Barfußwochen 08: Danne ich wüete fluot des rîfen nû mit füezen bar
Update zu Dein pöschelochter roter mund:
Für die freundliche Lanzhoverin vom Bodensee, die theoretisch geholfen hätte.
——— Klaus Cäsar Zehrer: Die Stiftung Lyriktest informiert, „Ausgang“ zu: Hell und Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004, Seite 515 f.:
Bei älteren Sprachspielen, die ihre Reifezeit bereits überschritten haben, können wir eine andere Tendenz feststellen. ist ihre Regel bis zum Äußersten ausgereizt, läßt sich ein komischer Effekt nur noch durch Regelbruch erzielen. So erging es dem Schüttelreim, einem Kunstgriff, den schon Konrad von Würzburg im 13. Jahrhundert kannte [Hervorhebungen in Zehrers Vorlage]:
Jârlanc vrîjet sich diu grüene linde
loubes unde blüete guot;
wunde güete bluot des meien ê der werlte bar.
gerner ich dur liehte bluomen linde
hiure in touwes flüete wuot,
danne ich wüete fluot des rîfen nû mit füezen bar.Am Ende des 19. Jahrhunderts brach, von den humoristischen Zeitschriften „Fliegende Blätter“ und „Ulk“ ausgehend und bald auf die breite Bevölkerung übergreifend, das Schüttelreimfieber aus. Jedes erdenkliche mehrsilbige Wort wurde durch Konsonantenumstellung auf die Probe gestellt, wobei erstaunlich viele Wendungen gefunden wurden. […]
Allerdings war die Regel so leicht anwendbar und führte zu einer solch enormen Trefferzahl, daß das ursprünglich recht lebendige und lustige Spiel schnell ins mechanische Abklappern von Buchstabenkombinationen umkippte. Bald mußte ein Schüttelreim schon außergewöhnlich zündend sein, um nicht zu langweilen. Als es endlich und endgültig keinen Schritt mehr voranging an der Schüttelfront, besann sich F. W. Bernstein der alten Faustregel von Henri Bergson, wonach das Lächerliche dort zutage tritt, „wo etwas Lebendiges von etwas Mechanischem überdeckt wird“. Systematisch vollzog er, was Erich Mühsam […] zuvor bereits beiläufig und zufällig gelungen war: Er dekonstruierte die banal gewordene Kunst der Wortschüttelei, indem er exemplarisch verhauene Vierzeiler verfaßte, die die erste Regel des Schüttelreimens (Kreuztausch der Konsonanten) penibel einhalten, aber ihre zweite (es dürfen dadurch ausschließlich sinnvolle Wörter entstehen) grob mißachten. So entstanden Meta-Schüttelreime […], deren Komik dadurch entsteht, daß sie den leeren Automatismus konventioneller Schüttelreime aufdecken, und darin wiederum liegt die Ursache füe die Erkenntnis, warum es unmöglich ward, nach Bernstein einen Schüttelreim zu schreiben.
Ninette, die stark ins Mittelalter orientierte und im Mittelhochdeutschen fortgeschrittene Lanzhoverin, meint angesichts Konrads von Würzburg: „Hihi, da geht’s um eine Barfüßige.“ — Stimmt fast: Es geht um einen Barfüßigen, weil das sprechende Ich zumindest in der zweiten Strophe nur entweder männlich oder lesbisch sein kann — womit in dieser Entstehungszeit nicht zu rechnen ist.
Nun zeichnen sich barfüßige Figuren in der Kunst gewöhnlich entweder durch besondere Armut, Verletzlichkeit oder Friedfertigkeit aus. Durch eine bestimmte Art der Schönheit glänzen sie erst in einer so neuen Zeit, in der Fußbekleidung so selbstverständlich geworden ist, dass ihr Mangel auffällt — also funktioniert das auch nur in wohlhabenden Kulturen, in denen freiwillig und nicht, um an den Schuhen zu sparen, barfuß gegangen wird. Überraschend deshalb, dass genau das im Hochmittelalter funktioniert haben muss.
In den Barfußwochen auf DFWuH erscheint deshalb Konrads vollständige dreistrophige Kanzone mit der Übersetzung von Max Wehrli aus: Deutsche Lyrik des Mittelalters, 100. Band der Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich 1955, 7., durchgesehene Auflage 2001.
Konrads durchtriebene Frühformen des Schüttelreims — in den zweiten Strophenhälften sind jeweils auch Binnenreime dabei —, die im Original durch vergrößerte Wortabstände deutlich werden, sind in Wehrlis Übersetzung leider völlig vernachlässigt; es ist eine reine Übertragung der Inhalte, was den Vorteil hat, dass sie keine sinneingreifenden Zugeständnisse an die Form machen muss:
——— Konrad von Würzburg: Lied 13, 13. Jahrhundert:
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——— Konrad von Würzburg: Lied 13, neuhochdeutsch 1955:
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Bilder: Cover Max Wehrli, Hrsg.: Deutsche Lyrik des Mittelalters. Mit 36 Abbildungen aus der Manessischen Liederhandschrift, 100. Band der Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich 1955;
Ninette von Lanzhoven, die gleich durch Armut, Verletzlichkeit, Friedfertigkeit und eine bestimmte Art der Schönheit glänzt, fertigt ein Nestelband, 22. Juni 2014.
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