Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Archive for September 2021

Der brennende Schmerz schwand und die Wunde ward heil

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Update zu Das Beste sind die Kartoffeln:

Die „wohl bedeutendste Privatsammlung zu Jean Paul“ ist laut Eigenauskunft das Jean-Paul-Museum der Stadt Bayreuth, eröffnet 1980, erweitert 1994 und vollständig neu gestaltet anlässlich des 250. Geburtstags 2013. Mein Exemplar des Katalogs der dortigen ständigen Ausstellung stammt von 2000, lange vor der Wiedereröffnung — was nützlicher ist gar kein Exemplar, weil das Bayreuther Museum im Gegensatz zum kleineren in Joditz — laut Eigenauskunft „das ‚jeanpaulste‘ aller Museen für den Dichter“ — keine eigene Webpräsenz als eine Unterseite innerhalb bayreuth-tourismus.de hat. Dafür bringt Joditz das entschieden bessere Bildmaterial, das deshalb etwas unpassender Weise hier verwendet wird.

Eberhard Schmidt, Jean-Paul Museum Joditz, Impressionen

Anno 2000 führt besagter Katalog ohne Abbildung das Exponat eines Buches von Justus Friedrich Zehelein: Vermischte Gedichte, 1789. Seite 21 unten, über den Museumssaal 4: Die Reise nach Weimar. 1796. Die Titaniden.:

Der Justizamtmann aus Neustadt am Kulm hat seine Gedichte „in Commission“ erscheinen lassen. Das Gedicht „Bienenstich“ hieraus hat sich der oft in Bayreuth bei seinen Nichten und Jean Paul weilende Karl Ludwig von Knebel abgeschrieben und in Weimar Goethe gezeigt. Durch dessen Abschrift ist es schließlich moduliert in die Nachgelassenen Gedichte der „Sophien-Ausgabe“ geraten.

Kindlich enttäuscht war ich bei der Recherche allein darüber, dass ein Gedicht namens „Bienenstich“ tatsächlich von einem wörtlich verstandenen Insektenstich und nicht von Kuchen handelte. Wie zum Trost steht es in beiden Versionen im Versmaß des Distichons, was es umso erstaunlicher macht, dass es metrisch als Lied funktioniert.

Eberhard Schmidt, Jean-Paul Museum Joditz, Impressionen

——— Justus Friedrich Zehelein:

Der Bienenstich.

in: Vermischte Gedichte von Just. Friedrich Zehelein,
Baireuth, im Verlag der Zeitungsdrukerei und in Kommission bei J. A. Lübecks Erben, 1789, Seite 226:

Als ich, Sami! mit Dir Blumen jüngst brach in dem Garten
Da verwundete heiß, mir ein Bienchen die Hand,

Und Du riethest mir weise, mit Erde zu kühlen die Wunde
Und der brennende Schmerz schwand und die Wunde ward heil.

Sami! wird auch die Wunde, die in dem Herzen mir blutet,
Dann erst gekühlet und heil, wenn sie die Erde bedekt?

Eberhard Schmidt, Jean-Paul Museum Joditz, Impressionen

Die in dem Katalog erwähnten Modulationen seitens Knebel — oder, später in Weimar, Goethe — betreffen die Überschrift und die Umstellung von der Ich-Form auf die 3. Person:

——— Johann Wolfgang Goethe:

An Sami

Indisches Gedicht

in: Sophienausgabe, Erste Abtheilung, Band 5, Hermann Böhlau, Weimar 1893, Seite 49:

Als er, Sami, mit dir jüngst Blumen brach in dem Garten,
Stach ihn ein Bienchen, und heiß schmerzte die blutende Hand.
Weise rietest du ihm mit Erde zu kühlen die Wunde,
Und der brennende Schmerz schwand, und die Wunde ward heil.
Sami, wird auch die Wunde, die in dem Herzen ihm blutet,
Dann erst gekühlet und heil, wenn sie die Erde bedeckt?

Eberhard Schmidt, Jean-Paul Museum Joditz, Impressionen

An Vertonungen sind bekannt: eine von Johann Xaver Sterkel, eine von Carl Blum, 1818
und eine von Carl Loewe, aus: 3 Gedichte, opus 104 Nr. 2, 1844,
samt deren Einspielung mit Elisabeth Schwarzkopf, Klavier Michael Raucheisen, ca. 1941–1943:

Bilder: Jean-Paul Museum Joditz: Impressionen:

Eberhard Schmidt, Bilder wurden teilweise von Besuchern zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!

Eberhard Schmidt, Jean-Paul Museum Joditz, Impressionen

Bonus Track: David Olney & Anana Kaye: My Favorite Goodbye, aus: Whispers and Sighs, 2021:

Written by Wolf

24. September 2021 at 00:01

Veröffentlicht in Das Tier & wir, Klassik

Stone walls do not a prison make, nor iron bars a cage

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Update zu Your open hand but shows our loss,
Nachtstück 0024: I wish you were dead, my dear
und Sylvia Spinster:

Yet each man kills the thing he loves
     By each let this be heard.
Some do it with a bitter look,
     Some with a flattering word.
The coward does it with a kiss,
     The brave man with a sword!

Oscar Wilde: The Ballad of Reading Gaol, 1897.

Wenceslaus Hollar, Lucasta. Posthume Poems of Richard Lovelace, 1660Bei englischer Bekenntnislyrik von Inhaftierten in englischen Gefängnissen fällt unsereinem als erstes Oscar Wilde ein.

Wie immer sind gewissenhafte Hörer von Fairport Convention im Vorteil. Aus dem Album Nine, 1973 stammt die Vertonung von To Althea, from Prison — das Richard Lovelace während seiner ersten Inhaftierung wegen Unterstützung unerwünschter Umtriebe, nämlich dem Versuch, den Clergy Act von 1640 annullieren zu lassen, zwischen dem 30. April und 21. Juni 1642 geschrieben haben muss.

Mit ihrer vollständigen Vertonung des Gedichts sind die Fairport Convention in gut fünf Minuten fertig, wohingegen Oscar Wilde seine zwei Jahre Einzelhaft in verschiedenen Zuchthäusern bei schwerer Zwangsarbeit wegen unerwünschter sexueller Orientierung, nämlich gross indecency für einen sehr ausführlichen Brief an seinen Liebhaber nutzte, der seinen Adressaten nie erreichte und 1962 zu einer gewissen Druckreife rekonstruiert werden musste. Das einzige, was er nach seiner Entlassung im Zustand dauerhafter Zerrüttung seiner Gesundheit noch schrieb, war die angeführte Ballad of Reading Gaol — die durchaus mehrmals vertont und auch sonst künstlerisch verwertet wurde, deren Lesung aber bei ihrem Umfang von über viertausend Wörtern weit mehr als fünf Minuten bräuchte.

Beschränken wir uns daher auf den Bezug zwischen Richard Lovelace 1642 und Fairport Convention 1973:

——— Richard Lovelace:

To Althea, from Prison

1642, collected in Dudley Lovelace, ed.: Lucasta. Posthume Poems of Richard Lovelace, 1660:

Ripple Factor, 2019When Love with unconfinèd wings
     Hovers within my Gates,
And my divine Althea brings
     To whisper at the Grates;
When I lie tangled in her hair
     And fettered to her eye,
The Gods that wanton in the Air
     Know no such Liberty.

When flowing Cups run swiftly round,
     With no allaying Thames,
Our careless heads with Roses bound,
     Our hearts with Loyal Flames;
When thirsty grief in Wine we steep,
     When Healths and draughts go free,
Fishes that tipple in the Deep
     Know no such Liberty.

When (like committed linnets) I
     With shriller throat shall sing
The sweetness, Mercy, Majesty,
     And glories of my King;
When I shall voice aloud how good
     He is, how Great should be,
Enlargèd Winds, that curl the Flood,
     Know no such Liberty.

Stone Walls do not a Prison make,
     Nor Iron bars a Cage;
Minds innocent and quiet take
     That for an Hermitage.
If I have freedom in my Love,
     And in my soul am free,
Angels alone, that soar above,
     Enjoy such Liberty.

Mehr Vertonungen:

  • Thomas Avinger: To Althea, from Prison, for tenor and instrumental ensemble,
    aus: Lucasta Et Cetera, 1960;
  • Grateful Dead: Althea, aus: Go to Heaven, 1980;;
  • Three Pressed Men: To Althea, from Prison, aus: Daddy Fox, Mai 1998:
    Debut-CD in 150 vergriffenen Exemplaren;
  • Jane and Amanda Threlfall: To Althea, from Prison, aus: Morning Tempest, 2000;
  • Churchfitters: To Althea from Prison, aus: New Tales for Old, 2005.

Just Being, 2021

Bilder: Wenceslaus Hollar: Cover zu Lucasta. Posthume Poems of Richard Lovelace, 1660,
aus: University of Toronto Wenceslaus Hollar Digital Collection;
Ripple Factor, 21. September 2019;
Just Being, 26. April 2021.

Ein Bonus Track mit Richards Namensbase Linda (1949 bis 2002) erübrigt sich;
daher nur einer, der Lovelace zitiert: Jim Croce: Stone Walls, aus: The Faces I’ve Been, 1975:

Written by Wolf

17. September 2021 at 00:01

Veröffentlicht in Barock, Herrschaft & Revolte

Puschkins Faust 2 von 2: Sag mir, durch welche Zaubersprüche bekomme ich Macht über dich?

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Update zu Doktor Faust thu dich bekehren
und natürlich zu allen aus dem ersten Teil:

Zweimal hat der Vater der russischen Literatur — Puschkin — sich 1825 am urdeutschen Faust-Stoff versucht: einmal in Form einer ausgearbeiteten Szene, einmal in Form dreier kurzer dramatischer Fragmente. Beenden wir unsere zweiteilige Serie mit letzteren. Das Bildmaterial sei uns wenig faustisch, vielmehr Petersburgisch.

Es verlautet das Erreichbare: Vorläufiges zu Gerhard Dudeks eigener Studie Metamorphosen von Mephistopheles und Faust bei Puschkin 1991, seiner Akademie jahrs zuvor als Plenarvortrag unter gleicher Überschrift umrissen und in Aussicht gestellt — gefolgt von Puschkins Primärmaterial, vormals Fausts Höllenfahrt oder Höllenpoem, nach der DDR-Ausgabe von 1973:

——— Gerhard Dudek:

Metamorphosen von Mephistopheles und Faust bei Puschkin

Plenarvortrag an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, 12. Oktober 1990:

Die Beziehungen Puschkins zu Goethe sowie zu dessen „Faust“ sind seit H. Koenigs „Litterarischen Bildern aus Rußland“ (1837) und K. A. Varnhagen von Enses Puschkin-Aufsatz (1938) Gegenstand zahlreicher Untersuchungen von Literaturkritikern, Slawisten und Germanisten. Dennoch weist dieses Forschungsfeld immer noch Lücken auf. Dazu gehört eine das Gesamtschaffen Puschkins berücksichtigende Darstellung der Rezeption und schöpferischen Umsetzung der Faustsage durch den Autor des „Eugen Onegin“.

Natascha Buzina, Sankt Petersburg, 2016In unserer Studie gehen wir davon aus, daß Puschkin Kenntnis vom Volksbuch über Faust, von Fr. M. Klingers Roman „Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt“ sowie Goethes „Faust“ (Erster Teil) erhalten hat, sei es aus mündlichen Berichten bzw. französischen Übersetzungen und deutschen Originalen. Unter dem Eindruck des Faust-Kapitels in Mme. de Staëls „De l’Allemagne“ gewann Goethes Mephistopheles für Puschkin besondere Bedeutung, da diese Gestalt seiner geistigen Haltung um 1820 entgegenkam und ihn auch später immer wieder zur Darstellung reizte. Dies belegen wir zunächst damit, daß Puschkin wahrscheinlich bereits 1821 Mephistopheles – allerdings noch in der Figur des Teufels der christlichen Dämonologie – reflektiert hat. Dafür spricht, daß der Dichter auf dem Blatt mit dem Plan für das Poem „Gabrieliade“ ein Porträt zeichnete, das von M. A. Zjawlowski als das Goethes angesehen wird. Das zeigt sich ferner an den Fragmenten des Poems „Der verliebte Teufel“ (1821) sowie den zu diesem Sujet entworfenen „Höllenzeichnungen“, zu denen Puschkin offenbar durch Szenen aus Klingers Faust-Roman angeregt worden ist.

Die Metamorphose des religiösen Teufels zu einer weltlichen Gestalt philosophisch­politischen Inhalts postulieren wir – Beobachtungen D. Gerhardts folgend – für einen Zyklus von sieben Gedichten und Versfragmenten, die vornehmlich Ende 1823 in Odessa entstanden sind. Mit der Figur des Dämon in dem gleichnamigen Gedicht vom Oktober/November 1823 schuf Puschkin eine eigenständige Variante zu Goethes Mephistopheles, die für die russische Literatur ebenso bedeutsam werden sollte wie Goethes Schöpfung für die deutsche. In Puschkins eigener Deutung seines „Dämon“ als „Geist der Verneinung“ sehen wir allerdings aus chronologischen Gründen einen nachträglich hergestellten Bezug zu Goethes Mephisto.

Den Schwerpunkt unserer Untersuchung bilden Puschkins „Szene aus dem Faust“ sowie die fragmentarischen „Skizzen zu einem ,Faust‘“, die 1825/26 in Michailowskoje verfaßt worden sind. Das Versfragment „Sag mir, durch welche Zaubersprüche“ wird von uns als selbständiger Entwurf und als Vorstufe zur „Szene aus dem Faust“ betrachtet. Mit der Analyse dieser „Szene“ erhellen wir die Wandlungen von Mephistopheles, der tragenden Gestalt des Werkes, vom Philosophen der Langeweile über den Psychologen und Moralisten zum Tatmenschen, der Fausts Befehl vollstreckt. In Puschkins Faust sehen wir dagegen mehr eine Folie für Mephistos Metamorphosen, von der sich die Phänomene der existentiellen Langeweile und eines für die russische Literatur charakteristischen ethischen Maximalismus deutlicher abheben. Das Schlußbild der „Szene“ wird von uns als Ansatz zu einem historischen Verständnis der Faustgestalt durch Puschkin gedeutet. Puschkins „Szene aus dem Faust“ als Ganzes genommen wird insofern als eigenständige Variante des Faust-Stoffes gewertet, als Faust darin anders als sonst motiviert erscheint – nicht durch Wissensdurst und Lebenshunger, sondern durch ständiges Unbefriedigtsein mit allen Verlockungen und Genüssen des Lebens, das in der menschlichen ratio seine tiefste Wurzel besitzt.

In einem Exkurs erörtern wir die Frage, ob Goethe von Puschkins „Szene aus dem Faust“ gewußt hat und ob ein Zusammenhang zwischen dem Schluß dieser „Szene“ und dem V. Akt von Goethes „Faust II“ besteht. Die „Skizzen zu einem ,Faust‘“ werden von uns als extravertierter, im Ansatz gesellschafts­bezogener Gegenentwurf zur introvertierten „Szene aus dem Faust“ interpretiert. Ihre möglichen Bezüge zu Goethes „Walpurgisnacht“, Dantes „Hölle“ und zum Volksbuch über Faust werden kritisch beleuchtet. Nach 1826, so zeigen wir, reflektierte Puschkin Goethes Tragödie in seinen literaturkriti­schen Äußerungen vor allem als literaturhistorische, maßstabsetzende Erscheinung. Faust und Mephistopheles erhielten in seinem dichterischen Schaffen nur noch Zeichenfunktion, sei es unter psychologischem („Pique Dame“) oder sozialhistorischem Aspekt („Szenen aus der Ritterzeit“).

Puschkins Darstellungen von Mephistopheles und Faust werden als eigenständiger Beitrag zur philosophisch-existentiellen bzw. volkstümlich-gesellschaftskritischen Linie in der europäischen Faust-Literatur gewertet. Mit ihnen eröffnete er die Reihe der russischen Fausts bei W. Odojewski, Turgenjew, Dostojewski, Gorki, Lunatscharski, Lewada u.a. sowie andererseits die Hypostasierungen des „philosophischen Teufels“ – sei es als Dämon oder Mephistopheles – bei Lermontow, Dostojewski, F. Sologub, Bulgakow u.a.

Natascha Buzina, Sankt Petersburg, 2016

——— Alexander Sergejewitsch Puschkin:

Skizzen zu einem „Faust“

1825, übs. Lieselotte Remané 1968:

1

„Sag mir, durch welche Zaubersprüche
Bekomme ich Macht über dich?“
„’s ist gleich! Ich laß dich nicht im Stiche!
Prompt wie vom Himmel falle ich.
Dein Wunsch genügt, ich kann ihn ahnen,
Pfeif, läute, alles ist mir recht,
Klatsch in die Hände wie Osmanan,
Schon steht vor dir dein treuer Knecht.
Ich dien euch nur — was soll ich machen!
Muß stets — es ist ein hartes Joch —
Wie eine Amme euch bewachen,
Belauschen selbst durchs Schlüsselloch.“

2

„Hier ist der Kozytos und dort der Acheron,
Und da der Flammefluß, der Phlegeton.
Mut, Doktor Faust, vorangeschritten,
Dort wird es lustig! Darf ich bitten!“
„Wo ist die Brücke?“ — „Auf meinen Schwanz!
Los geht’s zum Tanz!“

Wer kommt denn da?“ — „In Reih und Glied
Soldaten im Paradeschritt.
Dies ist der Oberkorporal
Und der — der Unter-General.“
„Was brodelt dort?
Was braut man da?“
„Fischsuppe, Doktor.
Ha, ha, ha!
Schau, Könige dort!
Ja, kocht und schmort!“

3

Ein Ball ist heut beim Satanas,
Wir sind zum Namenstag geladen.
Schau, die zwei Teufelchen … ein Spaß
Zu sehn, wie sie das Ferkel braten!
Wie artig hat der andre dort
Den Besen jetzt zur Hand genommen,
Fegt Knochen, Staub und Späne fort …“
„Müßten nicht bald die Gäste kommen?“

So treibt man aus die Erdenkinder?
Kein Durcheinander, Lärmen, Schrein!
Welch imposante Säulenreihn!
Wo aber röstet man die Sünder?“
„Da müssen wir noch weiter gehn.
Von hier aus kann man das nicht sehn!“

„Cœur ist jetzt Trumpf!“ — „Ich spiele aus!“
„Ich steche!“ — „Könnt ihr denn nicht warten!“
„Ich nehme!“ — „Na, dann bin ich raus!“
„He, Tod, du spielst mit falschen Karten,
Du mogelst ja!“ — „Schweig, du bist dumm!
Mich kriegst du nicht! Hör auf zu singen!
Geht dir’s ums Geld? Mir geht’s darum,
Die Ewigkeit nur zu verbringen!“

„Wer kommt denn da?“ — „Gegrüßt, ihr Herrn!
Der neue Gast an meiner Seite
Ist Doktor Faust vom Erdenstern.“
„Ein Lebender?“ — „Ganz gleich, ob heute,
Ob er erst morgen unser ist.“
„Ob einer tot ist, ob am Leben,
Entscheide ich, wie ihr wohl wißt.
Doch will ich Einspruch nicht erheben.
Bei Freunden bin ich jederzeit
Zu Zugeständnissen bereit.“
„Ich spiel die Dame aus …“ — „Und ich
Stech mit dem As und sage: ‚Stich!'“
„Das ist ja Trumpf!“ — „Läßt du ihn mir?“
„Na, meinetwegen, gehen wir!“

Natascha Buzina, Sankt Petersburg, 2017

Bilder: Наташа Бузина:

  1. Александр Сергеевич, Mai 2016;
  2. Вечерний вид на Петропавловскую крепость, November 2016;
  3. März 2017,

aus: Санкт-Петербург, ab 2016.

Soundtrack: Отава Ё: Яблочко, aus: Что за песни, 2013:

Written by Wolf

10. September 2021 at 00:01

Veröffentlicht in Romantik, Vier letzte Dinge: Hölle

Puschkins Faust 1 von 2: Es gähnt das Grab, das man euch gräbt

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Update zu Ein Nichts, ein Zwischenraum (Jedenfalls sie hattens nicht),
Indessen Pasternak und
Gefühl kann man zu Markt nicht bringen, doch Manuskripte jederzeit:

Natascha Buzina, Sankt Petersburg, 2019

Zweimal hat der Vater der russischen Literatur — Puschkin — sich 1825 am urdeutschen Faust-Stoff versucht: einmal in Form einer ausgearbeiteten Szene, einmal in Form dreier kurzer dramatischer Fragmente. Fangen wir unsere zweiteilige Serie an mit ersterer. Das Bildmaterial sei uns wenig faustisch, vielmehr Petersburgisch.

Wir treffen Faust und Mephisto am Strand — schon recht vertraut mitsammen.

Natascha Buzina, Sankt Petersburg, 2016

——— Александр Сергеевич Пушкин:

Сцена из Фауста

1825,
первая печать 1828:

Берег моря.

Фауст и Мефистофель.

Фауст
Мне скучно, бес.

Мефистофель
          Что делать, Фауст?
Таков вам положен предел,
Его ж никто не преступает.
Вся тварь разумная скучает:
Иной от лени, тот от дел;
Кто верит, кто утратил веру;
Тот насладиться не успел,
Тот насладился через меру,
И всяк зевает да живет —
И всех вас гроб, зевая, ждет.
Зевай и ты.

Фауст
          Сухая шутка!
Найди мне способ как-нибудь
Рассеяться.

Мефистофель
     Доволен будь
Ты доказательством рассудка.
В своем альбоме запиши:
Fastidium est quies — скука
Отдохновение души.
Я психолог… о вот наука!..
Скажи, когда ты не скучал?
Подумай, поищи. Тогда ли,
Как над Виргилием дремал,
А розги ум твой возбуждали?
Тогда ль, как розами венчал
Ты благосклонных дев веселья
И в буйстве шумном посвящал
Им пыл вечернего похмелья?
Тогда ль, как погрузился ты
В великодушные мечты,
В пучину темную науки?
Но — помнится — тогда со скуки,
Как арлекина, из огня
Ты вызвал наконец меня.
Я мелким бесом извивался,
Развеселить тебя старался,
Возил и к ведьмам и к духам,
И что же? всё по пустякам.
Желал ты славы — и добился, —
Хотел влюбиться — и влюбился.
Ты с жизни взял возможну дань,
А был ли счастлив?

Фауст
          Перестань,
Не растравляй мне язвы тайной.
В глубоком знанье жизни нет —
Я проклял знаний ложный свет,
А слава… луч ее случайный
Неуловим. Мирская честь
Бессмысленна, как сон… Но есть
Прямое благо: сочетанье
Двух душ…

Мефистофель
     И первое свиданье,
Не правда ль? Но нельзя ль узнать
Кого изволишь поминать,
Не Гретхен ли?

Фауст
          О сон чудесный!
О пламя чистое любви!
Там, там — где тень, где шум древесный,
Где сладко-звонкие струи —
Там, на груди ее прелестной
Покоя томную главу,
Я счастлив был…

Мефистофель
          Творец небесный!
Ты бредишь, Фауст, наяву!
Услужливым воспоминаньем
Себя обманываешь ты.
Не я ль тебе своим стараньем
Доставил чудо красоты?
И в час полуночи глубокой
С тобою свел ее? Тогда
Плодами своего труда
Я забавлялся одинокой,
Как вы вдвоем — все помню я.
Когда красавица твоя
Была в восторге, в упоенье,
Ты беспокойною душой
Уж погружался в размышленье
(А доказали мы с тобой,
Что размышленье — скуки семя).
И знаешь ли, философ мой,
Что́ думал ты в такое время,
Когда не думает никто?
Сказать ли?

Фауст
          Говори. Ну, что?

Мефистофель
Ты думал: агнец мой послушный!
Как жадно я тебя желал!
Как хитро в деве простодушной
Я грезы сердца возмущал! —
Любви невольной, бескорыстной
Невинно предалась она…
Что ж грудь моя теперь полна
Тоской и скукой ненавистной?..
На жертву прихоти моей
Гляжу, упившись наслажденьем,
С неодолимым отвращеньем:
Так безрасчетный дуралей,
Вотще решась на злое дело,
Зарезав нищего в лесу,
Бранит ободранное тело; —
Так на продажную красу,
Насытясь ею торопливо,
Разврат косится боязливо…
Потом из этого всего
Одно ты вывел заключенье…

Фауст
Сокройся, адское творенье!
Беги от взора моего!

Мефистофель
Изволь. Задай лишь мне задачу:
Без дела, знаешь, от тебя
Не смею отлучаться я —
Я даром времени не трачу.

Фауст
Что там белеет? говори.

Мефистофель
Корабль испанский трехмачтовый,
Пристать в Голландию готовый:
На нем мерзавцев сотни три,
Две обезьяны, бочки злата,
Да груз богатый шоколата,
Да модная болезнь: она
Недавно вам подарена.

Фауст
Всё утопить.

Мефистофель
          Сейчас.

(Исчезает.)

——— Alexander Sergejewitsch Puschkin:

Szene aus dem „Faust“

1825, gedruckt 1828,
übs. Homunculus, i. e. Sigismund von Radecki 1940:

Meeresufer

Faust und Mephistopheles

Faust
Ich öd mich, du.

Mephistopheles
     Was macht man, Faust!
Ihr müßt euch dies als Grenze ziehen,
Und keiner übertritt den Strich —
Alles Lebendige langweilt sich:
Vor Faulheit der, und der voll Mühen,
Im Zweifeln der, der wenn er glaubt,
Genuß will jedem stets entfliehen,
Den hat sein Übermaß beraubt,
Und jeder gähnt und jeder lebt,
Es gähnt das Grab, das man euch gräbt,
So gähn auch du.

Faust
          Fort mit den Witzen!
So spür was aus, das irgendwie
Zerstreuung schafft.

Mephistopheles
     Kann dir denn nie
Verständige Beweiskraft nützen?
So schreib dir ins Notizbuch nieder:
Fastidium est quies — merke:
Man langweilt und man stärkt sich wieder.
Psychologie ist meine Stärke! …
Wann langweiltest du dich denn nicht?
Denk einmal nach! Wenn wir’s entdeckten!
Als auf Vergil sank dein Gesicht
Und Prügel deine Geister weckten?
Vielleicht wohl, als du Rosen streutest
Auf leicht gewillter Mädchen Brust
Und ihnen beinah wütend weihtest
Den rausch der abendlichen Lust?
Oder vielleicht, als dir versanken
Zu edlem Grübeln die Gedanken.
Zu dunklem Forschen dunkler Zeile —
Doch nein, ich weiß, vor Langerweile
Zitiertest du aus Feuersglühn
Mich her als deinen Harlekin.
Da mußt ich mich verteufelt winden,
Dir zur Erheitrung was zu finden:
Zu Hexen ging es, Hexenmeistern …
Was half’s? Dich konnte nichts begeistern.
Du wolltest Ruhm — nun denn, ihn gibt es,
Du wolltest lieben — nun, du liebtest.
Vom Leben nahmst du den Tribut,
Doch warst du glücklich?

Faust
          Sei so gut
Und laß die Finger von der Wunde!
Weil Wissen steigt, wenn Leben fällt,
Fluch ich dem Wähnen dieser Welt,
Und Ruhm — ein Strahl zur Zufallsstunde,
Zu haschen nicht … und alle Ehre
Ist Traum und sinnlos … Eines wäre
Mir Glück: das innige zu Zwein
Der Seelen …

Mephistopheles
     Und ein Stelldichein,
Nicht wahr? Ich tret wohl nicht zu nah —
An wen erinnerst du dich da?
Doch nicht an Gretchen?

Faust
          Oh, ich sehe!
O heiße Liebesflammenhelle!
Dort — in der tiefsten Waldesnähe,
Beim kleinen Klingen einer Quelle,
Sank mir die Stirn durchs Blattgewimmel
Herab auf ihre schöne Brust
Und fühlte Glück …

Mephistopheles
          Herrgott im Himmel,
Daß du stets phantasieren mußt!
Erinnrung ist dir schnell zu Diensten,
Schon sitzt du, in dich selbst vergafft —
Hab ich denn nicht mit meinen Künsten
Der Schönheit Wunder dir verschafft,
Und sie in keuscher Schlafenszeit
Dir zugeführt? In aller Frühe
Hab ich der Früchte meiner Mühe
Mich dann im stillen recht gefreut:
Wie ihr da beide … Oh, ich weiß!
Als damals deine Schöne heiß
In Lust erbebt‘, in trunknem Schenken —
Ward dir der Kopf unruhig wach
Und schon verfielst du deinem Denken.
(Doch vorher wiesen wir ja nach:
Im Denken — stiert schon Langeweile!)
Weißt du auch, Philosoph von Fach,
Was du in jener Wonneneile
Dachtest, wo sonst wohl niemand denkt?
Sag ich’s?

Faust
          So sprich, wenn es dich drängt!

Mephistopheles
Du dachtest: Lämmchen mein, du Gute,
Wie hab ich mich nach dir verzehrt!
Wie hab ich klug im jungen Blute
Die Herzenswünsche wachgestört!
Und ohne Hinblick, ohne Willen
Gab sie sich ihrer Liebe hin …
Warum muß grade meinen Sinn
Jetzt Scham und Langeweil‘ erfüllen? …
Aufs Opfer meiner Liebesglut
Blick ich nun, satt von dem Genusse,
Mit unverhohlnem Überdrusse:
So wie ein junger Tunichtgut,
Dem flugs das Messer alles gilt,
Im dunklen Wald den Bettler schlachtet,
Und nun den lumpigen Leichnam schilt;
So wie der Käufer seine Schöne,
Nach schnell gestilltem Lustgestöhne,
In Furcht mit scheelem Blick betrachtet …
Aus allem diesen ward dir drauf
Sogleich der eine Schluß zur Stelle …

Faust
Verschwinde, Ausgeburt der Hölle!
Mir aus den Augen! Schneller — lauf!

Mephistopheles
Gewiß. Doch gib mir was zu tun;
Du weißt, so ohne Auftrag gehe
Ich niemals gern aus deiner Nähe —
Ich mag nun mal nicht müßig ruhn.

Faust
Was zieht dort Weißes? — Sag es auf.

Mephistopheles
Ein Spanier-Klipper hart am Winde,
Nach Holland steuert er geschwinde,
Dreihundert Töpfe sitzen drauf,
Zwei Meerkatzen, ein Haufen Gold,
Zehn Zentner Kaffee; unverzollt
Noch eine Krankheit, streng modern,
Das Neueste für Damen und Herrn.

Faust
Alles versenken!

Mephistopheles
          Ja? … sofort!

(verschwindet)

Bilder: Наташа Бузина:

  1. Стихи, August 2019;
  2. Павловск, September 2016;
  3. Львиный мостик ночью, 2016,

aus: Санкт-Петербург, ab 2016.

Natascha Buzina, Sankt Petersburg, 2016

Soundtrack: Julia Vorontsova: Pushkin, aus: From St. Petersburg With Love, 2014:

Written by Wolf

3. September 2021 at 00:01

Veröffentlicht in Ehestand & Buhlschaft, Romantik