Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Die alte und neue Inertia (Warum hast du nichts gelernt?)

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Update zu Gateway Drug:

Manche Probleme kommen nie aus der Mode. Zum Beispiel das des geplagten Vaters, der nach generationenlanger Kinderaufzucht wenigstens noch eine Altersversorgung aus der Frucht seiner Lenden gewinnen will.

Karl Philipp Moritz, Militätmusikersohn, abgebrochene Hutmacherlehre, scheint sich damit auszukennen. Stammt von ihm doch immerhin der erste ernstzunehmende psychologische Roman der Geschichte, und der hat bis heute seine Fans.

Über der neuen Cecilia ist Moritz, geboren im selben Jahr wie Mozart (aufgepasst: 2016 vor 260 Jahren), zwei Jahre nach demselben leider verstorben — zu früh, dass sich heute nur bestimmen ließe, ob die Cecilia eine Novelle oder ein Roman Anton Reiserschen Ausmaßes werden sollte. Vorgelegt sind die Briefform wie im Werther und eine Pädagogik und Bildungsauffassung wie im Émile.

Mit diesem Brief führt sich die Figur des besorgten Vaters ein. Die heilige Cäcilia aus der Überschrift ist die Patronin der Musik, Vater Braschi schreibt an einen aufstrebenden Maler — der wohl, wie man solche Bildungsromane kennt, im Lauf der Handlung spätestens mit 30 noch groß rauskommen sollte. Da große Kunst immer allgemeingültig ist, dürfen wir die väterlichen Sorgen getrost auf bürgerliche und moderne Metiers ausweiten. Der Brief steht weit am Anfang der Cecilia. Den geistreichen Formulierungen nach zu schließen, lag Moritz etwas an dem Thema.

Frederick Goodall, A Dream of Paradise, 1889

——— Karl Philipp Moritz:

Marchese Mario der Vater an seinen Sohn.

aus: Die neue Cecilia. Letzte Blätter, von Karl Philipp Moritz. C’est aini, qu’en partant, je vous fais mes adieux. Zweite Probe neu veränderter deutscher Druckschrift. Berlin, 1794. Bey Johann Friedrich Unger:

Du bist nun in Rom, und mußt eine Carriere machen, mein lieber Sohn! Es fehlt dir nicht an Stand und Vermögen; du hast in den ersten Häusern Zutritt; du bist auf dem schnurgeraden Wege, dein Glück in der Welt zu machen, wenn du es nicht selber verscherzest.

John William Waterhouse, Dolce Far Niente, 1879Als Monsignore muß ich dich wieder sehen; ich bitte dich, verdirb diese Hoffnung deinem alten Vater nicht! Aber ich weiß schon, wie du deine edle Zeit verschleudern wirst; du wirst mit den Malern herumlaufen, und alte bestäubte Bilder begucken; du wirst verstümmelte Bildsäulen abzeichnen, und dein schönes Papier bekritzeln. Ich weiß, wie manchen Tag du hier mit deinem Carlo Maratti, dem jungen Schwärmer, verträumt hast.

Du mußt die Conversationen nicht versäumen; du mußt dir keine Gelegenheit entschlüpfen lassen, wo du dein Glück bauen kannst. Du mußt notwendig eine Carriere machen, mein lieber Sohn, es wäre Schade, wenn du es nicht tätest! Denn alles vereinigt sich, um dir die Bahn zu ebnen. Nur bitte ich dich, laß den Schwindelgeist fahren, und verschwende nicht mehr so viele Zeit mit der abgeschmackten Kunst! Du läufst nur Hirngespinsten nach; einträgliche Stellen und bare Einkünfte, sind doch das letzte Ziel, wonach wir streben.

Dein Glück ist es nur, daß du von dem Wahnwitze der Liebe noch unangesteckt bist. Du mußt dich in die Zeit schicken; du mußt dich bücken, wo es nötig ist, und stolzieren, wo du darfst. Prälaten Brot ist süßes Brot; und der violette Strumpf sitzt kühl im Sommer, und hält im Winter warm. Wenn du erst so weit bist, wie du sein willst, so kannst du dir Leute halten, die über das Schöne der Kunst ganze Tage mit dir schwatzen, und alle deine Phantasien kannst du ja dann nach Wunsch befriedigen. Was hilft dir denn bei leerem Beutel ein Kopf mit Ideen vollgepfropft? Trachte doch am ersten nach dem, wofür man alles andre haben kann, so wird dir das übrige alles zufallen.

Bewahre meinen väterlichen Rat in deinem Herzen, mein lieber Sohn; schreite nicht auf unrechten Wegen aus; versäume die Conversationen nicht; laufe den Malern und den Weibern nicht nach; strebe nach dem violetten Strumpfe; den roten aber laß das höchste Ziel deiner Wünsche sein, wenn du nicht weiter streben kannst; und erinnere dich, so oft du zum Künstler und Gelehrten herabsinken willst, daß du aus dem Hause und aus der Familie der Braschi stammst! Ich bin

Dein
wohlmeinender Vater
A. Mario.

Im übrigen sollten wir alle sehr viel sorgfältiger zwischen Müßiggang, Faulheit und Trägheit und diese in acedia und inertia zu unterscheiden lernen. Daran liegt mir was.

John William Godward, Dolce Far Niente, 1904

Bestäubte Bilder: Frederick Goodall: A Dream of Paradise, 1889;
John William Waterhouse: Dolce Far Niente, 1879;
John William Godward: Dolce Far Niente, 1904.
Ersten Grades themenverwandter Soundtrack: Die Ärzte: Junge, aus: Jazz ist anders, 2007:

Written by Wolf

8. Januar 2016 um 00:01

Veröffentlicht in Handel & Wandel, Sturm & Drang

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