Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Fruchtstück 0009: Die Sünde der Erfolggenügsamkeit oder der Fahrlässigkeit, die stets sagt: „Es ist so auch recht“

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Update zu Die alte und neue Inertia (Warum hast du nichts gelernt?),
Nachtstück 0012: Wie es enden wird, vermag ein irdischer Verstand nicht zu ergründen,
Hochwaldklangwolke: Die einzelnen Minuten, wie sie in den Ozean der Ewigkeit hinuntertropfen
und Wenn–dann (weiß ich auch nicht):

Der Fachkräftemangel macht sich besonders in Nischengewerken bemerkbar. 1857, mein ich jetzt. Zu beheben scheint er mit Arbeitsmoral, aber das sagt sich wieder so leicht. Das gar zu leichtfertig hingeworfene „Bassd scho“ will nämlich wohlverstanden sein.

John William Godward, When the Heart Is Young, 1902

——— Adalbert Stifter:

Der Nachsommer

1. Band, 4. Die Beherbergung, 1857:

„Und habt Ihr dieses Haus eigens zu dem Zwecke der Schreinerei erbaut?“ fragte ich weiter.

„Ja,“ antwortete er, „wir haben es eigens zu diesem Zwecke erbaut. Es ist aber viel später entstanden als das Wohnhaus. Da wir einmal so weit waren, die Sachen zu Hause machen zu lassen, so war der Schritt ein ganz leichter, uns eine eigene Werkstätte hiefür einzurichten. Der Bau dieses Hauses war aber bei weitem nicht das Schwerste, viel schwerer war es, die Menschen zu finden. Ich hatte mehrere Schreiner, und mußte sie entlassen. Ich lernte nach und nach selber, und da trat mir der Starrsinn, der Eigenwille und das Herkommen entgegen. Ich nahm endlich solche Leute, die nicht Schreiner waren und sich erst hier unterrichten sollten. Aber auch diese hatten wie die frühern eine Sünde, welche in arbeitenden Ständen und auch wohl in andern sehr häufig ist, die Sünde der Erfolggenügsamkeit oder der Fahrlässigkeit, die stets sagt: ‚Es ist so auch recht‘, und die jede weitere Vorsicht für unnötig erachtet. Es ist diese Sünde in den unbedeutendsten und wichtigsten Dingen des Lebens vorhanden, und sie ist mir in meinen früheren Jahren oft vorgekommen. Ich glaube, daß sie die größten Übel gestiftet hat. Manche Leben sind durch sie verloren gegangen, sehr viele andere, wenn sie auch nicht verloren waren, sind durch sie unglücklich oder unfruchtbar geworden, Werke, die sonst entstanden wären, hat sie vereitelt, und die Kunst, und was mit derselben zusammenhängt, wäre mit ihr gar nicht möglich. Nur ganz gute Menschen in einem Fache haben sie gar nicht, und aus denen werden die Künstler, Dichter, Gelehrten, Staatsmänner und die großen Feldherren. Aber ich komme von meiner Sache ab. In unserer Schreinerei machte sie bloß, daß wir zu nichts Wesentlichem gelangten. Endlich fand ich einen Mann, der nicht gleich aus der Arbeit ging, wenn ich ihn bekämpfte; aber innerlich mochte er recht oft erzürnt gewesen sein und über Eigensinn geklagt haben. Nach Bemühungen von beiden Seiten gelang es. Die Werke gewannen Einfluß, in denen das Genaue und Zweckmäßige angestrebt war, und sie wurden zur Richtschnur genommen. Die Einsicht in die Schönheit der Gestalten wuchs, und das Leichte und Feine wurde dem Schweren und Groben vorgezogen. Er las Gehilfen aus und erzog sie in seinem Sinne. Die Begabten fügten sich bald. Es wurde die Chemie und andere Naturwissenschaften hergenommen, und im Lesen schöner Bücher wurde das Innere des Gemütes zu bilden versucht.“

John William Godward, Dolce Far Niente II, 1904

Bilder: John William Godward: When the Heart Is Young, 1902;
Dolce Far Niente II, 1904, via Psychoactivelectricity Redux, 10. Oktober 2023.

Soundtrack: Natalie Merchant: House Carpenter, aus: The House Carpenter’s Daughter, 2003:

Written by Wolf

1. Dezember 2023 um 00:01

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