Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Peregrini Bavarici

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Café Heimat, Bad Tölz

Ein inniges Vergnügen in GOtt ist, wenn man einst katholisch war, aus freiem Willen aufgehört hat, es zu sein, aber immer noch nach Ablass für seine Sünden suchen kann.

Besonderen Spaß macht das, wenn man sich für einen Tag keine längere Strecke Weges vornimmt als die elf Kilometer von Bad Tölz bis Lenggries.

„Naa, da fang ma net glei zerscht mitn Frühstücken an. Zerscht hungrighaatschen, dann fuadern.“

„Obacht gebm. Ma bereut im Leben nie, was ma gmacht hat, bloß was ma glassn hat.“

Das gibt uns zu denken. Wir beschließen trotzdem, für die Heimat nochmal extra in die Fremde zu fahren.

„Aa recht. Da samma glei dorten“, freut sich Ralf, „da kömma hinterher no ins Erlebnisbad.“

„Was wollma denn groß derleben?“

„Da schaug ma si di stramma Wadln vo die Rentnerinnen oo.“

„Au weh“, sag ich, „des gibt erscht den richtigen Sündenablass.“

Als erstes ergibt sich in Bad Tölz die Gelegenheit, den dasigen Kalvarienberg zu erklimmen — immer wieder ein Unterfangen von hohem Surrealitätswert: Erst hyperventiliert man sich von dem gnadenlos steilen Anstieg über sieben Stationskapellen frühmorgendliche Hosianna-Gefühle und Engelserscheinungen herbei, und oben ist die Kirche in einem Ausmaß mit Volksfrömmigkeit vollgestellt, dass man sich so als Ausgetretener ganz als schlechter Mensch vorkommt. Die Heilige Stiege im letzten Schiff ist der gleichnamigen zu Rom nachgebildet — wobei Reliquien zahlreicher Heiliger eingearbeitet wurden. Darüber ist die Treppe dermaßen heilig geraten, dass man sie nicht hinaufsteigen darf, sich nur kniend hinaufbeten. Für den Erhalt der angeschlossenen Leonhardikapelle hat das Bad Tölzer Handwerk noch im neunzehnten Jahrhundert seinen einzigen Volksaufstand gegen den eigenen Klerus angezettelt, so arg mögen die ihr Kircherl.

„Sogar zeitversetzt dreiteilig ham’s ihr Hallelujaburg da naufbaut“, keuche ich, im Kirchenführerheftl blätternd.

Ralf lässt sich auf das Bankerl mit Blick ins Isartal fallen, das vorher ein Ozean war, eine rauchen, und bemerkt: „Und da zahln die Leut Eintritt fürn Herrn der Ringe.“

Marterl Bad Tölz, Kalvarienberg. Aufi braucht er 7 Stund' in 2 Minut'n war er unt'Auf dem Abstieg haben sie in einem stark abschüssigen Hausgarten ein Marterl stehen: „Aufi braucht er 7 Stund‘ / in 2 Minut’n war er unt‘.“ Auf dem nicht ganz so abschüssigen Marktplatz gibt Ralf zwei Auszogne zum Frühstück aus, von zwei Mühlfeldbräu muss er abgehalten werden mit dem Argument, dass sie später in Lenggries gleich noch einen Kalvarienberg haben sollen und so ein zweiter am selben Tag bestimmt viel besser flasht.

Die elf Kilometer sausen vorbei wie nix. „Ha“, meint Ralf, „da schaff ma’s fast no in die Isarwelle zu die Rentnerinnen.“

„Was du dauernd mit dene Rentnerinnen hast“, sag ich, ohne Schwimmhose oder Handtuch dabei, „dass du gar so auf die stehst.“

„Turnbeutelvergesser. — Naa, mei Frau war bloß früher da drobm im Internat“, rückt er raus und deutet links oben auf Schloss Hohenburg.

„Ursulinnerinnen ham’s“, entnehme ich den Informationstafeln der zuständigen Tourismusbehörde, die 1950 bestimmt mordsmäßig was hergemacht haben.

„Und Tatsach an Kalvarienberg“, entdeckt Ralf. Die zwei Leberkässemmeln vom Metzger sind meine Runde. Beim Mampfen auf der Bank vorm Kirchhof in dem, was Lenggries statt eines Zentrums hat, setzen sich zwei schnurrbärtige Burschen in der Gestalt bayerischer Eichen in Maurerhosen neben uns, auch mit Brotzeit halten. „Habt’s ihr in Lenggries no a ältere Kirch als wie die da?“ fragt Ralf, weil sie einheimisch aussehen.

„Freili“, sagt der eine, „da hinter, oan, zwoa Kilometer en Radlweg lang, dann sehgt’s es scho.“

„Is des dann de mitn Kalvarienberg?“

„Freili.“

„Globt sei Jesus Christus.“

„Ewichkeit amen.“

„V’gelt’s Gott.“

„Segn’s Gott.“

„Hast du die kennt?“ frage ich Ralf später auf den ein, zwei Kilometern Radlweg, kurz bevor man den Kalvarienberg sieht.

„Wieso? Warst du koa Ministrant net?“

„I? Schmarrn.“

„Weichei.“

Und einmal mehr zeigt sich, dass man im Leben immer mehr bereut, was man unterlassen, und nicht, was man getan hat.

Der Lenggrieser Kalvarienberg ist von 1694, somit der älteste im Isartal und alt genug, um dem von Bad Tölz als Vorbild zu dienen.

„Was brauchn’s dann in Tölz glei scho den nächsten?“ frage ich.

„Stadtkind. Hast du a Ahnung, wia do der Tölzer Burgermoaster seine Mannen auf Florenz obegscheucht ham wird: Und kemmts ma fei bloß nimma hoam ohne a paar heiliche Knochen, sunst mach i eich Gebeine.“

„Drum kamma den Petrus heit glei hundertmal aus seine eignen Reliquien zamsetzen. Weil jeds Kaff an no heilichern Friedhof braucht als wie die Nachbarn.“

„Und wenn ma’s in zwoa Stund derhatschen kann.“

„Hu, was kommt’n dann noch alles aufm Weg bis Venedig?“

„Wohin?“

München–Venedig, Marienplatz–Markusplatz. Der Traumpfad. Du bist grad auf der drittn Tagestour. Scho glei gschafft.“

„Globt sei Jesus Christus.“

„Ewichkeit amen.“

„Na siehgst, kannst es ja.“

Außer älter sieht der Lenggrieser ungleich düsterer aus als der Tölzer Nachbarkalvarienberg.

Die Parole der Oberländer lautete: „Lieber bayerisch sterben als kaiserlich verderben“. Vor 300 Jahren zogen sie nach München, um sich gegen das Joch der Österreicher aufzulehnen. Der Volksaufstand wurde in der legendären Christnacht im Jahr 1705 blutig niedergeschlagen (der damalige Lenggrieser Pfarrvikar Elias Khaiser notierte 30 tote „Jünglinge“ im Sterbebuch). Vier junge Lenggrieser kamen schwer verwundet zurück und stifteten aus Dankbarkeit eine Votivtafel für die Kalvarienbergkirche in Hohenburg. In der Inschrift heißt es:

Sendlinger Mordweihnacht 1705, Kalvarienberg Lenggries, Kapelle zum schmerzhaften Jesu am Kreuze, 11. Februar 2014

Mit dieser Tafel haben sich vier unverheirathete Männer, zu dem schmerzhaften Jesu am Kreuze hieher verlobt, nehmlich Johann Schöfman, von dem untern Muerbach, Franz Propst vom Graben, Johann Hochenwiser und Georg Letner, aus der Pfarre von Lengrieß, wegen der großen Gefahr in welcher sie bey der Revolution vor München schwebten, weil sie glaubten daß es unmöglich wäre mit dem Leben mehr davon zu kommen. Aber durch Hülfe und Beystand des schmerzhaften Jesu am Kreuze, kamen sie glücklich wieder zurück. Gott dem Höchsten sey Dank gesagt, Amen.

„Und?“ fragt Ralf, „immer no auf dem Trip, dass ma mehr bereut, was ma lasst, ois was ma macht?“

„Net zwingend.“

Dass uns das erst am Bahnhof auffällt: „Ham jetz mir tatsächlich ohne Schmarrn zwoa Kalvarienberg am selbm Tag packt?“

„Hat net amal der Jesus gschafft.“

Noch ein halbes Jahr bis Weihnachten.

Buidl: Kalvarienberg Lenggries, Kapelle zum schmerzhaften Jesu am Kreuze,
mit besonderem Dank & Preis an Ralf und seine Lexus NX 200, 11. Februar 2014.

Written by Wolf

24. Juni 2014 um 00:01

Veröffentlicht in Barock, Herrschaft & Revolte

4 Antworten

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  1. Das. Also das. Das musste ich stellenweise laut lesen um’s zu verstehen. Meineherrn. Also. Käme ich jemals nach Bayern, ich hätte den Kulturschock meines Lebens.

    Und jetzt haste mich soweit: ich will nach Bayern. Man bereut schlieslich net das was mer macht, sondern das was mer seinlässt, gell.

    phrixus

    26. Juni 2014 at 10:32

    • Ich dachte ja eher, das Argument für dich wäre: “Und da zahln die Leut Eintritt fürn Herrn der Ringe.”

      Lest ma si da echt so hart mit meiner Bairisch-Transkription? Das war ja schon die hohe Schwelle am Totensonntag — den ich beiläufig immer noch ganz gern mag.

      Wolf

      26. Juni 2014 at 11:52

  2. […] Update zu Peregrini Bavarici: […]

  3. […] Der zweite, den ich getrennt davon angegangen bin, geht bis Bad Tölz, der dritte, für den ich sogar einen zweiten Verrückten gewinnen konnte, bis Lenggries. Dahinter soll’s ernsthaft bergauf […]


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