And all I got’s a pocketful of flowers on my grave
Update zu The Raven und der Rabe,
was übrig blieb von grünem leben und
Damit du siehst, wie leicht sich’s leben läßt:
EJN jglichs hat seine zeit / Vnd alles fürnemen vnter dem Himel hat seine stund. Geborn werden / Sterben / Pflantzen / Ausrotten das gepflantzt ist / Würgen / Heilen / Brechen / Bawen Weinen / Lachen / Klagen / Tantzen Stein zestrewen / Stein samlen / Hertzen / Fernen von hertzen Suchen / Verlieren / Behalten /Wegwerffen / Zureissen / Zuneen / Schweigen / Reden / Lieben / Hassen / Streit / Fried / hat seine zeit. MAN erbeit wie man wil / So kan man nicht mehr ausrichten / Wenn das stündlin nicht da ist / so richt man nichts aus / man thu wie man wil / Wens nicht sein sol / so wird nichts draus.
Du bist ein Schatten am Tage,
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.Wo ich mein Zelt aufschlage,
Da wohnst du bei mir dicht;
Du bist mein Schatten am Tage,
Und in der Nacht mein Licht.Wo ich auch nach dir frage,
Find‘ ich von dir Bericht,
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.Du bist ein Schatten am Tage,
Doch in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades
mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.
Annemarie „Barfuß“ Srb, * 20. April 1962, † 8. Oktober 1993,
am Samstag, 14. oder 21. August 1993, im Erlanger Schlossgarten.
Annemarie hat mir viel gezeigt. Das fängt mit ihrer unsäglich verkrakelten Handschrift an und hört mit der Demo-Kassette von Fiddler’s Green 1991 noch lange nicht auf.
Fiddler’s Green leben noch und sind aus Erlangen, wo Annemarie in der mittlerweile erloschenen Buchhandlung Theodor Krische Wissenschaftliche Buchhändlerin war und ich studiert hab. Nebenbei hat sich Annemarie als Photomodell für die Kurse an der Erlanger Volkshochschule verdingt. Ein Model war mal Fan von mir, eigentlich kann ich beruhigt sterben. In dem Tag, an dem wir uns 30 Stunden Zeit füreinander nahmen, wollten wir alles unterbringen, was wir wollten. Ich wollte ihr das Buch überreichen, das ich ihr geschrieben hatte, sie als Lesende portraitieren und hinterher feste einen heben. Etwas wesentlich anderes wollte sie auch nicht.
Zur Lesenden hab ich ihr nicht das Buch von mir, sondern meine einbändige englische Poe-Ausgabe in die Hand gedrückt. Erst war sie nach vielen Jahren wieder hin und weg, wie gut The Raven überhaupt ist, dann fiel uns ein, dass unlängst Fiddler’s Green auf ihrer ersten CD — 1993 einem noch recht frischen Medium — das letzte Gedicht von Poe, die Annabel Lee vertont hatten. Mit verhunztem Text, damit er auf die Melodie passt, aber wer auf seinem ersten Auftritt am Heiligabend von null auf hundert den Nürnberger Kunstverein dermaßen rocken kann, hat sogar Poe gegenüber ein paar Freiheiten gut.
Die Demo-Kassette der Fiddlers war uns in exklusiver Weise frühzeitig bekannt geworden, weil die damalige Musikszene der Metropolregion Nürnberg praktisch geschlossen in Erlangen studierte und bei Annemarie Stammkundschaft war (wie ich ja behaupte, dass J.B.O. ihr „Nilschwein„, verwendet seit 1996 auf Explizite Lyrik, nach dem Holzspielzeug-Viech auf Annemariens Dienstschreibtisch benannt haben). Eine vorläufige Unplugged-Version von ihrer Annabel Lee war da schon drauf. Und: Ja: Es war mir aufgefallen, dass „Annabel Lee“ ohne metrischen oder inhaltlichen Verlust durch „Annemarie“ substituierbar ist.
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, eine autorisierte Version freizugeben, hat Poe von seinem letzten großen Gedicht Annabel Lee Manuskripte in verschiedenen Versionen in Umlauf gebracht, was die Veröffentlichungsgeschichte nicht gerade vereinfacht. So wichtig war ihm sein ahnungsvolles letztes Gedicht. Ich bringe eine der Versionen, die das Komma in „For the moon never beams without bringing me dreams“, das ich für ein Unding halte, weglässt und mit „In her tomb by the side of the sea“ statt „In her tomb by the sounding sea“ endet, weil Hans Wollschläger in seiner einzig wahren Übersetzung das erstere verwendet. Als Internet-Premiere folgt der zuverlässige Text, nach der Gesamtausgabe korrigiert — wie im Fall von The Raven sinnvollerweise verkleinert, damit der Direktvergleich in die Weblog-Spalte passt.
Nach unseren 30 Sonnenstunden hatte Annemarie keine zwei Monate mehr zu leben.
——— Edgar Allan Poe: Annabel Leein: New York Daily Tribune, 9. Oktober 1849:
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——— Edgar Allan Poe: Annabel Leedeutsch von Hans Wollschläger in: Werke IV, Walter Verlag 1973:
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Vertonung mit angeglichenem Text: Fiddler’s Green auf: Fiddler’s Green, 1992:
Bonus Track: Hubert von Goisern und die Original Alpinkatzen: Weit, weit weg, aus: Aufgeigen stått niederschiassen, 1992, damals noch featuring die unschlagbare Alpine Sabine und Reinhard Stranzinger mit einem der Gitarrensoli des 20. Jahrhunderts, die überleben werden, live in der Kaltenberg-Arena 1994:
Übrigens waren wir gar nicht bei den Fiddlers am Heiligabend im Kunstverein. Annemarie hat mir viel gezeigt, für noch mehr war keine Zeit; seitdem unterteile ich die Zeitrechnung in vor und nach dem 8. Oktober 1993. Bei Hubert von Goisern in Kaltenberg war sie schon tot.
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