Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Geburtstagsgewinnspiel: Was ist das? Ich glaub, es hackt! Das ist doch kein Teufelspakt!

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Heute hab ich Geburtstag, und Sie kriegen was geschenkt.

Erst wollte ich mir der Einfachheit halber selber — und Ihnen schon auch so nebenher mit — oder doch, eigentlich schon hauptsächlich Ihnen — eins von Otto schenken. Der war mir bis spät in die Kindheit, die in manchem Sinne bis heute anhält, der liebste.

Opa erzählt vom Krieg: Die Otto Show kam immer genau einmal im Jahr. Was hat man sich monatelang auf diese eine knappe Dreiviertelstunde hingefreut. Und zu dieser Zeit konnte man noch nicht einmal mit einem Videogerät mitschneiden, darum wehe, wenn einer dreingequasselt hat. Das einmalige Anschauen musste sitzen, und tatsächlich konnte wirklich jeder ab dem nächsten Tag die Sendung größtenteils auswendig.

Otto war verschrien als „Blödel-Barde“; das war ein halb gönnerhaftes, mildes Schimpfwort einer gutbürgerlichen Mittelschicht, die damals noch stolz darauf war, eine gewisse Menge an „guten Büchern“ zu besitzen und ein Goethe- von einem Schillerzitat unterscheiden zu können. Dergleichen galt als Bildung und Bildung als geistiger Wert. Otto zählte bestenfalls zur „leichten Muse“ und wurde eher verschämt geguckt.

Da war noch nicht so weit bekannt, dass hinter den Texten dieses schamlos herumkalauernden Quecksilbers die versammelte Neue Frankfurter Schule stand — und wer es wusste, hängte es ebenfalls nicht an die große Glocke, weil man die Neufrankfurter lieber der fröhlichen, aber ernsthaft politisch gemeinten Anarchie in der pardon zuschlug, aus der nachmals immerhin die Titanic erwuchs.

Otto war im Gegensatz zum Humor der pardon in einer Art kindlicher Totalverweigerung geradezu offensiv unpolitisch. Außerdem wurde er von den Neufrankfurtern um Robert Gernhardt als eine Art zweibeiniges Medium gebucht: wie die Bücher, Zeitschriften, Schallplatten, Filme, die sie sonst machten, dem sie auf den spillerigen Leib schrieben, was sonst nirgends unterzubringen — und vor allem von den verkopften, der Unsportlichkeit verdächtigen Herren in Jeans und Sakko nicht in dieser Weise darzustellen war.

Robert Gernhardt, wohl der führende Kopf der Neuen Frankfurter Schule, war noch kein Alibi-Star der letzten hochliterarisch interessierten Randgruppe, der Toskana-Fraktion, die ungefähr ab 1980, als Hedonismus gesellschaftlich geduldet wurde, gut für Lyrik mit einer entspannten Selbstironie erreichbar war. Das war der Boden, auf dem man Otto langsam ungestraft gut finden durfte. War man bis dahin gehalten, dem enormen Bekanntheitsgrad des verdruckst belächelten Kindskopfs mit einer Faszination wie einem nicht sehr gefährlichen Monster gegenüber zu begegnen, konnte man sich endlich mit seinen Kindern auf die Otto Show freuen. 1983 kam schon die letzte in diesem technisch erweiterten Stand-up-Format auf Kleinbühnen, 1985 wechselte das Medium Otto ins Kino. — Was — der Gernhardt, dieser legitime Nachfolger von Heinrich Heine und Wilhelm Busch, schreibt für den Blödel-Otto? Dann hat er vielleicht doch noch eine Ebene, die man bisher nur nicht wahrgenommen hat.

Nein, hat er nicht. Wenn die Zeilen etwas taugen, muss man nicht ständig zwischen ihnen lesen. Otto ist wertfreies Herumgealber um seiner selbst willen. Und das ist gut so.

Bei der vierten Otto Show 1976 war Otto 28. Ich werde 48 und darf schon so viel Spaghettieis essen, Internet gucken und Bücher verschenken, wie ich will, und langsam wird von mir gesellschaftlich eine gewisse Verschrobenheit erwartet. Darum dürfen Sie auch eins haben.

Zum Gewinnspiel: In dem Fäustchen-Video ist eine einzige vernuschelte Stelle, die ich nicht einmal mit Kopfhörern verstehe (Sennheiser) — ungefähr bei 3:10 Minuten. Zum konzentrierten Abhören ist es nützlich, in den Faust-Monolog bei 3:05 Minuten einzusetzen. Wer mir für den abgelauschten Otto-Text unten autorisert oder wenigstens plausibel sagen kann, wie der eine Vers zwischen „Donnerwetter, war die feurig, deshalb ist mein Gang so eirig“ und „muss mich schnell verjüngen lassen“ heißt, kriegt ein Buch von mir geschenkt. Ein schönes, versprochen. Und eine lobende Erwähnung mit einem Link, auf dem er, sie oder es schamlos bewerben darf, was er, sie oder es will.

Das Angebot gilt entweder bis Sonntag, den 5. Juni 2016 um 23.59 Uhr oder bis ich nicht mehr mag (was erst lange nach dem gesetzten Datum geschehen wird). Die Kommentarfunktion ist offen, jeglicher Rechtsweg in dieser Privatveranstaltung ausgeschlossen.

——— Otto:

Ottos Fäustchen

Text: Eilert/Gernhardt/Knorr/Waalkes
aus: Die Otto Show IV, WDR, 6. September 1976:

Faust: Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Völlerei,
doch leider auch Theologie studiert mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor,
und hab doch heute noch viel vor.

15 Uhr: Pakt mit dem Teufel schließen,
Seele verkaufen,
anschließende Verjüngung.
15 Uhr 20: Gretchen verführen,
15 Uhr 30: gemütliches Beisammensein in Auerbachs Keller.
Ja, schaff ich’s denn? Was sagt die Uhr?
Fast vier! Wo ist der Teufel nur?
Mephisto! Mephisto! (Ab.)

Mephistopheles: Aus allertiefstem Höllenschlund
stieg ich empor, nicht ohne Grund,
denn wenn der Faust hier unterschreibt,
dann kann er sehen, wo er bleibt.
Dann ist sein Seelenheil verloren,
dann wird er in der Hölle schmoren.

Ja — wo steckt der Schnarchsack eigentlich?
Ist er im Bad und reinigt sich?
Ich schau mal nach. (Er hinterlässt den Vertrag auf dem Stehpult. Ab.)

Gretchen: Huhu! Huhu! Ich bin’s, Gretilein!
Na, das fängt ja sauber an:
Der ist überhaupt nicht da, der Mann.
Lädt mich hier ein zum Rendezvous —
jetzt bin ich hier, was mach ich nu?
ist er überhaupt schon wach?
Ich schau mal nach im Schlafgemach.
Tirili, tirili. (Ab.)

Faust: Mephisto! Verdammt noch mal, wo steckt das Schwein?
Kann der Kerl denn nicht pünktlich sein? (Er erblickt den Vertrag auf dem Stehpult.)
Oh, ich seh, er war schon da,
da liegt ja das Formular.
Nun, da setz ich munter
meinen Friedrich Wilhelm drunter.
Ach, das wird ja immer schlimmer:
Der Kuli ist im Nebenzimmer. (Ab.)

Mephistopheles: Hat er noch nicht unterschrieben?
Wo ist denn der Faust geblieben?
Da etwa? (Ab.)

Gretchen: Faust? Ja, wo bleibst du nur?
Wart, ich helf dir auf die Spur. (Sie hängt ein Schild an die Tür: „Hier findet’s statt!“ Ab.)

Faust: (erblickt das Schild) „Hier findet’s statt!“? Wieso denn hier?
Wer steckt denn hinter dieser Tür?
Da fällt mir doch ein Mädchen ein —
das wird doch wohl nicht Gretchen sein?
Yabba dabba doo! (Ab.)

Staubsaugervertreter: (führt seinen Staubsauger vor) Er gehört in jede Hand:
Brummipol, der Saug-Gigant!
Staubsympathisch, schmutzimmun! (Man vernimmt Gekicher hinter der Tür.)
Oh, die Hausfrau hat zu tun.
Also, auch Sie können diesen Staubsauger Elektro erwerben, zu günstigen Teilzahlungsbedingungen, Sie brauchen nur hier diesen Vertrag zu unterschreiben … (Er erblickt den Vertrag auf dem Stehpult.) Da liegt ja schon ein Vertag … (Er liest.) … mit dem Teufel. Das bringt mich auf eine Idee. (Er vertauscht den Vertrag auf dem Stehpult mit dem seinigen.)
Listig, listig, trallala lala. (Ab.)

Faust: (wankt umher) Donnerwetter, war die feurig,
deshalb ist mein Gang so eirig.
Darf nicht mit den Punkten prassen, [?]
muss mich schnell verjüngen lassen. (Er unterschreibt den Vertag, der auf dem Stehpult liegt.)
Also weg mit diesem Barte …
Mephistopheles, ich warte! (Er liest genauer, was er unterschrieben hat.)
Was ist das? Ich glaub, es hackt!
Das ist doch kein Teufelspakt,
dies Papier auf meinem Tisch.
Wehe, wenn ich dich erwisch! (Ab.)

Gretchen: So, der wäre flachgelegt,
und nun wird der Raum gefegt.
Oh, kein Besen! Welch ein Jammer!
Vielleicht in der Besenkammer. (Ab.)

Staubsaugervertreter: Oh! Der Vertrag ist unterschrieben!
(zum Staubsauger) Na, Brummi, dann heißt es hiergeblieben.
Der Hausherr strahlt, die Hausfrau lacht,
der Brummi saugi-saugi macht. (Er nimmt den Vertag an sich. Ab.)

Gretchen: (fegt fröhlich pfeifend mit dem Besen die Stube, erblickt den neuen Staubsauger) Oh! In die Ecke, Besen, Besen! (Sie wirft den Besen von sich und greift nach dem Staubsauger.)
Mehr Zeit für den Abwasch: Brummipol, der Saug-Gigant mit den drei Schaltstufen. (Sie führt den Staubsauger vor.) Stufe 1! (Sie schaltet den Staubsauger um.) Stufe 2! (Sie schaltet den Staubsauger um.) Stufe 3! (Ab. Hinter der Tür explodiert der Staubsauger. Gretchen schreit.)

Mephistopheles: (spricht zerfetzt den Epilog) Das Gretchen tot, die andern Leichen —
das dürfte wohl fürs erste reichen. (Vorhang.)

Bonus Track: Nochmal Otto Waalkes: Honey Pie, Die Otto Show II, WDR, 6. Juli 1974. Im Stand-up-Format auf der Kleinbühne, für Otto eine ganz ungewohnt zurückgenommene, stillvergnügte Aufführung. Von dem, was der Mann da allerdings zweimal mit seiner gesamten linken Körperseite macht, dass man nicht einmal mit den Augen mitkommt, träumen nicht nur die Lagerfeuerklampfisten von der Neuen Frankfurter Schule:

Happy birthday to me, 1997 — wie heute vor drei Jahren anhand Goethens schon mal durchgenommen.

Otto Waalkes als Gretchen in Ottos Fäustchen, Otto Show IV, 1976

Written by Wolf

6. Mai 2016 um 00:01

Veröffentlicht in Handel & Wandel, Klassik

6 Antworten

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  1. Für mich hört es sich an wie: „Darf nicht mit den Punkten prassen“ Ich nehme an es sind die Punkte, die er beim Liebesspiel errungen hat.

    Sebastian Keller

    6. Januar 2017 at 08:06

    • Komisch, jetzt hör ich auch am ehesten „mit den Punkten“. Deutlich genug, dass ich’s in den Text hineingebessert hab.

      So kurz nach der weihnachtlichen Expurgation sieht’s etwas mau aus mit den überschüssigen Büchern, vor allem wenn ausdrücklich ein schönes versprochen wurde. Im Angebot sind mit gutem WIllen: ein 784-Seiter „Erzählungen“ von Poe, leider im Albatros-Verlag, dafür mit 20 Seiten Nachwort von Frank T. Zumbach und für so einen Ramschverlag auf gar nicht mal so raffeligem Papier; oder der „Godwi“ von Clemens Brentano, das gackerlgelbe Reclam-„Heft“ mit 600 Seiten, davon 75 Anhang, weil ich anno 16 die Hanser-Ausgabe zusammengegeizt hab.

      Eins davon verschick ich in meiner nimmermüden Dankbarkeit dafür, wenn die Leute beim Mitlesen sogar noch mitdenken. Welches darf’s denn sein (die Adresse entnehme ich dem alten Kommentar; man soll halt nix wegschmeißen)?

      Wolf

      7. Januar 2017 at 11:51

  2. Die Zeile „Das ist doch kein Teufelspakt,liegt doch hier auf meinem Tisch.“ müsste meines Erachtens auch heißen „…dies‘ Papier auf meinem Tisch“ ;-)

    Frank

    13. Februar 2019 at 13:51

    • Stimmt auffallend — wenn man’s mal weiß .ò) Ist hineingebessert — und mir außerdem ein Buch wert, gerade wäre eins übrig. Wohin darf ich versenden?
      .

      Wolf

      13. Februar 2019 at 16:34

  3. Ich habe es erst gestern gesehen und Danke allen für die Mühe, damit wir den Text im Netz haben. Nur mir fehlt das Gertilein.
    Erster Auftritt Gretchen: Huhu! Huhu! Ich bin’s, Gretchen! – Gretilein.

    mephisto - nick name seit über 25 Jahren

    21. August 2019 at 18:44

    • Stimmt eigentlich — in Gretchens Erstauftritt ist die Selbstbezeichnung Gretilein. Was das wieder für die Exegese ergeben wird. Ist verbessert. Danke für die Aufmerksamkeit, solche Leser brauch ich! :)

      Wolf

      21. August 2019 at 18:54


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