Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Ein ganz anderer Kerl als der Fuchs oder Wolf (so, gerade so bist du)

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Update zu Sollen denn aber bloß diese Kasus in der neu aufblühenden Kunstschule gebildet werden
(wenn wir bei deutscher Mundart bleiben)?
:

Die Stelle mit dem Kater wird dessen Halter besonders gerne dann vor Augen gestellt, wenn er zweie davon hat. Hab ich gehört.

Ansonsten werde ich nicht ruhen, Ludwig Tieck als so relevant (nicht „aktuell“) darzustellen, wie er ist, bis wenigstens der Deutsche Klassiker Verlag sich herbeilässt, seine liegen gelassene Gesamtausgabe von fünf Bänden — davon die ersten schon wieder vergriffen — auf die vorgesehenen zwölf aufzustocken.

Aus dem formatierten Volltext in die originale Rechtschreibung zurückkorrigiert:

Nova Sophia, 25, 12. Oktober 2017

——— Ludwig Tieck:

Die Gesellschaft auf dem Lande

Berlinischer Taschenkalender, 1825:

„Man wird mit dem Pferde eins“, sagte Römer, „Mensch und Thier lassen sich gar nicht mehr trennen.“

William-Adolphe Bouguereau, Innocence, 1873„Da sprecht Ihr ein gescheutes Wort“, rief Binder, „darin liegt das Geheimniß und auch der Schlüssel zu tausend Dingen, die man ohne ihn niemals begreifen würde. Es ist unglaublich, was die Thiere durch uns empfangen, indem wir sie zähmen und zu Hausthieren machen: alle die Anlagen, die die gütige Natur ihnen mitgetheilt hat, werden nur erst dadurch, daß ein Theil des Menschengeistes in sie übergeht, etwas Lebendiges und Geistiges. Die Zähmbarkeit ist ihr Genie, und durch Regel, Ordnung und Vernunft, die das wunderbare Wesen nun beherrscht und sich ihm mittheilt, erwachsen die Erscheinungen und Künste, die wir am Pferde und Hunde bewundern müssen. Dadurch, daß der Hund gezähmt werden kann und sich zum Menschen sehnt, diesen auch weit mehr liebt, als sein eigenes Geschlecht, ist er eben ein ganz anderer Kerl als der Fuchs oder Wolf, mit denen er doch in so naher Familienverbindung steht. Aber eben so wie die Thiere gewinnen, und etwas in ihrer Natur auch verlieren, so geht es ebenfalls dem Menschen, wenn er in diese Allianz tritt. Er entwickelt unbewußt thierische Anlagen, die vorher schlummerten. Der Jäger, der sich täglich und nächtlich mit seinem Hunde umtreibt, oder der Liebhaber, der mit seinem Pudel stündlich spielt, fängt allgemach an, die Dinge so zu sehen, wie das Thier. Er bekommt einen ähnlichen Neid, sowie eine Verwandtschaft in Blick, Geberde und Gang, er kann auch schon keinen Stock liegen sehn, ohne die Lust, apportiren zu lassen, und so wie ihm der Hund nur winkt, so thut er ihm auch den Gefallen, den Span aufzunehmen, und mit dem Liebling das langweilige Spiel zu treiben. Wie das Pferd den Reiter versteht, wie der Sinn und die Art des Rosses in den Mann übergeht, wie beide sich wechselsweis errathen, wie ihr Instinkt in der Gefahr ein und derselbe wird, darüber ließe sich vielerlei sagen, obgleich die Liebe des Gauls zum Menschen eine ganz andere, als die knechtische des Hundes ist. Ein Hund kann eigentlich nicht gekränkt werden, ein Pferd wohl, und je edler es ist, so leichter. Welcher Rinderhirt hält den Kopf nicht eben so, wie sein Vieh. Man erzeigt mir die Ehre, meine Schaafzucht für die beste in der Provinz zu halten, da kommen denn die Leute, und wollen sich bei mir Raths erholen. Was ein anderer mir so sagen kann über dergleichen, das ist niemals das beste. Andere lachen über meine Anstalten, verwundern sich aber doch, daß alles so gedeiht. Im Winter tragen einige meiner Schaafe Kappen, diese sind an den Köpfen empfindlich, etlichen habe ich Jacken angezogen, manchen eine Art von Schuh gemacht. Die Garde geht auch anders, als die Füseliere, Dragoner sind von den schweren Kürassieren unterschieden. Alles hat seine Vernunft und seinen guten Grund. Woher ich nun alles habe, was ich bei meiner Schäferei, und mit so gutem Erfolge, anwende? Denken? Beobachten? Erfahrungen anderer benutzen? O ja, das ist auch alles ganz gut und nicht zu verachten, – aber die Hauptsache ist doch, daß ich zu Zeiten in meinen Schaafstall gehe, nun drängt und wälzt sich alles das Wollenvieh zu mir heran. ‚Schäfer‘, sag‘ ich, ‚laßt mich ein Weilchen allein‘. Nun mach‘ ich die Augen zu, taste mit beiden Händen um mich her, fasse bald den Kopf, bald den Rücken dieses und jenes Hammels, versenke mich ganz in das Gefühl und die Anschauung, werde mit einem Wort, ganz und gar und völlig zum Schaaf. In diesem Schaafthum, in diesem wachen Schlummerzustande kommen mir denn die allerbesten Erfindungen und Verbesserungen, und in diesen Stunden der Weihe empfange ich durch Instinkt oder Inspiration alles, was ich abändern, was ich anwenden muß. Wem kann ich aber diese Gabe wohl mittheilen, der nicht schon selbst auf guten Wegen geht? Und nun, meine Herren, beobachten Sie einmal meinen Gang, ich will ein paarmal auf und nieder wandeln, – he, ist es nun nicht ganz der Gang eines Hammels? Aufrichtig gesprochen, ja! Sehen Sie meine Physiognomie unbefangen an. Sie verändert sich von Jahr zu Jahr: immer mehr wächst mir der Hammelausdruck in Stirn und Nase hinein. Ich niese auch schon wie die Schaafe, und wenn ich einmal viel spreche, wie jetzt eben, so gibt es wahrlich schon unter meinen Redetönen so viele Blökelaute, die knarrenden lang gezogenen Määähredensarten der Mutterschaafe, daß ich mich vor Worten, wie: ‚Wehe! sähe, geschähe‘ u. dgl. einigermaßen hüten muß.“

Sheepy Hollows, 8. Februar 2017Gotthold ergötzte sich heimlich an diesen Bekenntnissen, der Obrist nahm eine Prise nach der andern, um nur das Lachen zu unterdrücken, Römer sah gen Himmel, und erinnerte sich wohl einiger Lebensgefahren seiner Jugend, um eine ehrbare Miene zu behalten; aber der alte Baron brach, nach nicht sonderlich langem Kampfe, mit einem ungemäßigten, lauten und anhaltenden Lachen hervor. „Nun wahrlich“, sagte er endlich, sich noch immer die ermüdeten Seiten haltend, „das ist ein Selbstlob von ganz eigener, so wie völlig neuer Art! Das ist eine Einbürgerung in einen Stand und die Urbarmachung einer Geniegegend, von denen unsere Vorfahren nichts wußten. Du könntest eine ganz neue erklärende Ausgabe der ovidischen Metamorphosen veranstalten, wenn ein einfaches Entgegenkommen, nach deiner Meinung, das Wunder überflüssig macht.“

„Aber was ist denn da zu lachen?“ sagte Binder plötzlich mit dem heftigsten Zorne. „Lachen, wenn ein denkender Mann etwas Tiefes und Gründliches spricht? Bloß, weil es der alten Basenweisheit vielleicht ein wenig sonderbar vorkommt? Auch an dir bewährt sich meine Beobachtung. Du liegst hier seit Jahren still und träge, und spielst unermüdet mit deinen großen und kleinen Katzen. Wie nun ein alter Kater wohl zwölf Stunden ruhig mit zugekniffenen Augen unter dem Ofen liegt, indes umher Spiel und Tanz, Zwist und Versöhnung, Musik und Gespräch, oder selbst wichtige Begebenheiten vorfallen, er aber nichts weiß und erfährt, und endlich langsam, langsam hervorkriecht, die Vorderbeine weit ausstreckt, sich dehnt, sie zurückzieht, und, mit den vier Beinen eng aneinander, den hohen Buckel hinaufrollt, wie es ihm keine andere Creatur nachmachen kann, so daß er wie ein griechisches Omega dasteht: so, gerade so bist du, der auch zu allem Neuen, zu allen Fortschritten, zum Anwachs der Vernunft und Kenntnisse, wie beim Abschnitte der Wissenschaften und Zöpfe mit deinem langgedehnten ‚Oooo!‘ verwundernd dastehst, und die Augen dann erstaunend aufmachst, daß es noch andere Wesen, als Kater in der Welt geben soll.

„Jetzt bei deinem O!“ sagte der Baron, „fand ich deine vorige Behauptung, die mir als unglaublich auffiel, bestätigt.“

Jean-François Millet, Orsay 1863

Schaafsbilder:

  1. Nova Sophia: 25, aus: Sunshine Unedited, 12. Oktober 2017;
  2. William-Adolphe Bouguereau: Innocence, 1873;
  3. Sheepy Hollows, 8. Februar 2017;
  4. Jean-François Millet: Le Retour du Troupeau, La Grande Bergère, Orsay 1863.

Soundtrack: Pink Floyd: Sheep, aus: Animals, 1977:

Written by Wolf

14. Februar 2020 um 00:01

Veröffentlicht in Das Tier & wir, Romantik

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