Dein pöschelochter roter mund
Update zu Frühlingsreigen Buranum:
Postkoital krabbelt die Wölfin auf einen weichen Wiesenflecken, lehnt sich an unseren Baumstamm, stopft sich zum gemütlicheren Sitzen eine Handvoll erreichbar herumliegender Unterwäsche unter den Hintern, schlingt sich die Arme um die Knie und knipst von innen ihr „Tu’s doch“ auf den Rückseiten ihrer Augäpfel an.
„Du wolltest mir was singen“, beschließt sie.
„Ach“, sag ich.
„Dochdoch, glaub schon.“
„Was genau wollte ich gleich wieder singen?“
„Bloß nicht das Under der linden-Tandaradei, bloß weil wir grade …“ Sie deutet in die Baumkrone.
„Gut. Sondern?“
„Was Neueres.“
„Neuer als der Vogelweide. Ganz klar – der Wolkensteiner.“
Sie sackt zusammen. „Man wird so bescheiden, wenn man immer nur nehmen kann, was man kriegt.“
„Danke, du warst auch gut, Schatz.“
——— Oswald von Wolkenstein:
Fröhlich / zärtlich
,
um 1411, Urtext nach dem Innsbrucker Codex „Handschrift B“, 1432,
in: Klaus J. Schönmetzler: Oswald von Wolkenstein. Die Lieder mittelhochdeutsch–deutsch, Phaidon, Essen 1979, 21990:
Tenor
FRölich / zärtlich / lieplich / und klärlich / lustlich / stille / leyse / jnsenffter / süsser / keusch‘ /sainer weyse / wach du mīnikliches schönes weib / reck / streck / breys dein zarten stolczen leib /
2a pars
Sleuss auf dein uil liechte öglin klar / taugenlich nym war / wie sich uerschart / der sterne gart / jnn der schönen / hayttren / klaren / sunne glancz / wol auff zu dem tancz / machen einen schönen krancz / uon schawnen / prawnen / plawen / grawen / gel / rot weyss / viol plümlin sprancz /
LÜnczlot / münczlot / klünczlot / und zysplot / wysplot freuntlich sprachen / auss waidelichen / güten / rainen / sachen / sol dein pösschelochter / rotter mund / der ser mein hercz lieplich hat erzunt / Vnd mich fürwar tausent mal erweckt / freuntlichen erschreckt / auss slauffes träm / so ich ergäm / ain so wolgezierte rotte engespalt / lächerlich gestalt / zendlin weyss dorjn gezalt / trielisch / mielisch / vöslocht / röslocht / hel/ zu vleiss waidelich gemalt /
WOlt sy / solt sy / tät sy / und käm sy / näm sy / meinem hertzen / den seniklichen grossen hertten / smertzen / und ein brüstlin weyss darauff gedruckt / secht / slecht / so w&eeml;r mein trauren gar verruckt / Wie möcht ein zart seuberliche diern / lustlicher geziern / das hercze mein / an argen pein / mit so wunniklichem zarten rainen lust / mund mündlin gekusst / zung an zünglin / brüstlin an brust / bauch an beuchlin / rauch an reuchlin / snel / zu fleiss / allczeit frisch getusst / Amen –
„Um Gottes willen“, entsetzt sich die Wölfin in ihrer sagenhaften sonnenbeschienenen Nacktheit, „hat das schon mal jemand verstanden?“
„Gegen anno 1411 noch ad multos annos. Das soll sogar beliebt sein.“
„Warum?“
„Die Variante eines Tagelieds„, erkläre ich, „ist laut Schönmetzler
eine zweistimmige Kontrafaktur des ursprünglich dreistimmigen Rondeaus „En tres doulz flans„. Beide Handschriften [das sind Wiener Handschrift „A“ und Innsbrucker Codex „B“] weisen gravierende Schlüsselfehler auf. Nur der Tenor von Hs.A gibt den korrekten lydischen Modus an. Die Übertragung [der Notenschrift] folgt Hs.B und gleicht die dortige Terzierung durch Akzidenz aus.
Eine Darstellung des Liedes in rekonstruierter Dreistimmigkeit findet sich bei Ganser/Herpichböhm.
Klar, oder?“
„Klar wie Eisengallustinte. Was für Ganserherpichböhm?“
„Hans Ganser und Rainer Herpichböhm: Oswald von Wolkenstein-Liederbuch. Eine Auswahl von Melodien, Göppinger Arbeiten zur Germanistik 240, Göppingen 1978. Nicht so richtig im Handel zur Zeit, aber Fernleihe ist immer mal einen Versuch wert.“
„Ja dann!“
„Schön, dich so befriedigt zu haben. Normalerweise singe ich nur zur Schalmei.“
„Das war nicht gesungen. Das war doziert. Sing für mich, Page!“
„Das gleiche nochmal auf Verständlich?“
„Hab ich’s nicht geahnt, dass du das kannst?“
——— Oswald von Wolkenstein:
Frölich, zärtlichum 1411:
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——— Oswald von Wolkenstein:
Fröhlich, zärtlichum 1411:
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„Horch an. Woher hast du das so plötzlich?“
„Die neuere Schreibung mit der Umverteilung auf Strophen müsste beizeiten angefangen haben und ist ganz üblich, Fassungen gibt’s fast so viele wie Abschriften. Ich hab ja selber grade eine neue eingeführt: In dem Urtext sollte das ‚LÜnczlot‘ statt des großen Ü ein großes V mit Trema haben.“
„Ein Pünktchen-V?“
„Einen V-Umlaut, genau. Das &Vuml; wird aber in HTML nicht genommen, ist also nicht zu bloggen, und schon ist eine Textvariante in die Welt gesetzt. Meine Übertragungen hab ich aus der Deutschen Lyrik des späten Mittelalters – weißt schon, die grandiosen weißen Taschenbücher nach der Bibliothek Deutscher Klassiker. Die Übersetzung wäre damit von Burghart Wachinger.“
„Aber schön!“
„Jaja. Man wird so bescheiden, wenn man immer nur nehmen kann, was man kriegt.“
„Ach hör auf.“
Die Zehennägel der Wölfin haben den gleichen rosigen Farbverlauf wie der innere Ring der Gänseblümchen, zwischen denen sie stehen. Eins davon wächst durch das Guckloch zwischen ihren Zehen Nummer 1 und 2 links. Sie hat ihre Knie losgelassen, äugt in die Runde und klaubt noch mehr umherliegende Wäsche unter ihren allzeit frisch getussten Hintern.
Jnn der schönen hayttren klaren sunne glancz: Laura Clarke: Midsummer Dreaming, 30. April 2013;
lünczlot münczlot klünczlot und zysplot: Lotterbett, Sommer 2011, Graphit und Rötel, gemeinfrei.
Die Vorführung des Wiener Ensemble Unicorn (Leitung: Michael Posch, Altus: Markus Forster): Oswald von Wolkenstein. Liebeslieder, Raumklang, Goseck 2011 gilt dem bisher einzigen Laienrezensenten auf Amazon.de schon als „musikalisch überzeugend, mit Schwung und Gefühl interpretiert“, ein viersprachig seitengeschundenes Booklet als „sehr informativ“. Man wird so bescheiden, wenn man immer nur nehmen kann, was man kriegt.
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