). Stichfläche wird in zunehmendem Maße von Hochmoorpflanzen besiedelt.
Rezitation: Sigrid Carpe Poem aus Regensburg, 4. Januar 2015;
Vertonung: Sturmpercht: Der Knabe im Moor, aus: Geister Im Waldgebirg, 2006,
mit abweichendem Text, aber schmissigem Gitarrenzupf;
Bonus Track: Various Irish Musicians: The Gathering, 1981, opening mit Paul Brady: Heather on the Moor: