Wie Champagnerschaum das wilde Gelächter (deine Erdbeer- und Himbeerdüfte)
Update zu Und wenn es hundert schönere gibt,
O süßes Lied und
La feuille s’émeut comme l’aile dans les noirs taillis frémissants:
Die Leute wollen neben der Politik und dem Aktuellen etwas haben, was sie ihrer Freundin schenken können. Sie glauben gar nicht, wie das fehlt.
(Riesenschnörkel) Ernst Rowohlt, in: Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm, 1931.
Sehr richtig, Herr Verleger: Die Leute sollten sich gegenseitig viel mehr Gedichte schenken. Daher kommt heute der literaturwissenschaftliche Teil erst hinterher.
Rimbaud schrieb Les réparties de Nina im Alter von 15 Jahren als 9. Gedicht in seinem 1. Cahier de Douai, die erste Veröffentlichung war in Le Reliquaire 1891. Zitiert wird nach: Arthur Rimbaud: Sämtliche Werke. Französisch und deutsch, übertragen von Sigmar Löffler und Dieter Tauchmann. Mit Erläuterungen zum Werk und einer Chronologie zum Leben Arthur Rimbauds, neu durchgesehen von Thomas Keck, Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig 1976, Seite 52 bis 61:
——— Arthur Rimbaud:
Ninas Antwort15. August 1870:
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——— Arthur Rimbaud:
Les réparties de Nina15 août 1870:
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Die gedachte Landschaft in Rimbauds, des Ardennensohns, Gedicht dürfen wir uns um Chuffilly-Roche (Stand 2018: 73 Seelen) bei Charleville-Mézières vorstellen: um das Nachfolgeanwesen von Rimbauds Mutter herum — das übrigens 2017 von Patti Smith erworben wurde: als waldiges Mittelgebirge ohne Extreme, aber mit viel Idylle:
Auf Rimbauds Manuskript hieß das Gedicht noch Ce qui retient Nina, das ist: Was Nina zurückhält. Die Insel-Ausgabe von Sigmar Löffler und Dieter Tauchmann 1976 lehrt dazu, Seite 416 f.:
Aufschlußreich ist das Gedicht in vielerlei Hinsicht: Obwohl das Thema, die Einladung eines Mädchens zum Spaziergang, in der zeitgenössischen Dichtung oft strapaziert war, ist doch die realistische Beschreibung, besonders des Bauernhauses in den Ardennen, poetisch außerordentlich gelungen. Am bedeutsamsten jedoch sind die hier gebrauchten Effekte, das Bemühen nämlich, neue kühne Wortschöpfungen zu finden, wenn z. B. das Gras unter dem Schatten der Bäume blau erscheint. Damit leitet sich eine Entwicklung ein, die im ‚Bateau ivre‚ und in der poetischen Prosa der ‚Illuminations‚ gipfelt.
Und noch etwas ist in diesem Stück bedeutsam! Die am Schluß frappierende Antwort des Mädchens: ‚Et mon bureau?‘ Die herbe Desillusionierung eines schwärmerischen poetischen Aufschwungs des lyrischen Ich durch das profane Nützlichkeitsdenken eines weiblichen Gegenübers erinnert an ähnliche Effekte in Texten Baudelaires (z. B. ‚La Soupe et les nuages‘ aus den ‚Petits Poèmes en Prose‚). In Rimbauds poetischer Terminologie ist ‚Bureau‘ ein symbolkräftiger Schlüsselbegriff für geistige Stupidität. In ‚À la musique‘ charakterisiert er die Bourgeois als ‚gros bureaux bouffis‘, in ‚Les Assis‘ spricht er von ‚fiers bureaux‘.
Images: Rimbaud expliqué, 5. Juni 2021;
Rimbaud suites, 13. Oktober 2018.
Bande sonore: Adaption musicale par Richard Ankri, 2019:
Bonus Track: das vollständige Lied von oben:
Patti Smith: Dancing Barefoot, aus: Wave, 1979:
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