Archive for Juni 2022
Was singelt ihr und klingelt im Sonetto?
Update zu so net,
Ich will mich wie mein Schwanz erheben,
Um meiner Mannheit Tiefgang auszuloten
und Und vierzehn Gräser formen ein Sonett:
Als das Sonett, der gebürtige Italiener, dem Gefühl nach trotz il sonetto eigentlich eine Italienerin, in der deutschsprachigen Literaturproduktion ankam, war es praktisch sofort ein beliebter Gegenstand seiner eigenen Persiflage. Wo man sich den Homer-Voß immer so versteinert ernst wie eine antike Statue vorstellt und ihm nicht einmal ganz und gar unheroische Idyllen zutraut, geschweige denn übermütige Priapismen oder Klanggedichte um der spaßhaften Form willen.
Die Wiedergabe der dreisätzigen Klingsonate in Wilhelm Wackernagel, Hrsg.: Deutsches Lesebuch. Zweyter Theil, Schweighauserische Buchhandlung, Basel 1836 scheint mir mit ihrer antiquierten Rechtschreibung die zuverlässigste, was uns leider kein gültiger Beweis sein darf — vor allem sie weil das Singeln und Klingeln aus dem Maestoso zu einem „Singen“ und Klingeln hyperkorrigiert. Als Satzfehler werte ich das, weil das Grimmsche Wörterbuch singeln mit der Belegstelle von Voß anführt.
Mein Einwand gegen die Komposition war, dass es ein poets‘ poem ist, weil Voß in der Meta-Form stecken bleibt, statt sich kurioser Gegenstände anzunehmen, die seiner durchaus raffinierten Gussform entsprechen. Wahrscheinlich mein Fehler: ist man doch schon zu sehr daran gewöhnt, auf Kinderkram mit absichtsvoll niederen Gegenständen zu stoßen, wie sie die meisten Großrecken der Hochliteratur zuzeiten ihren Enkelchen und Nachbarskindern gestiftet haben. Außerdem kann einen der letzte Reim der Trilogie mit ziemlich vielem versöhnen.
Und noch äußererdem war ich in Bildmaterial und Soundtrack frei, weil das Trall-Lall-Lied keinen Inhalt hat, an den man sich halten müsste, ja auch nur könnte. Da konnte man gleich was Lustiges nehmen: Mädchenduos.
——— Johann Heinrich Voß:
Klingsonate
1808:
Grave.
Mit
Prall-
Hall
Sprüht
Süd-
Tral-
Lal-
Lied.
Kling-
Klang
Singt;
Sing-
Sang
Klingt.
Scherzando.
Aus Moor-
Gewimmel
Und Schimmel
Hervor
Dringt, Chor,
Dein Bimmel-
Getümmel
In’s Ohr.
O hœre
Mein kleines
Sonett.
Auf Ehre!
Klingt deines
So nett?
Maestoso.
Was singelt ihr und klingelt im Sonetto,
Als hätt‘ im Flug‘ euch grade von Toskana
Geführt zur heimathlichen Tramontana,
Ein kindlich Englein, zart wie Amoretto?
Auf, Klingler, hört von mir ein andres Detto!
Klangvoll entsteigt mir ächtem Sohn von Mana
Geläut der pomphaft hallenden Kampana,
Das summend wallt zum Elfenminuetto!
Mein Haupt, des Siegers! krœnt mit Ros‘ und Lilie
Des Rhythmos und des Wohlklangs holde Charis,
Achtlos, o Kindlein, eures Larifari’s!
Euch kühl‘ ein Kranz hellgrüner Petersilie!
Von schwülem Anhauch ward euch das Gemüth heiß,
Und fiebert, ach! in unheilbarem Südschweiß!
Bilder: Maria Memet: Quiet Moments, RektMag, 24. Okober 2016;
Mannheim Girls Hi Life: Funny and Cheeky Life, 10. Juli 2021
und einmal jegliche Credits vollständig unbekannt. Weiß jemand was?
Mädchenduett: The Secret Sisters: Tennessee Me, aus: The Secret Sisters, 2010::
Neruda hungert im Ödland von Quitratúe
Update zu Keine Geschichte über Blut, Krieg und Verwandlungen,
Wie man sich eine Schrift besieht und
Weil er bei den Mahlzeiten so entsetzlich isset:
Mit Pablo Neruda bin ich leider nie richtig warm geworden, obwohl ihm in der Zeit meiner künstlerischen Bewusstwerdung eine wunderschöne dreibändige Augabe gewidmet war, die gesamte Lyrik in drei beeindruckend umfänglichen Bänden. Luchterhand 1984, sind seither selten und teuer geworden. Nerudas Mischung aus Liebesgetön und chilenischer Landespolitik mag dem Heranwachsenden etwas unzugänglich erscheinen, aber das ist nicht des schätzbaren Herrn Nerudas Schuld.
In letzter Zeit kursieren von seinen Gedichten gelegentliche Auswahlen von eher schmückender Funktion und Kenntnisse alternder Studienräte, die 1984 auf dem Nürnberger Bardentreffen immer zu den Ethno-Bands aus Nicaragua gegangen sind und sich die Luchterhand-Ausgabe leisten konnten. Dabei hat Neruda außer einigen nicht ganz ungenießbaren Gedichten eine nachvollziehbare poetologische Auffassung der Poésie impure, 1935 , übersetzt von Hans Magnus Enzensberger in: Text und Zeichen, Heft 1/1955:
[…] So soll die Dichtung aussehen, die wir suchen: verwüstet von der Mühe der Hände wie von einer Säure, vom Schweiß und von Rauch durchdrungen, eine Dichtung, die nach Urin und nach weißen Lilien riecht, eine Dichtung, in der eine jede Verrichtung des Menschen, erlaubt oder verborgen, ihre Spuren hinterlassen hat.
Eine Dichtung, unrein wie ein Anzug, wie ein Körper, von Speisen befleckt, eine Dichtung, die Handlungen der Scham und der Schande kennt, Träume, Beobachtungen, Runzeln, schlaflose Nächte, Ahnungen; Ausbrüche des Hasses und der Liebe; Tiere, Idyllen, Erschütterungen; Verneinungen, Ideologien, Behauptungen, Steuerbescheide.
Die geheiligte Vorschrift des Madrigals; die Gesetze des Tastens, Riechens, Schmeckens, Sehens und Hörens; das Verlangen nach Gerechtigkeit; das sexuelle Verlangen; das Geräusch des Meeres; ohne die Absicht, irgend etwas auszuschließen, ohne die Absicht, irgend etwas gutzuheißen; der Eintritt in die Tiefe der Dinge in einem Akt jäher Liebe, und das dichterische Produkt: von Tauben, von Fingerabdrücken besudelt, mit den Spuren von Zähnen und Eis übersät, möglicherweise angenagt von Schweiß und Gewohnheit, bis es die zarte Glätte eines rastlos geführten Werkzeugs, die überaus harte Sanftmut von abgenutztem Holz, von hochmütigem Eisen erreicht hat. Auch die Blume, den Weizen und das Wasser zeichnet diese Tastbarkeit, diese einzigartige Konsistenz aus. […]
Das ist selbst schon fast lyrisch; Neruda scheint seine Poetologie also zu vertreten und zu leben. Auf dem einen oder anderen Wege ist mir eins seiner Cien sonetos de amor, das ist: Hundert Sonette über die Liebe zugelaufen, nämlich die Nummer XI, das ist: 11, die er seiner nachmaligen dritten Ehefrau Matilde Urrutia schenkte. Auf dem Buchmarkt ist die Sammlung seit 1998 präsent als Hungrig bin ich, will deinen Mund, das ist: eine Auswahl von 68 aus den 100. Markus Müller formuliert es in Nerudas Ode an die Liebe. Große Lücke in der Übersetzung des Werkes des Nobelpreisträgers geschlossen in den Lateinamerika Nachrichten 284, Februar 1998 so:
Bis auf die Wahl des Titels „Hungrig bin ich, will deinen Mund“, der leider an Klaus Kinskis gar nicht erhabene Adaptation Villons „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ erinnert, ist dem Übersetzer und Herausgeber Fritz Rudolf Fries ein großartiger Wurf gelungen.
Die genannte Lücke bestand offenbar bis 1998, also lange nach der Luchterhand-Ausgabe. Dabei wird Sonett XVII in Patch Adams von Tom Shadyac 1998 an mehreren Stellen zitiert, unter anderem der ikonischen Beerdigungsszene; Sonett XII erscheint 2002 in einem Bollywood-Fetzen, dem ich lieber nicht näher nachspüren möchte, beim ersten Treffen in einer Bar und später noch einmal als gleich doppeltes Zitat; und Sonett XVII erscheint vollständig in der Folge The Naked Man von How I Met Your Mother, vierte Staffel 2008.
Mir selbst liegen weder der große dicke Luchterhand noch die Auswahlübersetzung von Rudolf Fries 1998 vor, und mit Verlaub, ohne Herrn Neruda oder seinen Verfechtern nahe zu treten, beabsichtige ich vorerst weder Geld noch Regalmeter an ihn zu wenden.
Deshalb war eine eigene Übersetzung fällig. Ich war so frei, die Metaphern mit „essen“ und „fressen“ zurückzufahren, weil sie in der Ballung unangemessen kannibalistisch wirken. Die formale Bindung besteht aus fünf Vershebungen mit jambischem Auftakt; reine Jamben oder schöner: Daktylen waren ohne inhaltliche Verluste nicht durchzuhalten. Das „Ödland“ aus einer bestehenden Version war zu schön, um es um meiner eigenen Originalität willen links liegen zu lassen, und „herumspüren“ ist das, was nicht gerade ein Puma, aber immerhin Mephisto angesichts Gretchens Zimmer tut.
Und nein, ich kann kein Spanisch. Aus den Vorlagen einer Google-Übersetzung auf Deutsch und Englisch und den Resten eines Latinums lässt sich heute viel machen, aber ich werde mich bereitwillig über Fehler und Stilblüten belehren lassen.
——— Pablo Neruda:
aus: Cien sonetos de amor, 1959:
Soneto XI
|
Sonett XI
|
Haben die Haare schön: Cover Pablo Neruda: Cien sonetos de amor, 1959;
Silvia Sala, Bergamo, 17. Oktober 2013 und 3. Mai 2012,
aus: Self Portraits.
Soundtrack aus dem modernen Chile: Fother Muckers: A la primera, aus: No Soy Uno, 2007:
Am Ende war sie tot (mehr wert als lebendig)
Update zu Her Waltz
und Zahlenzyklus:
Ca. 2003 für jetzt.de – Rudimente davon gibt’s noch abzüglich der Community –, seinerzeit von der Kritik auf der Startseite gefeatured und vom Publikum mit nicht unter 20 Lesenswertpunkten gewürdigt. Dabei waren damals nicht mal Satzzeichen drin.
Ein Leben in Doublebinds
(Es war ein Unfall.)
Aufgewachsen mitten am Rande der Provinz
reichte sie nie über 1,70, sollte was Besseres werden,
Handwerkerin, aber dann Meisterin, oder
wenn schon gleich Prof.
Ich war mit ihr im Kindergarten,
da konnte sie schon vorlesen,
die kluge Else, die Raupe Nimmersatt, leider
weder schwimmen noch Radfahren.
Natürlich
haben wir sie verarscht.
Gelauscht haben wir ihr
trotzdem. Eine Schulzeit voll mieser Noten.
Die ist nicht blöd, die ist nur faul,
eine andere hätte mit ihren Anlagen alle
Schulpreise abgeräumt und die Karriere
gemacht, von der ihre Eltern geträumt haben.
Zu blöd für die Mittlere Reife
sollte sie ihren Eltern nicht so auf der Tasche liegen,
kriegte noch ein Abitur spendiert,
fand keine Lehrstelle und ging studieren.
Die Welt stand ihr offen.
Man bereut ja immer nur,
was man versäumt, nicht
was man getan hat.
Gerade darum versuchte sie alles Vermeidliche:
Anglistik Dialektologie Anfangsgründe Slawisitk,
ein Universalgenie, von
allem so wenig nahm keiner ernst.
Ernst nahm sie sich selber nie, begriff wohl
nicht, dass es ihr Leben war was sie da führte
verschob alles auf später, projizierte, damit sie
sich beweisen konnte: Es ist unmöglich.
Zwischendurch bekam sie tatsächlich Lust,
was zu werden. Ein Jahr
Cardiff wär’s gewesen. Vergiss es,
hieß es, und werd fertig, wegen Kindergeld.
Tippsenstelle mangels Auslandserfahrung.
Als die Firma in die Knie brach —
New Economy Investoren Dotcomsterben —
zog sie in die Hauptstadt.
Dort traf ich meine Jugendfreundin wieder:
hübsche intelligente junge Frau,
die keine Ahnung hatte,
wie sie auf andere wirkte.
Sie hätte an jedem Finger
einen Freundschaftsring tragen können.
Kindergeld für sie lief bald aus, da war sie
27, selber hielt sie nichts davon.
In ihrer Winzwohnung hörte man
Bumsgeräusche aus zwei Nachbarwohnungen
gleichzeitig. Manchmal
machte es ihr was aus.
Im Treppenhaus grüßte sie vernuschelt,
wich den Leuten möglichst aus, wollte
nicht im Weg stehen. Ihre zwei drei
wichtigen Freundschaften versandeten.
Bezahlt wurde sie gelegentlich für das, was
sie zu verschenken hatte, wenn ihr aus Mitleid
einer auf dem Nachttisch einen Schein daließ,
aber als Professionelle war sie ein Spielkind.
Auf einmal heiratete sie
einen mit Kind, der eine Eigentumswohnung
und eine GbR mit ihr aufziehen wollte,
Grafik und Text.
Ein Glücksfall, ideale Kombination,
das sollte einem erst mal passieren,
wenigstens weg aus der Wohnung mit
den Bumsgeräuschen.
Ihre Eltern hämmerten ihr ein, dass sie
sich ver-heiratet hatte, ihr Mann machte ihr klar,
dass ihre Eltern sie unfertig rausgeschickt hatten.
Sie war praktisch stündlich auf dem Sprung.
„Im Bett“ lief schon lange nichts mehr,
sie dachte viel zu oft an die Bumsgeräusche.
Oft bettelte sie ihn mit offener Scham um
Liebe an, trank das Leben aus ihm und dürstete.
Mann ist das pubertär, dachte sie, eigentlich
zu unreif um unter Menschen zu leben.
Auch bei mir suchte sie einmal Spaß
und weinte, als sie ihn fand wie früher als Rotzgöre.
Reich wollte sie sein
oder werden, damit sie das tun konnte, was
sie konnte und mochte, nämlich gar nichts.
Alles was Geld brachte kotzte sie an.
Im Vergleich zu ihrem Größenwahn
blieb sie immer anspruchslos, war sich das Salz
in der Suppe, nicht mal den Sauerstoff wert, aber
für echtes Freisein hätte man Geld gebraucht.
Am Ende war sie tot
mehr wert als lebendig,
wegen der Versicherung die immer zahlte außer
bei Selbstmord.
Ihre Kapitallebensversicherung versicherte ihr
nicht die Liebe, die ihr Kapital war. Sicher
kann man nie sein, sagte ihr Mann, der
sie nie liebte. Man lebte dass die Zeit verging.
Am Bahndamm
trieb sie sich gern herum,
obwohl ihr Vater Eisenbahner gewesen war.
In der Ferne verwechselten sich ein paar Fabrikschlöte.
Das fand sie romantisch,
Gras auf den Schienen, Bilder in Beton.
Ihr Fernweh zog sie auf Rähmchen, indem sie
danebenstand und den Zügen nachschaute.
Einmal ließ sie sich vom ICE Richtung
Wien,
ihrer Traumstadt,
das Hirn vom unwesentlichen Rest trennen.
Über ihre Hand verzweigten sich
zwei Blutspuren. Der
Abschiedsbrief, den sie darin
zerknüllte, besagte ungekürzt:
„Es war ein Unfall.“
Fachliteratur: Eugen Drewermann: Die kluge Else, in: Lieb Schwesterlein, laß mich herein. Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet, dtv dialog und praxis, München 1992, Seite 313 bis 362.
Bilder: Stills aus Steph Green: Next Place, aus: Thanks for That, 2022, via About Steph Green.
Soundtrack: Steph „Carver Baronda“ Green: If Nothing Else Comes Along, aus: Spooky Love, 2019:
Fruchtstück 0005: Opening a can of sardines can be an art
Update for Katerladen and
Dornenstück 0003: Junge Mädchen mit Mündern wie Barrakudas und Körpern wie Zitronenbäume:
——— Charles Bukowski:
Style
c. 1972:
Style is the answer to everything.
A fresh way to approach a dull or a dangerous thing.
To do a dull thing with style is preferable to doing a dangerous thing without it.
To do a dangerous thing with style is what i call art.Bullfighting can be an art,
Boxing can be an art,
Loving can be an art,
Opening a can of sardines can be an art.Not many have style.
Not many can keep style.
I have seen dogs with more style than men,
although not many dogs have style.
Cats have it with abundance.When Hemingway put his brains to the wall with a shotgun,
that was style.
Or sometimes people give you style
Joan of Arc had style,
John the Baptist,
Christ,
Socrates,
Caesar,
García Lorca.I have met men in jail with style.
I have met more men in jail with style than men out of jail.
Style is the difference, a way of doing, a way of being done.
Six herons standing quietly in a pool of water,
or you, naked, walking out of the bathroom without seeing me.
Image: RapidHeartMovement: :behind the scenes:, November 7th, 2015,
via Ahmad Mahbouba, in: Charles Bukowski, Facebook, March 12th, 2022.