Grabberland (Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr)
Update zu The rhythm of our rowing
You’ll learn to sprechen Deutsch mein kind, ash fast ash you tesire
und And to watch it dwindle gave him Kugelkopfschwindel:
Wenn man vom Enkel- bis ins Großvateralter nie von den zwei Alice–Büchern von Lewis Carroll losgekommen ist, fällt auf, mit wie vielen deutschen Sachen diese englischsten aller Bravourfeuerwerke verwoben sind.
Um nicht auf die zahllosen gelehrten, bei tieferer Betrachtung schon gar nicht mehr kindgerechten – wohl aber jugendfreien – Sprachkapriolen einzugehen, sei mit aller dringenden Wärme auf The Annotated Alice. Alice’s Adventures in Wonderland and Through the Looking-Glass von Martin Gardner verwiesen, die seit 1960 in ihren häufigen Auflagen immer nur besser, ausführlicher und penibler geworden ist. Speziell den Jabberwocky aus Through the Looking-Glass, and What Alice Found There hat Carroll seit einer einstrophigen Urfassung in einem der Dodgson’schen Familienmagazine Mischmasch mit sich herumgetragen, um ihn 1871 erweitert, illustriert und zurechtgeputzt an prominenter, kommerziell bedeutsamer Stelle zu verwenden.
Was aus dem Mischmasch als Setzling gedieh, interpretiert Alice 1871 textimmanent:
„Somehow it seems to fill my head with ideas——only I don’t exactly know what they are! However, somebody killed something: that’s clear, at any rate——“
Etwas zu töten wird ohnehin in viel zu weiten Teilen der Welt als typisch deutscher Vorgang angesehen; in diesem Fall zurecht, weil das Motiv des heldenhaften Drachentötens stark mit der erzdeutschen Siegfried-Sage konnotiert ist. Was wunder also, dass man sich in der Welt ab 1933 auf grundlegenden Nonsens und speziell den Jabberwocky zu besinnen anfing, als es zur kollektiven Seelenhygiene und politischen Aufarbeitung notwendig wurde, den deutschen Nationalsozialismus zu parodieren. Was nicht einmal die reichhaltigen Jabberwocky Variations bringen, war einst Gegenstand in der Lewis Carroll Group, als es statt Facebook-Gruppen noch quicklebendige Yahoo-Gruppen gab: Grabberwocky. Zu rekonstruieren war etwa zwei Jahrzehnte nach Löschung der Diskussionsgruppe:
According to Jabberland it was originally published as „Grabberwochy“. Set to music by Max Saunders and Max Kester and used as a prologue to Adolf in Blunderland by James Dyrenforth and Max Kester, produced by the BBC Oct 6, 1939 and Feb 12, 1940. Both scripts spelled Grabberwochy. Not included in the published play. The spelling was changed when Barsley used it in „Grabberwocky and Other Flights of Fancy“ pub. John Murray, 1939. The four versions are essentually the same with some punctuation differences, the title spelling and the last word of the first stanza: julestreich (probably for Jules Streicher—nazi editor of Der Sturmer) first BBC script had it as pilestreich, perhaps for British General Sir Frederick Alfred Pile, but this was crossed out and changed to judestreich. Then in the book form it was anglicized to jewstreich. One other thing: ‚my rhenish boy‘ (original) changed to ‚my schemish boy‘ in BBC version.
I did not do the research on this but I remember tons of email back and forth and this endnote had the most revisions in the book due to the many versions.
Hope any of this helps.
DaynaI’ve found it in my research about „Adolf in Blunderland“, about which I once asked some info (always welcome!)
Das ist eine ausführlichere und dankenswertere Forschung, als sie für die Parodie einer Parodie jemals zu erwarten wäre. – Volltext:
——— Michael Barsley:
Grabberwocky
from: Time and Tide July 1939:
‘Twas Danzig, and the Swastikoves
Did Heil and Hittle in the Reich
All Nazi were the Lindengroves
And the Neurat Jewstreich.Beware the Grabberwock, my Son
The Plans that spawn, the Plots that hatch,
Beware the JewJew Bird, and shun
The führious Bundesnatch.He took his Aryan Horde in Hand
Long Time the Gestapo He taught
Then rested He by the Baltic Sea
And stood awhile in Thought.And as a Polish Oath they swore
The Grabberwock, with Lies aflame
Came Goering down the Corridor
and Goebbled as it came.Ein, Zwei! Ein, Zwei! One in the Eye
For Polska Folk. Alas, alack!
He left them dread and as their Head
He came Meinkampfing back.And hast thou ta‘en thy Liebensraum?
Come to my Arms, my schemish Boy
Oh grabjous Day, Sieg Heil, be Gay
He strengthened through his Joy.‘Twas Danzig, and the Swastikoves
Did Heil and Hittle in the Reich
All Nazi were the Lindengroves
And the Neurat Jewstreich.
And hast thou slain the Jabberwock? Nicht ganz. Nicht nachweisen konnte ich eine Vertonung von Max Saunders, der ein „British academic and writer specialising in modern literature“ des späten Geburtsjahrgangs 1957 ist, und Max Kester nur dort, wo sich auch die Illustration findet: bei Alice in the Internet vom 29. Mai 2016. Nach den vier Versionen mit und ohne Anklänge an meinen ungeliebten Landsmann Julius Streicher (leider wohnhaft in der Pirckheimerstraße beim Stadtpark ums Eck), und ob der „Lebensraum“ dort wirklich als „Liebensraum“ erscheint, würde ich gerne mal Grabberwocky and Other Flights of Fancy selbst durchblättern. Und auch sonst.
Vorerst versammle ich ohne Anspruch oder Aussicht auf Vollständigkeit einige deutsche Übersetzungen von Jabberwocky. Das dient dem Vergleich, ich bin nämlich mit dem Thema noch lange nicht durch.
Die erste deutsche Übersetzung war schon ein Sprachenscherz auf mindestens drei Ebenen: von einem Engländer. der sich als Deutscher ausgab:
Der Jammerwochübs. Robert Scott als Hermann von Schwindel
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Die schönste Version finde ich bis auf weiteres die vom „Enzensbergerbruder„: „Verdaustig“ für „brillig“ eröffnet in seiner künstlerischen Freiheit recht überraschend, und der Satz „Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr“ hat ja wohl das Zeug zum Volksgut. Vor allem, wenn man mal Katzenwelpen aufgezogen hat.
Der Zipferlakeübs. Christian Enzensberger, Insel 1963:
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Die DDR hat aus den meisten fremdsprachigen Klassikern ihre eigenen, ideologisch nach ihren Bedürfnissen aufbereitete Ausgaben gemacht, meistens ganz und gar unverächtliche und wissenschaftlich zuverlässigere als bei den westdeutschen Brüdern und Schwestern. 1967 durfte man da noch in aller Unschuld mit dem Schwert „schwuchteln“. Als Übersetzungsarbeit erfreulich genau zugeschmiedet:
Brabbelbackübs. Lieselotte & Martin Remané, Reclam Berlin 1967 (nicht 1976):
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Schön auch zu sehen, dass ein Kinderbuchverlag für seine Klassiker eine eigene Übersetzung angefertigt hat:
Der Schlabberworkübs. Barbara Teutsch, Cecilie Dressler Verlag, Hamburg 1989:
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Die meisten heutigen Leser, die sich für Alice in ihrer Eigenschaft als linguistische Spielerei, weniger als Kinderbuch interessieren, werden sich an die Reclam-Ausgabe wenden:
Legende vom Schebberroch
übs. Günther Flemming, Reclam 1999:
’s war britzlich, und der schlinke Totz
Zerschirrt‘ und drilberte ’s Geweech;
Ganz jimmrig war’s dem Borgoglotz,
Und die traute Schratte schreech.Hüt Dich, mein Sohn, vorm Schebberroch,
Des Maules Biß, der Klauen Krall!
Nah weder öm Sabbsabb-Vogel
noch Wutschnaufgem Geißelprall!‘Er nahm’s vorpale Schwert zur Hand:
Nach dem kattmanen Feind er spürt‘ –
Als unterm Tamtam-Baum er stand
Und Selbstgespräche führt‘,In zwidrer Stimmung, da kam bald
Der Schebberroch mit Flammenblick
Laut jiffelnd durch den tulgen Wald:
Senkt burbelnd das Genick!Eins, zwo! Eins, zwo! Und so! Und so!
Die Klinge führt er schnacke-schnick!
Schlug ab den Kopf, ergriff den Schopf,
Und galumphiert‘ zurück.Erschlugst den Schebberroch?
Dann ach: Strahlischer Knab‘ an meine Brust!
Fantabler Tag! Ich juch! Ich jauch!‘
Gluckst der in seiner Lust.’s war britzlich, und der schlinke Totz
Zerschirrt‘ und drilberte ös Geweech;
Ganz jimmrig war’s dem Borgoglotz,
Und die traute Schratte schreech.
Aus dieser Ausgabe folgen beispielhaft die Anm. d. Übs. Günther Flemming aus dem Anhang, um klarzumachen, dass ein Nonsens-Gedicht nicht aus weiterem beliebigen Nonsens zusammengestoppelt werden darf, und dass dafür sehr wohl künstlerische Kriterien bestehen:
Schebberroch: aus schebbern (mit stimmhaftem sch) =
sabbeln, tratschen, übel nachreden, und aus roch von riechen ‚Rache, ruchbar, Rauch, Rochen‘.
Britzlich: von britzeln, aus brutzeln und brenzlich, nach i hin abgefärbt.
Schlink: aus schlank und flink.
Zerschirren: von scharren, nach i hin abgefärbt.
Drilbern: von Drillbohrer, nach i hin abgefärbt.
Geweech: von Weg und aufgeweicht.
Jimmrig: von jämmerlich und wimmern, nach i hin abgefärbt.
Borgoglotz: von Burg und glotzen, nach o hin abgefärbt.
Trau: von traurig.
Schratte: von Ratte.
Schreech: von niederdeutsch schrieen (‚schreien‘).
Sabbsabb: von sabbeln.
Wutschnuffig: schnaubend vor Wut, nach u hin abgefärbt.
Vorpal: so auch im Original, möglicherweise ein Portmanteau-Wort aus
vorago und palabra.
Kattman: von Katze (niederdeutsch Katt) und der Insel Man.
Jiffeln: lautmalerische Annäherung an whiffling.
Schnack und schnick: lautmalerische Annäherung an das englische snicker-snack.
Strahlisch: Variante zu strahlend (wie beamish zu beaming).
Fantabel: aus fantastisch und fabelhaft.
Jachen: Parallelbildung zu juchen, von jach = jäh, auch jappen ‚vor Überraschung nach Luft schnappen‘.
Glicksen: aus gnickern und glucksen
Bilder: Michael Barsley: Grabberwocky and Other Flights of Fancy, illustrated by Osbert Lancaster, John Murray, 1939, third printing 1941;
Julia Margaret Cameron: Photographic study „Pomona“ (Alice Liddell as a young woman), 1872,
via Lewis Carroll and Alice Lidell, 14. Novemeber 2010.
Soundtrack: Marianne Faithfull: Jabberwoc, aus: Come My Way, 1965:
Bonus Track: Donovan: Jabberwocky, aus: HMS Donovan, 1971:
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