Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Der Weise aus dem Mörchenland

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„Murr“, sagt Moritz und wischt sich den Bart.

„Was ist dir, o beste aller Katzen?“ sag ich.

„Mir geht’s gut“, sagt Moritz, was ich angesichts seiner Haltung, lesend auf meinem Bett über gleich zwei meiner Bücher gelümmelt, nie bezweifelt hätte, „aber das mit dem Koriander aus deinem Eintrag letzthin …“

„Mit dem Rezept von der Buchhändlerin? Je nun, was ist dann mit dem Koriander?“

„Hast du den mal in deinem West-Östlichen Divan verifiziert?“

„Nö, ich weiß, was Koriander ist.“

„Du vielleicht. Frag dich mal, ob Goethe jede Woche dreimal in seine gleichnamige Straße konnte, um sich ein Sträußlein köstlichen Korianderkrauts zu kaufen.“

„Erstens hat der bestimmt seine Domestiken losgeschickt …“

„… und zweitens war die Münchner Goethestraße anno 1814 wahrscheinlich noch ein Schlammpfad und keine Meile aus türkischen Gemüseläden. Du hast ja so recht, o bester aller Dosenöffner.“

„Was ist dann dein Punkt, o weiseste aller Miezekatzen?“

„Die Anmerkung zu Keinen Reimer wird man finden über Koriander in deiner Hamburger Ausgabe.“

„Zeig.“

Gewürz in Form kleiner Kügelchen.

„Was für Kügelchen? Also, ich hab den immer in Form grüner Wedelchen. Kleiner als Petersilie, aber sonst recht ähnlich, schmeckt auch so. Muss daheim sofort ins Wasser. Der Bund zur Zeit 99 Cent.“

„Und das aus der Goethestraße. Mit Verlaub, Meister, vom Essen verstehst du nix.“

„Aber du, gell?“

„Allerdings. Jedenfalls fällt mir auf, dass die Evolution der Pflanzenarten sich zwischen 1814 und jetzt nicht dermaßen beschleunigt haben wird, dass aus Kügelchen Petersilchen werden.“

„Sondern?“

„Dass Goethe seinen Koriander noch in der Darreichungsform der getrockneten Samen verwendete.“

„Ach stimmt, hab ich schon gesehen. Die Dose 1,49.“

„Du verstehst vielleicht nix vom Essen, aber vom Geld verstehen wir beide nix.“

„Danke für dein Vertrauen.“

„Oh, bitte. Und dann schau mal in deinem Wilhelm Hauff: Die Errettung Fatmes.“

„Gibt’s da auch was zu essen?“

„Jawohl, und da wird das orientalische Gastrecht heilig gehalten:“

Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. „Friede sey mit dir, Mustapha,“ sprach er, „laß uns den Morgentrunk kosten und rüste dich dann zum Aufbruch.“ Er reichte meinem Bruder einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die Pferde auf, und wahrlich! mit leichterem Herzen, als er gekommen war, schwang sich Mustapha aufs Pferd.

„Da gibt’s ja nur was zu trinken.“

„Und das zum Frühstück.“

„Und was sagt uns das jetzt? Dass du derzeit deinen orientalischen Vorfahren hinterherspürst, du fränkischer Bauernpressack?“

„Nicht ausfallend werden, bitte“, sagt Moritz, „jedenfalls dachte ich, vom Trinken verstehst du mehr. Ist dir klar, was ein Sorbet ist?“

„So ein gezuckerter Matsch aus Obst und Eis, glaub ich …“

„Na gut, du hast einen Begriff davon. Und da wundert dich nicht, wo Wilhelm Hauff 1826 in der tiefen Wüste halbgefrorene Leckereien herkriegt? Aus dem Gefrierfach?“

„Erhelle mich.“

„Deine Winkler-Ausgabe ist von Sibylle von Steinsdorff, auch die Anmerkungen. Über Sorbet schweigt sie.“

„Sehr erhellend.“

„Das Erhellende ist: Eine Goethe-Ausgabe von 1949 bis 1972 erachtet Koriander einer Anmerkung wert, sogar im korrekten Aggregatzustand — eine Hauff-Ausgabe von 1970 Sorbet keines Furzes.“

„Moritz! Contenance!“

„Murr? Stimmt doch.“

„Du meinst: Bis 1972 war eben Max Inzinger der einzige Fernsehkoch und Koriander ein exotisches Gewürz — und eine Sibylle von und zu selbstverständlich mit Sorbet vertraut?“

„Das schließe ich daraus, mein Meister.“

„Mörchen, mein Mörchen, du musst anständig lesen. Die Märchen-Almanache im Zusammenhnag, nicht nur das eine, wo einer von seinem Vater verstoßen wird. Siehe nämlich auch: ‚Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbet‘ und gleich danach: ‚Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg und sprach: So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch.'“

„Murr. Alles Hauff?“

„Unmittelbar einleitend zum Kalif Storch. Mit Anmerkung hinten.“

„Ich will es nicht wissen.“

Sorbet: oder Scherbet: (arab.) kühlendes orientalisches Getränk, das aus Fruchtsäften hergestellt wird.

„Miau! Gut, dass du damit so angibst. Das sagt also Frau von Steinsdorff?“

„Seite 729.“

„Wie sie das in der Wüste gekühlt kriegen, weiß sie nämlich da auch nicht.“

„Deswegen schreibt sie ja ‚kühlend‘ und nicht ‚gekühlt‘. Wie genau brauchen wir’s denn, Euer Kleinlichkeit?“

„Wikipedia ist unser Freund, o Meister.“

Das arabische Wort ‏شربات‎ / šarbāt /‚Trank‘ für ein kaltes, nicht-alkoholisches Getränk wurde etwa im 16. Jahrhundert auf dem Weg über die Türkei (sherbet) modifiziert in andere europäische Sprachen übernommen, im Italienischen als sorbetto, französisch als sorbet. Auf Italienisch heißt sorbire schlürfen oder nippen. Die Form der Zubereitung des Getränks stammt ebenfalls aus dem Mittleren Osten. Es wurde dort nur zu speziellen festlichen Anlässen serviert. In der Türkei wurde das Sorbet dann bei Banketten als kleine Erfrischung zwischen mehreren Gängen eingeführt, es wurde dort und in Ägypten aber auch zu einem Alltagsgetränk auf der Basis von Fruchtsirup.

„Bei Hauff in der Wüste von 1826 war Sorbet demnach vermutlich noch nicht aus dem Kühlschrank, sondern einfach nicht über Kameldung erhitzt. Und bekannt aus der 1825er Übersetzung Tausendundeine Nacht von Habicht, von der Hagen und Schall. Fünfzehn Bände, eine Pracht, hast du die mal gesehen? Du würdest …“

„Kameldung?“

„Wie ich sagte. Und du hast vielleicht Lust, bei Frau von Steinsdorff Abbitte zu tun.“

„Kameldung?“

„Über getrocknetem. Das machen die so. Wer versteht jetzt nix vom Essen, Euer Belesenheit?“

„Miau, gut, dass ich schon auf den Teppich gekotzt hab.“

„Du hast …?“

„Kein Problem, Meister, mir geht’s gut, wie ich schon sagte.“

„Das ist die Hauptsache.“

„Eben. Dafür machst du uns heute Abend ein schönes Rindsgulasch.“

„Ach, und zwar mit Koriander und weiteren sieben Segnungen des Morgenlandes, Schnurrbart Holmes?“

„Keine Umstände, die Dekoration kannst du selber essen. Für mich roh, bitte.“

„Runter mit den Pfoten von meinen antiquarischen Klassikerausgaben.“

„Murr.“

Xerones, Cat & Coriander with hebe, jasmine and agapanthus leaves, 11. August 2007

Cat & Coriander: Freyr die Katze featuring Strauchveronika, Jasmin und Schmucknelkenblätter
by Xerones, 11. August 2007.

Written by Wolf

1. Oktober 2012 um 11:58

Veröffentlicht in Nahrung & Völlerei, Romantik

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