Archive for the ‘Ägyptische Antike’ Category
Tomatensuppe Salomonis
Update zu Nur die Wurst hat zwei,
Das Beste sind die Kartoffeln
und Goethes Kindergartenfutter:
Um die Clavicula Salomonis des biblischen Königs Salomo(n) lassen sich gleich zwei Schlüsselstellen der Weltliteratur herumwickeln: einmal bei Goethe, wie Mephisto sich seit Faust. Ein Fragment 1788 in Fausti Studierzimmer – „Faust mit dem Pudel hereintretend“ – vom Pudel zum Teufel auswächst, und einmal bei Neil Gaiman im ersten Teil der Sandman-Comics, wie Roderick Burgess den Traum, das ist: der Sandman, statt seiner älteren Schwester, das ist: der Tod, für den größten Teil des 20. Jahrhunderts beschwört und einsperrt.
Amanda Pike hat diese Beziehung entdeckt und erklärt sie für The Sandman Group, 3. November 2022:
If you’re familiar with the medieval grimoire The Key of Solomon (referenced in Goethe’s Faust), it’s the grimoire supposedly written by King Solomon himself. The oldest copy is in the British Museum while English translations can be found in many book stores.
Anyway, I thought this was funny. King Solomon’s Tomato Soup Recipe. 😛
Imagine if Roderick got this spell by mistake.
Das Rezept für Tomatensuppe in Verbindung mit dem König Salomo ist bildlich dargestellt mit der Legende:
About this time last year I made a fake solomon seal, infiltrated some of the edgy appropriative „qabala“ groups, posted this and told people it helps them see through lies.
It says tomato soup. Outside letter say garlic bread. Alchemical symbols mean salt, water, potassium, boil and mix thoroughly. The Latin is just the word for tomato. It went mini-viral.
Amanda Pikes erwähnte „Reference in Goethe’s Faust“ ist in der Tragödie erstem Theil, Vers 1238 bis 1258:
Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
Pudel, so laß das Heulen,
So laß das Bellen!
Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beyden
Muß die Zelle meiden.
Ungern heb ich das Gastrecht auf,
Die Thür‘ ist offen, hast freyen Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
Wie wird mein Pudel lang und breit!
Er hebt sich mit Gewalt,
Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht‘ ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
O! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.
Was Roderick Burgess mit dem Sandman statt mit Death anstellt und was daraus erwächst, nimmt zahlreiche Comicseiten ein und kann daher nicht hier wiedergegeben werden: Das Copyright-Gefrickel um eine Comicserie, deren 75 Einzelhefte ab 1989 noch für ein paar eingeweihte Nerds gut waren, aber 2022 zur ausgewachsenen Netflix-Serie umgeschmolzen wurden, tu ich mir nicht an. Den Zyklus von neil Gaiman sollte ohnehin jeder (und selbstverständlich jede) mal gelesen haben; wenn Sie statt Neil Gaiman 1989 bis 1996 Wesley Dodd 1939 bis 1953 erwischt haben, erzählen Sie mir, wie’s war, das interessiert mich fast noch mehr als die Clavicula Salomonis, von der man reich werden soll. Und natürlich, was dabei rauskommt, wenn man Tomaten mit Salzwasser und Kaliumcarbonat, vulgo Pottasche zusammenrührt, um sie als Tomatensuppe auszugeben, von der man wenigstens satt werden soll.
Bild: Anonymes Meme in edgy appropriative „qabala“ groups, via Amanda Pike, 3. November 2022.
Soundtrack: John Hinckley: Never Ending Quest, 2021:
Durch die Mumie einer altägyptischen Prinzessin bereichert
Update zu Halloween Lectures zu bibliothekarischen Aspekten
der Kulturwissenschaft des Morbiden
und Dieses unnötige, ja sinnlose Hin und Her:
ich bin die liebe mumie
und aus ägypten kumm i e,
o kindlein treibt es nicht zu arg,
sonst steig ich aus dem sarkopharg,
hol euch ins pyramidenland,
eilf meter unterm wüstensand,
da habe ich mein trautes heim,
es ist mir süß wie honigseim,
dort, unter heißen winden,
wird keiner euch mehr finden.
o lauschet nur, mit trip und trap
husch ich die treppen auf und ab,
und hört ihrs einmal pochen,
so ists mein daumenknochen
an eurer zimmertür –
o kindlein, seht euch für!H. C. Artmann, aus: allerleirausch. neue schöne kinderreime, 1967.
Liebe Kinder, der böse Märchenonkel Frank erzählt uns wieder eine Räuberpistole, die sich aus dem alten Ägypten bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert erstreckt. Eigentlich müsste sie stimmen, weil sie in der Zeitung stand. Die Zeitung existiert.
Dort, wo Onkel Franks nicht unspannende Grabräubepistole stehen sollte, steht sie aber nicht. So, wie er sie erzählt, kann sie dort auch nicht stehen, egal was Onkel Frank uns für Writers Tears ein- und vergießt. Wer merkt, warum?
Schreibt’s mir in die Kommentare und lasst mir ein Daumen-Hoch und ein Abo da! Folgt mir für mehr Räuberpistolen!
——— Frank T. Zumbach:
Späte Erklärung: Eine wahre Geschichte
aus: Frank T. Zumbachs Mysterious World, 11. Februar 2010:
In der Nummer 271 des Jahrgangs 1904 erzählen die Dresdner Nachrichten nach Mitteilungen der englischen Presse:
Das Britische Museum zu London ist unlängst durch die Mumie einer altägyptischen Prinzessin bereichert worden. Aber mehr Aufsehen als die Mumie an sich erregt die Tatsache, dass allen, die mit ihr irgend zu tun hatten, unmittelbar nachher ein überaschendes Unglück zustieß, manche das Leben verloren. – Nach dem Katalog des Britischen Museums (I. 22 524) handelt es sich um die Mumie einer Ägypterin aus königlichem Geschlecht, die zugleich Priesterin am Tempel des Ammon-Ra war und um 1600 vor Christus zu Theben gelebt hat. Ein Mitglied der Expedition, dem die Auffindung der Mumie gelang, Mr. D., büßte einige Zeit später den rechten Arm dadurch ein, dass ein Gewehr auf unerklärliche Weise explodierte, als er es in die Hand nahm. Ein zweites Mitglied starb nach Verlust des gesamten Vermögens noch im selben Jahr, ein drittes Mitglied wurde, gleichfalls im selben Jahr, erschossen. Mr. W., der Besitzer der Mumie, musste unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Kairo die Entdeckung machen, dass er während seiner Abwesenheit bedeutende Vermögensverluste erlitten hatte. Bald darauf starb auch er. Nachdem die Mumie der Priesterin des Ammon-Ra auf den Dampfer gebracht worden war, der sie nach England überführen sollte, verlor ihr Auffinder, Mr. D., sie für längere Zeit aus den Augen. Nach der Ankunft der Mumie in England wurde sie zunächst zu einer verheirateten Schwester ihres ersten Besitzers, Mr. W., gebracht, der dieser sie geschenkt hatte. Von dem Tage ihres Eintreffens an wurde die Familie von einem Unglück nach dem anderen heimgesucht. Und als die Dame die Mumie zu einem bekannten Photographen in der Baker Street bringen ließ, der einige Aufnahmen von ihr machen sollte, erhielt sie ein paar Tage später den aufgeregten Besuch dieses Mannes: er habe die Aufnahmen persönlich gemacht und bürge dafür, dass niemand weder das Negativ noch die fertige Platte auch nur berührt habe. Gleichwohl zeige die Photographie nicht die Züge der Mumie, sondern die einer Lebenden mit boshaft leuchtenden Augen. Kurz nachher starb der Photograph eines schnellen und geheimnisvollen Todes.
Um diese Zeit begegnete Mr. D. Der Schwester des Mr. W. Nachdem er alles gehört hatte, beschwor er die Dame, die unheimliche Mumie dem Britischen Museum zu schenken, was dann auch geschah. Der Mann, der sie dorthin transportierte, starb in der folgenden Woche, einem zweiten, der beim Transport geholfen hatte, stieß ein böser Unfall zu. Gleich nach der Installierung der Mumie im Britischen Museum sollte wieder eine photographische Aufnahme von ihr gemacht werden, doch fanden der Photograph und sein Gehilfe die Beleuchtung ungünstig, weswegen verabredet wurde, dass sie später wiederkommen wollten. Auf der Heimfahrt wurde dem Photographen beim Verlassen des Kupees ein Daumen zerquetscht, und als sein Gehilfe zu Hause ankam, erfuhr er, dass eines seiner Kinder durch einen Sturz in eine Glasscheibe sich schwer verletzt hatte. Und nun meldeten sich immer wieder Leute mit der Behauptung, durch bloße Besichtigung der Mumie Schaden davongetragen zu haben. Der Premierminister Asquith, der völlig frei von Aberglauben sein soll, äußerte den Wunsch, diese gefährliche Mumie zu besehen. Aber alle seine Kollegen setzten der Ausführung dieser Absicht ihren Widerstand entgegen, denn sie glaubten, die Mumie würde dann den Sturz des Ministeriums herbeiführen.
Die Museumswärter fürchteten sich so sehr vor dem Mumiensarg, dass sie endlich das Ultimatum stellten, entweder diesen Sarg aus ihrem Bereich zu entfernen oder auf ihre weiteren Dienste zu verzichten. Die Museumsleitung ließ daraufhin die Mumie durch eine Nachbildung ersetzen und das Original in den Keller schaffen. Seitdem hörte alles Gerede auf.
Aber ein amerikanischer Ägyptologe entdeckte den Betrug. Die Museumsverwaltung sah sich dadurch genötigt, ihn ins Vertrauen zu ziehen, und zeigte ihm das im Keller verborgene Original. Er machte ihr ein Gebot, um die Mumie für Amerika zu erwerben, und das Gebot wurde angenommen. Die Mumie wurde dann an Bord der ‚Titanic‘ gebracht, mit der sie unterging…
Bilder: Filmplakat The Mummy (Die Mumie), 1932;
Dresdner Neueste Nachrichten: Ray-Seifenwerbung, Dienstag, 4. Oktober 1904, Seite 6.
Soundtrack: Old Leatherstocking: O Death by Lloyd Chandler, after 1920, recorded Halloween 2020:
Dieses unnötige, ja sinnlose Hin und Her
Update zu Wenn es Ihnen versagt würde to translate,
Nous sommes Voltaire, Muhammad et Charlie und
Und aber nach fünfhundert Jahren (Das eine wächst, wenn das andre dorrt):
Also ich wollte sagen, dass etwa zu dieser Zeit die Verwirrung durch die, ähm … und die Verwirrung wird all jene verwirren, die nicht wissen, und niemand wird wirklich genau wissen, wo diese kleinen Dinge zu finden sind, die verknüpft sind mit einer Art von Handarbeitszeug, das durch die Verknüpfung verknüpft ist. Und zu der Zeit soll ein Freund seines Freundes Hammer verlieren und die Jungen sollen nicht wissen, wo die Dinge, die jene Väter erst um acht Uhr am vorhergehenden Abend dorthin gelegt hatten, kurz vor Glockenschlag. Dies steht geschrieben im Buch von Sel.
Monty Python: Das Leben des Brian, 1979.
Jeder, dem das Denken und Fühlen noch nicht vollends ausgetrieben ist, hätte lieber einen Orient wie aus Tausendundeiner Nacht, wie aus dem West-östlichen Divan, wie bei Friedrich Rückert oder wenigstens wie aus den Almanachen von Wilhelm Hauff. Einen voller üppig gesponnener Märchen, unerschütterlich weltoffener Weisheit, phantasievoller Sachen zum Rauchen und einer Friedfertigkeit, von der sich jeder abendländische Giaur noch was abschneiden kann. Schön wär’s, wirklich wahr.
Fast noch schöner wäre ein Orient voll trotteliger Besatzer, lebensmutiger Ex-Leprakranker und Heilsversprechen an allen Ecken und Enden, die auch nicht surrealer sind als die ohnehin vorgefundene Lebenswirklichkeit. Und wenn man es mal so herzählt, muss einem ein Klamaukfilm wie Das Leben des Brian erschütternd lebensnah vorkommen, auch wenn er 600 Jahre vor der Erfindung des Islams spielt.
Nun ist der islamische Humor leider sehr körperbetont, also meist auf Schadenfreude ausgerichtet. In seinen gesprochenen Manifestationen darf und sollte er geistreich sein, aber keine Unwahrheit aussprechen — was alle Formen der Ironie gesetzlich ausschließt. Natürlich macht ihn das zu einem reinen, nun ja: Minenfeld.
Es scheint, der stets wahrhaftige Hans Mentz von der Titanic ist 2015 auf etwas gestoßen, worauf sich die virulentesten Weltreligionen einigen könnten. Mir war nicht klar, dass der Mann so wichtig ist.
——— Hans Mentz:
Slapstick am Sinai
aus: Humorkritik in: Titanic, September 2015, Seite 49:
Daß es gar nicht so leicht ist, mit Heilsgestalten Komik zu erzeugen, haben auch die Spitzenkräfte von Monty Python erfahren: Wenn jemand ein „gutes Leben“ vorlebt, dann riskieren die, die sich drüber lustigmachen, als inhuman zu gelten. Nicht von ungefähr heißt der Held aus „Life of Brian“ auch Brian und nicht Jesus. Was aber, wenn im heiligsten aller Bücher selbst drollige Sachen passieren? Vor über zwanzig Jahren schrieb Hans Schmoldt seine im Reclam-Verlag erschienene Einführung in das Alte Testament und faßt dort vorbildlich-sachlich zusammen, was sich laut der Überlieferung des Pentateuch am Sinai zugetragen haben soll: „Am Sinai wird Moses mehrfach auf den Berg hinaufkommandiert und steigt mehrfach wieder herab: Er steigt zu Gott hinauf (2. Mose 19,3); in 19,7–8a wird vorausgesetzt, daß er herabgestiegen ist; er steigt vom Berg herab (19,14); er steigt auf den Berg hinauf (19,20); er steigt herab (19,27 [womit 19,24–25 gemeint sein muss]); jetzt (!) verkündet Gott die zehn Gebote (20,1–17); Moses nähert sich Gott, steigt also hinauf (20,21); er soll zu Jahwe hinaufsteigen (24,1); er steigt auf den Berg hinauf (24,13b); er steigt auf den Berg hinauf (24,15a).“ Lakonisch folgert Schmoldt: „Dieses unnötige, ja sinnlose Hin und Her zwingt zu der Annahme, daß hier mehrere Bearbeiter, Ergänzer am Werk waren“. Gut möglich. Mich aber erfreut vielmehr meine eigene Exegese: daß der Jahwist schlicht Gefallen hatte an der Vorstellung, ein wie Charlton Heston aussehender Moses steige wie toll immer wieder auf einen Berg, auf dem er schon längst droben ist, und kriegt die Gesetzestafeln just dann in die Hand gedrückt, wenn er sich eigentlich gerade unten aufhält. Wenn ich, in meinem gleichfalls annähernd biblischen Alter, noch einen Pfarrer empfehlen soll, dann den gelehrten Hans Schmoldt mit seinem makellosen Timing.
Das interessiert mich jetzt, wie sich diese neun Stellen — wenn wir die eigentlichen zehn Gebote ausnehmen — geballt anhören. Die Luther-Übersetzung 1545 letzter eigener Hand, der ich fast soviel glaube wie der monatlichen Humorkritik von Hans Mentz, sagt:
——— Exodus 19,3:
Vnd Mose steig hin auff zu Gott. VND der HERR rieff jm vom Berge / vnd sprach / So soltu sagen zu dem hause Jacob / vnd verkündigen den kindern Jsrael.
——— Exodus 19,7–8a:
MOse kam / vnd foddert die Eltesten im volck / vnd legt jnen alle diese wort fur / die der HERR geboten hatte. Vnd alles volck antwortet zu gleich / vnd sprachen / Alles was der HERR geredt hat / wöllen wir thun / Vnd Mose sagt die rede des Volcks dem HERRN wider.
——— Exodus 19,14:
Mose steig vom Berge zum Volck / vnd heiliget sie / vnd sie wusschen jre Kleider.
——— Exodus 19,20:
ALS nu der HERR ernider komen war auff den berg Sinai / oben auff seine spitzen / foddert er Mose / oben auff die spitze des Bergs / Vnd Mose steig hin auff.
——— Exodus 19,24–25:
Vnd der HERR sprach zu jm / Gehe hin / steige hinab / Du vnd Aaron mit dir / solt herauff steigen / Aber die Priester vnd das Volck sollen nicht her zu brechen / das sie hinauff steigen zu dem HERRN / das er sie nicht zuschmettere. Vnd Mose steig hervnter zum Volck / vnd sagts jnen.
——— Exodus 20,21:
Also trat das volck von ferne / Aber Mose macht sich hinzu ins tunckel / da Gott innen war.
——— Exodus 24,1:
VND zu Mose sprach er / Steig erauff zum HERRN / du vnd Aaron / Nadab vnd Abihu / vnd die siebenzig Eltesten Jsrael / vnd betet an von ferne /
——— Exodus 24,13b:
Da macht sich Mose auff / vnd sein diener Josua / vnd steig auff den berg Gottes / vnd sprach zu den Eltesten / Bleibt hie / bis wir wider zu euch komen / Sihe / Aaron vnd Hur sind bey euch / Hat jemand eine Sache der kome fur die selben.
——— Exodus 24,15a:
DA nu Mose auff den Berg kam / bedeckt eine wolcke den berg / Vnd die Herligckeit des HERRN wonete auff dem berge Sinai / vnd decket jn mit der wolcken sechs tage / vnd rieff Mose am siebenden tage aus der wolcken.
Körpernaher Slapstick, dem man je nach Neigung schadenfroh begegnen kann, dabei nicht geistlos. Da lacht der Großstadthipster mit dem Barte des Propheten um die Wette. Gott ist groß.
Bilder: Yvonne De Carlo, wahrscheinlich 1956 als Zipporah, Moses‘ Frau in Die Zehn Gebote via Evie, 2012;
Pietro Perugino: Zipporah (3. v. l. in Blau) als Detail in Viaggio di Mosè e circoncisione del suo secondo figlio, zwischen 1481 und 1483 (circoncisione heißt Beschneidung).
Filmbeleg: The Ten Commandments, 1956, als Playlist.
Übrigens mit „Lily Dracula-Munster“ als Moses‘ Frau Zippora.
Halloween Lectures zu bibliothekarischen Aspekten der Kulturwissenschaft des Morbiden
Man muss das nicht bemerken, aber wenn einer mit Halloween sonst nix verbinden mag, kann er eventhalber immer noch zu Eric W. Steinhauer, Dezernent an der Universitätsbibliothek Hagen in die Vorlesungen zu bibliothekarischen Aspekten der Kulturwissenschaft des Morbiden. Davon macht der Mann genau eine pro Jahr, immer um Allerheiligen, und nennt sie deshalb Halloween Lectures.
Die Folge für 2012 heißt Der Tod liest mit. Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen, Am Dienstag, 6. November ab 18 Uhr im Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Mit einem nicht einzudämmenden Ansturm wird demnach wohl nicht gerechnet, Sie können beruhigt hin.
Als Buch gibt es seit kurzem im Hagener Eisenhutverlag die letztjährige Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie. Überlegungen zur Eschatologie der Bibliothek. Darin werden Bücher mit menschlichen Mumien verglichen, vor allem mit der Einrichtung der Biblioitheksmumie. Laut dem Interview Friedhof der Datenträger hat der Mann etliche überraschend stichhaltige Argumente:
In Bibliotheken und auf Friedhöfen verwesen Sachen — worauf man noch ungestützt kommen kann. Steinhauer fährt fort — hier eigenmächtig gekürzt aus Urs Willmann in der Zeit:
Die Arbeitsgänge in der Pathologie erscheinen mir sehr bibliothekarisch. Proben kommen an, erhalten Barcodes, werden aufbereitet, klassifiziert. Das machen wir genauso. Und wenn Sie frühe Bilder von Sektionen anschauen, sehen Sie die Leiche und daneben ein aufgeschlagenes Buch. In beidem wird gelesen. [Friedhöfe und Bibliotheken] sind Orte der Erinnerung. Und beide sind wahre Speicher. Aber wo sich erinnert wird, wird auch viel vergessen. Es vergammelt, wenn Sie so wollen. Uns Bibliothekaren ist daher die Metapher von der Bibliothek als Friedhof durchaus geläufig.
Bibliotheken und Museen haben einen gemeinsamen Vorläufer in der frühneuzeitlichen Wunderkammer. Man sammelte dort Bücher, Naturalien und andere kuriose Dinge. Einige Mumien sind in den Bibliotheken verblieben. Und ich stellte fest, dass dies kein Zufall war. Vielmehr ist eine gemeinsame ideelle Dynamik am Werk. Es geht darum, Sterblichkeit zu überwinden, sich der Endlichkeit durch Aufbewahrung entgegenzustellen.
Mumien sind Kulturgut, für sie gelten besondere Vorschriften [abweichend von der Bestattungspflicht]. Aber natürlich gibt es immer Debatten darüber, ob man Leichen oder Leichenteile zeigen darf. Speziell in Bibliotheken sind Einbände aus Menschenhaut kuriose Phänomene. Mit dem Nationalsozialismus hat das nichts zu tun, die Sachen sind älter. Bei diesen Objekten bilden Tod und Buch eine merkwürdige Symbiose: Leichenmaterial hilft, Gedanken aufzubewahren. Bibliophile nennen so etwas einen sprechenden Einband. Man kennt das von Kinderbüchern: Ein Teddybärbuch ist in ein Teddybärfell eingebunden. Genauso schützt manchen alten Anatomieatlas eine Menschenhaut. Genauso, wie wir bei Leichen sagen, da seien Persönlichkeitsrückstände drin, verbleibt im Buch ein Stück der Persönlichkeit des Autors. Wir sprechen ja auch von geistigem Eigentum des Autors. So kommen wir vom skurrilen Gedanken zur kulturwissenschaftlichen Perspektive: Wie gehe ich mit Verstorbenen um, wie mit Büchern?
Es gibt die Ansicht: Verbrennt man Bücher, verbrennt man bald auch Menschen. Der Gedanke ist nicht aus der Luft gegriffen. Man kennt Praktiken von Bücherbestattung. Im Judentum werden zerschlissene Thorarollen nicht weggeschmissen – sondern beigesetzt. Das Buch wird wie eine Person behandelt, ehrfürchtig. Es ist mehr als beschriebenes Papier. Daher auch die Betroffenheit, wenn eine Bibliothek brennt oder wenn Bücher weggeworfen werden. Wir Bibliothekare müssen ja unseren Bestand pflegen, ältere Exemplare und Doppelstücke aussortieren. Manche liegen 20 Jahre im Regal, staubbedeckt, keiner nutzt sie. Aber wenn wir sie in den Container werfen und die Öffentlichkeit kriegt es mit, herrscht Empörung: Das macht man doch nicht mit Büchern!
Als die Herzogin Anna Amalia Bibliothek brannte, waren Entsetzen und Trauer riesig. Als ob Menschen gestorben wären. Genauso beim Archiveinsturz in Köln. Obwohl die meisten, die geschockt waren, die Einrichtung und die Bestände nie genutzt hatten und sie auch nie benutzen würden.
In unserer Rechtsordnung findet man übrigens erstaunliche Parallelen zwischen Leiche und Buch. Es ist gesetzlich, dass wir Tote würdevoll bestatten und sie eine Zeit lang das Recht haben zu ruhen. Vielerorts ist die Totenruhezeit auf dem Friedhof nach 30 Jahren vorbei. Eine ähnliche Komponente haben wir im Urheberrecht: Es endet 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Als Rechtssubjekt bin ich also am längsten präsent in den Schriften. Insofern kann man sagen: Die Bibliothek ist der nachhaltigste Friedhof.
Wir schätzen das Individuum und legen auch bei Autoren, die 300 Jahre lang tot sind, großen Wert darauf, einen originalen Text in den Händen zu halten. Genauso bei den Mumien. Wir streben danach, das Individuum zu rekonstruieren. Schauen Sie sich den Ötzi an. Mit Röntgenstrahlen und Computertomografie holen wir so viel aus der Mumie heraus wie aus einem Datenträger. Dadurch lebt ein Individuum wieder auf. Wir schreiben Ötzis Krankheitsgeschichte, imaginieren seine Biografie. Reliquienverehrung funktioniert genauso. Das Recht ordnet zwar solchen Überresten längst keine Person mehr zu, aber kulturell bleibt diese darin lebendig.
Wie Petrarca würde ich vom dreifachen Tod sprechen. Zuerst stirbt man, später verliert man das Grab, und schließlich sind die Schriften weg. Was wir an kulturellem Gedächtnis betreiben, in Bibliotheken und Archiven, dient dazu, diesen dritten Tod aufzuhalten. Es ist faszinierend, Medienumbrüche in diesem Licht zu sehen. Vor dem Buchdruck existierten nur Handschriften – ein Unikat konnte schnell verloren gehen. Plötzlich aber gab es das Buch in Vielzahl. Man meinte, eine Art Ewigkeit geschaffen zu haben. Doch diese Freude wich bald einem Pessimismus: So viele Bücher! Man betrachtete die Bibliothek als Labyrinth, in dem man Dinge kaum findet.
Wollten Sie vor 30 Jahren einen Druck aus dem 17. Jahrhundert konsultieren, mussten sie zu ihm hinreisen und anfragen, ob sie ihn mit Baumwollhandschuhen anfassen dürfen.Heute laden Sie sich den Scan auf ihr iPad und lesen ihn im Park. Das Leben ist zurückgekehrt in das Werk.
Die ägyptische Mumie zieht dem frostigen Ambiente das trockene Buchklima vor. Meistens findet man bei ihr ein Totenbuch. Und viele Mumien sind in beschriftete Binden eingewickelt oder tragen Masken aus altem beschriebenem Papyrus – ein erstklassiges Bestattungsmaterial, das in dieser Form recycelt wurde. Sie sehen: Das ist eine ganz andere Qualität von Mumie. Als Text in Bibliotheken verfügbar zu bleiben, finde ich dagegen eine schöne Vorstellung. Ein Leser nimmt die Gedanken in seinen Kopf und haucht ihnen wieder Leben ein.
Die auf 7 Bände angelegte Kulturgeschichte des Morbiden von Eric W. Steinhauer in Halloween Lectures: Zwei Bände im Eisenhutverlag schon erschienen, der dritte vorbestellbar:
- Friedhofsrecht;
- Vampyrologie für Bibliothekare. Eine kulturwissenschaftliche Lektüre des Vampirs, 2011;
- Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie. Überlegungen zur Eschatologie der Bibliothek, 2012;
- Der Tod liest mit. Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen, 2013
Bilder: Tobias Wimbauer: Eric Steinhauer, Halloween und die Kulturgeschichte des Morbiden,
Eisenhutverlag 24. Oktober 2012;
Sylvain Sonnet für Corbis: Peruanische Mumien sind in der Lissabonner Museumsbibliothek ausgestellt.