Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Vom Büblein auf dem Eise (Der Vater hat’s geklopfet)

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Update zu Der den Wasserkothurn zu beseelen weiß,
Sie sollen und müssen gerettet sein!,
Was denn sonst, bei diesem Sauwetter
und Meine Urgroßmutter und die Wolken:

Das hat mir meine Großmutter als Das Büblein auf dem Eise beigebracht – korrekt mit dem Dativ-e, ich erinnere mich an nichts anderes – und das, ohne daraus allzu naheliegende zotige Reime abzuleiten.

Lange war mir nicht klar, dass die Leute Wörter wie „heuer“ gar nicht kennen, und wenn es gleich zu Anfang kommt, für alle verbleibenden Strophen verloren sind. Heute erhellt, dass der Dichter Friedrich Güll erstens am 1. April und zweitens im mittelfränkischen Ansbach geboren ist und deshalb fast alles darf, drittens am Heiligabend und viertens in München gestorben ist und deshalb wahrscheinlich nichts damit anfangen konnte, wenn die Leute das handliche „heuer“ mit „in diesem Jahr“ umschreiben müssen.

Wo wir gerade von Strophen reden: Im Originaldruck sind sie auf fünf Verse aufgeteilt. Indem sich die jeweils ersten zwei davon dreihebig binnenreimen, also keine richtigen Alexandriner sind, ergibt das für die Vortragspraxis einwandfrei siebenzeilige Strophen.

Wenn das die Großmutter geahnt hätte. Gemerkt haben es die Illustratorin Gertrud Caspari und ihr – wie ich vermute – Ehemann und Herausgeber Walther Caspari für ihre Ausgabe in: Frühling, Frühling überall! zu Kinderliedern von Friedrich Güll, 1910 und öfter. Ohne an Herrn Gülls unbefugt herumbessern zu wollen, sieht das siebenzueilige Layout doch gleich viel cantabiler aus. Meinen blitzgescheiten, lyrisch bewanderten Lesern gebe ich dennoch Gülls ursprüngliche Schreibweise wieder.

Nach den jugendbildnerischen Begriffen des jungen Jahrtausends fällt die Moral von der Geschicht‘ unter kohlrabenschwarze Pädagogik. Dafür kann meine Großmutter aber nix, und außerdem ist das Gedicht sehr lustig. Und jawohl, schwarze Pädagogik hat mir geschadet.

———- Friedrich Güll:

13. Will sehen was ich weiß
Vom Büblein auf dem Eis.

1827, in: Georg Paysen Petersen, Hrsg.: Mütterchen, erzähl uns was!
Erzählungen, Gedichte, Lieder, Spiele, Rätsel und Sprüche
für Kinderstube und Kindergarten, Verlag von Otto Meißner, Hamburg 1894, Seite 318:

Gefroren hat es heuer noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher und spricht so zu sich leis:
„Ich will es einmal wagen,
Das Eis, es muß doch tragen.“ –
          Wer weiß?

Das Büblein stampft und hacket mit seinem Stiefelein.
Das Eis auf einmal knacket, und krach! schon bricht’s hinein.
Das Büblein platscht und krabbelt
Als wie ein Krebs und zappelt
          Mit Schrein.

„O helft, ich muß versinken in lauter Eis und Schnee!
O helft, ich muß ertrinken im tiefen, tiefen See!“
Wär nicht ein Mann gekommen,
Der sich ein Herz genommen,
          O weh!

Der packt es bei dem Schopfe und zieht es dann heraus:
Vom Fuße bis zum Kopfe wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
Der Vater hat’s geklopfet
          Zu Haus.

Gertrud Caspari für Frühling, Frühling überall. Zu Kinderliedern von Friedrich Güll, 1910, 1925

Bild: Gertrud Caspari für: Gertrud und Walther Caspari, Hrsgg.: Frühling, Frühling überall! zu Kinderliedern von Friedrich Güll, 1925.

Soundtrack: Tori Amos: Winter, aus: Little Earthquakes, 1992:

Written by Wolf

20. Januar 2023 um 00:01

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