Wuchtig, in gedrängter Vierzeil‘ singe ich vom Cinnamone
Update zu Hastig die ärmlichen Verse
und Nach einer guten Mahlzeit:
Wir erleben einen ganz ungewohnt aufgeräumten Arno Schmidt in Kalauerlaune. Aus der Reihe: So sinnenfroh konnte der alte missmutige Zausel, nein: Dichterfürst also auch.
Laut den Anmerkungen der Bargfelder Ausgabe konnte bis zur Auflage von 1992 „über Anlaß und Entstehung des von den Herausgebern so genannten ‹Zimtfragments› […] nichts in Erfahrung gebracht werden.“ Als Textgrundlage konnte nur das Manuskript dienen, das vermutlich mit Schmidts restlichem Nachlass im Stiftungsarchiv zu Bargfeld aufbewahrt wird.
Die Niederschrift „um“ 1949 erklärt sich aus der 29. Strophe mit der Jahresangabe, allerdings ist die Strophenreihung auf keine stringente Abfolge angelegt, sondern als Sammlung von Ideen ohne zwingende Reihenfolge. Niederschrift innerhalb ein und desselben Jahres liegt nahe, weil man solche Bierideen erfahrungsgemäß durchziehen muss, solange sie frisch sind.
Zur biographischen Einordnung war Schmidt 1949 mit seiner Frau Alice wohnhaft im Mühlenhof der Cordinger Mühle in der Lüneburger Heide, wo er seinen Erstling Leviathan armutsbedingt auf Formularpapier für Telegramme kritzeln musste. Im Falle des 35-Jährigen zählt das Gedicht also noch unter apokryphe Juvenilia. Viel mehr wird sich darüber nicht mehr herausfinden lassen, aber der Übermut dieses Nebenwerks ist ein gutes Zeichen für Schmidts Schaffenskraft. Es war weder 1989 in Arno Schmidts Wundertüte, der posthumen Sammlung fiktiver Briefe aus den Jahren 1948/49 bei Haffmans, weil es kein fiktiver Brief ist, noch 2013 in Arno Schmidt zum Vergnügen bei Reclam, weil es zu lang ist, und musste deshalb zur Rarität verwittern.
Das Zimtfragment erscheint unten als Internetpremiere nach der Bargfelder Ausgabe korrigiert, wobei selbst im kostbaren „elektronischen Findmittel“ kleinere Unterschiede zur gedruckten Studienausgabe, vor allem in der Zeichensetzung, aufgefallen sind. Schmidts typische französische Anführungszeichen habe ich belassen, diesmal in einer Schweizer, nicht französischen Anwendung. Die Schreibweise „Cinnamon“ verrutscht nur einmal in die Unregelmäßigkeit „Zinnamon“. Nur was ein geschlagene dreimal vorkommender „tin“ sein soll, ist wohl Gegenstand künftiger Forschung.
Meine Lieblingsstrophe ist die 14., die englische, die hat so schön was von Irish Folk, jedenfalls höre ich da die Pogues raus.
——— Arno Schmidt:
Das ‹Zimtfragment›
Manuskript um 1949, cit. nach Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe I, Band 4, Seite 155 bis 159:
1.) Bötet ihr im Pantheone
einen Platz bei Göttern mir,
und ich sollt vom Cinnamone
scheiden – lieber bleib ich hier.2.) Fürsten, Grafen und Barone,
Allen sei ihr Gold geschenkt –
sitz ich nur beim Cinnamone
leicht mit Zucker untermengt3.) Elbe, Weser, Maas und Rhone
rollen stolz zum Meere hin :
laß mich nur beim Cinnamone,
nicht hinaus steht dann mein Sinn4.) Daß er schnödem Goldstaub frohne
müht sich Arm und Reich gebückt. –
Gönnt mir Staub vom Cinnamone
und ich preise ihn entzückt.5.) Bot dem Sänger man zum Lohne
einst im flutenden Pokal
roten Wein – vom Cinnamone
heisch ich einzig mir ein Mahl.6.) Mohren, singt im vollen Tone –
und ihr, Sphären, fallt mit ein –
mir das Lob vom Cinnamone :
mög‘ er ewig bei uns sein !7.) Hurtig keimt im Beet die Bohne,
grüne Lauben wölbt der Mai;
und ich träum‘ vom Cinnamone –
waldher lockt ein Kuckucksschrei8.) Laßt Euch nur der Schöpfung Krone,
weitgemäulte Toren, schelten;
nur der Duft vom Cinnamone
kann mir als vollkommen gelten.9.) Formt Euch Götzen nur aus Tone,
Marmor, Silber, Erz, Platin –
Vor dem einz’gen Cinnamone
sollte meine Andacht knien.10.) Fragt ihr, was denn würdig wäre
einer höhren Dimension,
werd‘ ich stumm zur tin Euch weisen :
Ruch und Schmack vom Cinnamon !11.) Mögen Plinien und Strabone
melden uns von Fabelküsten –
ich werd‘ – froh beim Cinnamone –
nicht zum Periplus mich rüsten12.) Bötet ihr mir Reiche, Throne
unter der Bedingung an,
daß ich ließ vom Cinnamone –
sucht Euch einen Dümmren dann.13.) Steuerte zur duft’gen Zone
Weihrauchflotten der Lateiner;
im Besitz vom Cinnamone
bringt vom Mühlenhof mich keiner14.) Years have passed and kingdoms gone
Greece and Rome declined and fell –
give me only cinnamon
and the globe may go to hell.15.) Opfert, tanzet, räuchert, fleht zu
Fufluns, Zeus, Merkurium –
wir, in frommem Mohrensinne
baun ein Cin-Ammonium16.) Was dem Landmann Karst und Spaten,
dem Soldaten die Patron‘,
was dem Wechsler der Dukaten
ist dem Mohr der Cinnamon17.) Frag des nahen Haines Echo
ich, geruht am Silberbronn,
nach dem König der Gewürze
säuselt’s englisch : Cinnamon18.) Frag ich das geschlossne Weltall
die Myriaden Mond und Sonn‘
nach dem König der Gewürze
dröhnt’s betäubend : Cinnamon19.) Auf der Kugel der Kanone
ritt Münchhausen tollkühn weg
auf der tin vom Cinnamone
reit‘ ich, trotz‘ ich Allem keck.20.) Daß er Punien unerbittlich
haßte rühmt man an Catonen;
gleich beharrlich soll mein Lied stets
preisend schall’n von Cinnamonen.21.) August, bester der Cäsaren :
legtest eine Garnison
zum Hydreuma des Apollon –
nur zum Schutz des Cinnamon.22.) Rühmt nur Götter, Fraun und Helden,
schnörkelt Epen und Kanzone;
wuchtig, in gedrängter Vierzeil‘
singe ich vom Cinnamone23.) Fortunat‘ aus Famagusta,
glücklich bald, bald Glückes Hohn –
hättst du weise dich beschieden
doch wie wir beim Cinnamon24.) Länder teilt man in Provinzen
(nur die Schweiz hat den Kanton)
Also teil‘ ich die Arom‘ in
andres Zeug – und : Cinnamon !25.) Was der Phyllis ist ihr Damis
was dem Bjerknes die Zyklon‘,
Eratosthenes die Chlamys,
ist dem Mohr der Cinnamon26.) Shakespeare hat Mac-Beth verherrlicht,
Hamlet, Cäsar und Sir John
Falstaff – – wußt er nichts Erhabners ?
Kannt‘ er nicht den Cinnamon ? !27.) Letzthin kam vom Wunderlande
ein Paket voll von Bacon –
dennoch forschten meine Augen
drin bestürzt nach Cinnamon28.) Vielfach schätzt man Mus und Printen
estimiert auch den Bonbon –
ich hingegen weiß nichts Höhres
mir als Zuck‘ und Cinnamon29.) 1796
stand Fouqué am Ems=Kordon –
1949
stehe ich vorm Cinnamon30.) Hüte sieht man voll Agraffen,
rot vom Schuh wippt der Pompon;
Mohren sieht man rastlos schaffen
fern – beim Reis – beim Cinnamon31.) »Pi-Pi-Pö« ertönt’s aus Linden,
dort bei Vehlows düngt man schon,
und auch mich faßt mailich Sehnen –
träum’risch flüst’r ich : Cinnamon32.) Dieser prunkt mit leeren Titeln,
Jener nennt sich »Graf« und »von« –
ruft mich »Er« – gebt mir [unleserlich: ’ne Nummer?] :
aber laßt mir Zinnamon33.) Was den Christen ihre Götzen :
Vater, heilger Geist und Sohn –
soll uns Mohren voll ersetzen
diese tin mit Cinnamon34.) Ein gewisses Volk im Süden
schätzt sich, sagt man, Makkaron‘
und Musik vor allen Dingen
just wie wir – den Cinnamon.35.)
[Fragment]
Cinnamon Girl: weder das Lied von Neil Young 1970 noch von Prince 2004
noch von Dunkelbunt 2014 noch von Lana Del Rey 2019 — sondern:
Nicolas Fourny photographie featuring die zimmetrothaarige Cathel:
- February 12th, 2016;
- noch eins vom February 12th, 2016;
- March 3rd, 2017.
It’s so beautiful, but it’s not real: Katzenjammer: Tea With Cinnamon, aus: Le Pop, 2008:
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