Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

1. Katzvent: I should be stronger than weeping alone (und mit pragmatischen Messingdrähten zum Skelett zusammengeworfelt)

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Das Jahr hat sehr von Katzen gehandelt: Eine ist gegangen, zwei sind gekommen und sollen lange bleiben.

Anais the Strange, A-catholic Cemetery in Rome, 9. Mai 2008Im Advent machen wir heuer, wie sich das im Internet gehört, Katzencontent mit erlesener Katzenmusik. Mein Adventskalender hat leider nur vier — für jede Woche ein — Türchen, weil ich mich nicht zerreißen kann und Advent ja irgendwie auch eine Zeit der Besinnung sein soll, aber wer meint, das reiche nicht, hat noch nie erlebt, wie weit eine Katze mit einer einzigen Katzenklappe kommt.

Die erste Katzenklappe führt in einige Düsternis: auf geradem Wege von einem lustig gemeinten Goethe-Gedicht zur verzweifeltsten Version von Stille Nacht, die sich ausdenken lässt — weil November ist und die Zeiten sowieso mehr nach gothic Patschuli als nach weihnachtlichem Zimtgebäck riechen; ab der zweiten wird’s dann fröhlicher, versprochen.

Goethe entwirft in seinem Tagebuch am 18. April 1810 ein „Kleines Gedicht: Jäger und Koch“ und probiert dafür die Überschriften „Newton als Physiker“, darüber „Mathematiker und Physiker“ aus — also vermutlich die erstere als zweiten und verbesserten Versuch. Beide wurden zugunsten der zwei deutenden Vorspruch-Strophen verworfen.

Das verwendete Bild wird von Goethe schon im März 1806 bei Riemer in einer „Anekdote von der Katzenpastete, die man für eine Hasenpastete gefressen, auf die Newtonische Farbenlehre bezogen“ überliefert. Zwei Tage nach Entwurf, am 20. April 1810, schickt Goethe das Gedicht an Sartorius, voller Freude, seine eigene Farbenlehre anzukündigen — werde er doch

mit Vergnügen in Betracht ziehen, wie sich die Newtonianer gebärden, nachdem ich ihnen die Knöchelchen dieser alten Katzenpastete wohl gebleicht und mit pragmatischen Messingdrähten zum Skelett zusammengeworfelt vorgestellt. Der Streit wird hierdurch, wie Sie sehen, in die komparierte Anatomie gespielt, und ich meine, die Herren werden ihrer hundertjährigen Manier versichern: das sei eben der rechte Hase, der sechs scharfe Schneidezähne und ein paar tüchtige Eckzähne von der Natur erhalten habe. Worauf ich dann freilich nichts zu antworten weiß.

Man sieht, dass Goethe den vor über 80 Jahren zuvor verstorbenen Newton nicht mochte, weil er seine eigene Farbenlehre, nicht etwa den Faust, als sein Hauptwerk ansah — die heute eher als Schrulle eines alternden Multitalents gilt. Dass er mit seinem Gedicht nicht gerade in Frieden kommt, merkt man der energisch vorantreibenden, etwas schnauzigen Chevy-Chase-Strophe an. Dabei hätte er es bei einiger Selbstkritik ahnen können: Das mit den „zwei Gewerben“ sagt er ja selber.

——— Johann Wolfgang von Goethe:

Katzen-Pastete

18. April 1810, aus: Parabolisch, Sammlung von 1815, gedruckt bei Cotta, Mai 1816:

Anais the Strange, A-catholic Cemetery in Rome, 9. Mai 2008Bewährt den Forscher der Natur
Ein frei und ruhig Schauen,
So folge Meßkunst seiner Spur
Mit Vorsicht und Vertrauen.

Zwar mag in Einem Menschenkind
Sich beides auch vereinen:
Doch daß es zwei Gewerbe sind,
Das läßt sich nicht verneinen.

            ———

Es war einmal ein braver Koch,
Geschickt im Appretiren;
Dem fiel es ein, er wollte doch
Als Jäger sich geriren.

Er zog bewehrt zu grünem Wald,
Wo manches Wildbret haus’te,
Und einen Kater schoß er bald,
Der junge Vögel schmaus’te.

Sah ihn für einen Hasen an
Und ließ sich nicht bedeuten,
Pastetete viel Würze dran
Und setzt‘ ihn vor den Leuten.

Doch manche Gäste das verdroß,
Gewisse feine Nasen:
Die Katze, die der Jäger schoß,
Macht nie der Koch zum Hasen.

Lisa Hannigan: Silent Night, der zweite von zwei Hidden Tracks auf Damien Rice: O, 2002;
Bonus Track: Bluer Face: Experimental Lisa Hannigen cover: Silent Night, 24. Dezember 2008.

Silent night, broken night
All is fallen when you take your flight
I found some hate for you
Just for show
You found some love for me
Thinking I’d go
Don’t keep me from crying to sleep
Sleep in heavenly peace

Silent night, moonlit night
Nothing’s changed
Nothing is right
I should be stronger than weeping alone
You should be weaker than sending me home
I can’t stop you fighting to sleep
Sleep in heavenly peace

Katzenbilder: Anais the Strange: A-catholic Cemetery in Rome, 9. Mai 2008.

Written by Wolf

27. November 2015 um 00:01

Veröffentlicht in Das Tier & wir, Klassik

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