Frankonachten 1/5: Du aber Gott
Update zu Ausblick,
Hören wir das Husten einer Grille im Schnee?
und Dying is the last thing I’ll do:
Weihnachten ist ja immer auch was mit Heimat. Bei mir ist das Franken, eine kulturelle und historische Landschaft, die mich nie ganz in Ruhe lassen wird.
Auf der alten Schnellstraße zwischen
Diepersdorf und Schwaig haben wir
freihändig Rad fahren gelernt:
Bestimmt zwanzig Minuten
geradeaus, so genau hat das
nie einer mitgestoppt, weil
es egal war, der Belag heller als
Asphalt, glatter als Kies, auf dem
die Fahrradreifen schnurrten.
Man konnte nebeneinander
herfahren, so tun, als ob man
sich aus dem Sattel schubste,
sich laut Geschichten erzählen
und verschwitzt nach einer
sommerlichen Radtour lachen
mit dem Blick auf die schnurgeraden
Straßenränder, die sich ganz weit weg
am Schwaiger Ortsschild trafen.
Praktisch stillgelegt, ohne Autos,
ohne Häuser, vorbei an einem
verschwiegenen, aber immer
frisch gestrichenen, eingezäunten
Umspannwerk, das die Strecke
unterteilte, gleich nach dem Graffiti quer über die Fahrbahn:
Hiroshima 6.8.45,
bei Aufnahme der Kilometer
mit Blick nach rechts:
der endlose Maschendrahtzaun
um das waldige Betriebsgelände
des städtischen Arbeitgebers,
mit Blick nach links:
alle hundert Meter
eine einzelne alte Kiefer zwischen
struppigen Gräsern, Landnürnberger
Steppengebiet, bewohnt von
einer Rotte Saatkrähen, Feuerwanzen,
grünen und braunen Allerweltskäfern,
einer Million unterirdisch tätiger Ameisen
und mindestens drei Arten Grashüpfern;
wenn die zu laut waren, war es Zeit,
schneller zu treten fürs Abendessen;
dahinter nur noch
der unermessliche Nürnberg-
Lorenzer Reichswald, kaum hörte man
jenseits die neue Schnellstraße. – – –
Einmal, als ich längst freihändig fahren
konnte, kam ich darauf nachzuschauen,
was es zwischen dem Umspannwerk
und Schwaig im einzigen Kiefernhain
hinter vertrocknenden Himbeersträuchern
und Brennnesselfeldern, die vor
buntschillernden Scheißhausfliegen summten,
noch so gab; ich schwenkte einfach
von dem hellgrauen Straßenbelag
über einen Streifen überlanger
messerscharfer Grashalme in den
Löwenzahn, holperte, bremste,
lehnte mein grünes Hercules Hobby
an einen Strauch und trat zwischen
den Kreis wilder Kiefern, die bis
hoch in den Himmel
aus nichts als ihrer dürren Rinde bestanden.
An einer davon hing auf Brusthöhe
mit einem rosa Reißzwecken befestigt
ein linierter Zettel in kugelrunder
Schulmädchen-
Schleifchen-
Schön-
Schreib-
Schrift:
Du aber, Gott, siehest mich.
Bildlä: Laufberichte: Von Nürnberg-Zentrum an den Fuß des Moritzbergs. Ein Erlebnislauf, Teil II, 2011:
Die „Alte Schwaiger Straße“ führt 2,5 km schnurgerade Richtung Diepersdorf.
Fahrrad-Highlight von Christian und Tom:
Alte Diepersdorfer Straße, für komoot, ca. 2019.
Soundtrack: Red Hot Chili Peppers: Bicycle Song, aus: By the Way, 2002:
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