Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Weihnachtsengel 1: Brecht (Über die Vergewaltigung von Frigiden)

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——— Bertolt Brecht:

Über die Verführung von Engeln

1948. Siehe Steffen Jacobs (Hg.): Liederlich! Die lüsterne Lyrik der Deutschen, Eichborn 2008:

Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell
Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

Ermahn ihn, daß er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt —

Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.

Brecht? Der Brecht? — In meinem 1981er Gesamtgedichteknubbel findet sich das jedenfalls nicht. Wohl aber findet sich ein Archiv, in dem ein Spiegel besser als Bild war:

Reinhard Baumgart: Baal auf Balz, in: Der Spiegel 49, 6. Dezember 1982:

Rink Ratz, Even Angels Will Fall, 28. März 2011Gerade der scharfen Ware ist das lange Ablagern nicht gut bekommen. Die Verse über „Ficken“ und „Vögeln“, „Fosen“ und „Schwänze“, die gestern oder vorgestern oder gar zur Zeit ihrer Niederschrift noch Provokationen gewesen sein mochten, haben inzwischen viel Muff in sich aufgesogen.

Daß man sich über viele (trotzdem und deshalb) ärgern kann, spricht aber für Brecht, für seine Lebendigkeit, so still es auch im Augenblick um ihn sein mag. Über endgültig tote Klassiker ärgert sich niemand mehr. […].

In einem Lehrgedicht von 1948, dessen Titel „Über die Verführung von Engeln“ realistischerweise heißen müßte „Über die Vergewaltigung von Frigiden“, sind dabei aufklärerischer und sadistischer Schwung ein Bündnis eingegangen, über das schmunzeln soll, wer mag — ich kann’s nicht. […]

Schließlich hat die Anthologie, aus falsch verstandener Diskretion oder Prüderie, sich auch noch bemüht, die in den Gedichten erkennbaren einzelnen Liebesgeschichten des Meisters behutsam auseinanderzuziehen und damit ihre Spuren zu verwischen. Zwar werden Brecht-Kenner die Paula Banholzer oder die Käthe Reichel, die Weigel, die Berlau, die Steffin in den Gedichten unschwer wiedererkennen, und allen anderen können diese Namen Hekuba bleiben. Doch diese allzufeine Diskretion hilft nun mit, das Konkrete und Historische des lyrisch dokumentierten Brechtschen Liebeslebens aufzulösen ins vage Allgemeinmenschliche.

Na gut, ist es halt von Brecht. Ich finde es weder so doof wie ein Literaturhüter 1982 noch so toll wie eine lebenslustige Literaturanfällige 2006 („Das berührt mich, Pornographie ist nichts dagegen… das ist wie koreanischer Film, macht Dich auf, lässt Dich erzittern und dann bist Du allein… gefangen im Moment.“), und auch nicht so provokativ, dass man es — wie über Brecht belegt — anonym wie ein Schulbub als Beitrag an „eine Zeitschrift“ (welche eigentlich?) einsenden müsste, und dann noch unter dem gar zu durchsichtigen Pseudonym seines Lieblingsfeindes Thomas Mann — moralisch untragbar finde ich es schon eher.

Also mal halblang, alle. Vor allem finde ich nicht, dass man auch nur eins von diesen vieren diskutieren muss. Fünftens finde ich es nämlich auch noch schön dynamisch, und das macht’s.

Engel noch am Bus: Rink Ratz: Even Angels Will Fall, 28. März 2011.

Written by Wolf

1. Dezember 2013 um 00:01

Veröffentlicht in Novecento, Vier letzte Dinge: Himmel

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