Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Die katholische Zeit hat solche Geschmacklosigkeiten nicht gekannt

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Selten bin ich in der DVD-Abteilung meiner zuständigen Stadtbibliothek so erschrocken: Man kann die Wanderungen durch die Mark Brandenburg tatsächlich verfilmen, wie 1986 als internationale Fernsehserie — Deutschland, ein anderes Deutschland, Österreich — im ZDF bewiesen, und ich hab’s seinerzeit nicht gemerkt. Wenn ich schon nie dazukomme, die über fünftausend Seiten meiner siebenbändigen Ausgabe Fontane bei Aufbau durchzulesen (die sieben Bände sind nur die Wanderungen mit einigem Apokryphenbeiwerk, nicht der Gesamtfontane), schaff ich hoffentlich wenigstens die fünf Stunden Itzenplitz/Pillau, um nachzuschauen, ob die beste Stelle mit dem kuriosen Jesus — von dem es sogar zwei Versionen gibt — vorkommt.

Kurios — wegen Jesu bildlicher Umschulung vom ehe- und vielmalig dargestellten Zimmermann zum Apotheker, was dem Apothekersohn und approbierten Apotheker Fontane — danke an die Hochhaushex für stete Aufmerksamkeit und ihren luziden Hinweis! — recht zupass kommen musste.

I do remember an apothecary
And here about he dwells;… green earthen pots
Where thinly scatter’d to make up a show.

Shakespeare, cit. Fontane, a.a.O. — eigentlich:

I do remember an apothecary,—
And hereabouts he dwells,—which late I noted
In tatter’d weeds, with overwhelming brows,
Culling of simples; meagre were his looks,
Sharp misery had worn him to the bones:
And in his needy shop a tortoise hung,
An alligator stuff’d, and other skins
Of ill-shaped fishes; and about his shelves
A beggarly account of empty boxes,
Green earthen pots, bladders and musty seeds,
Remnants of packthread and old cakes of roses,
Were thinly scatter’d, to make up a show.

Shakespeare: Romeo and Juliet, Act V, Scene 1: Mantua. A street.

——— Theodor Fontane:

Werder
Die Insel und ihre Bevölkerung. Stadt und Kirche. „Christus als Apotheker“

in: Wanderungen durch die Mark Brandenburg.
Dritter Teil: Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg, 1873:

Unbekannter Künstler, Christus als Apotheker, Werder an der Havel, Heilig-Geist-KircheHier befindet sich unter andern auch ein ehemaliges Altar-Gemälde, das in Werder den überraschenden, aber sehr bezeichnenden Namen führt: „Christus als Apotheker“. Es ist so abnorm, so einzig in seiner Art, daß eine kurze Beschreibung desselben hier am Schlusse unseres Kapitels gestattet sein möge. Christus, in rotem Gewande, wenn wir nicht irren, steht an einem Dispensier-Tisch, eine Apotheker-Wage in der Hand. Vor ihm, wohlgeordnet, stehen acht Büchsen, die auf ihren Schildern folgende Inschriften tragen: Gnade, Hilfe, Liebe, Geduld, Friede, Beständigkeit, Hoffnung, Glauben. Die Büchse mit dem Glauben ist die weitaus größte; in jeder einzelnen steckt ein Löffel. In Front der Büchsen, als die eigentliche Hauptsache, liegt ein geöffneter Sack mit Kreuz-Wurtz. Aus ihm hat Christus soeben eine Handvoll genommen, um die Wage, in deren einer Schale die Schuld liegt, wieder in Balance zu bringen. Ein zu Häupten des Heilands angebrachtes Spruchband aber führt die Worte: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin kommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen. (Matthäi 9. Vers 12.)“

Die Werderaner, wohl auf Schönemann gestützt, haben dies Bild bis in die katholische Zeit zurückdatieren wollen. Sehr mit Unrecht. Die katholische Zeit hat solche Geschmacklosigkeiten nicht gekannt. In diesen Spielereien erging man sich, unter dem nachwirkenden Einfluß der zweiten schlesischen Dichterschule, der Lohensteins und Hofmannswaldaus, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, wo es Mode wurde, einen Gedanken, ein Bild in unerbittlich-konsequenter Durchführung zu Tode zu hetzen. Könnte übrigens inhaltlich darüber noch ein Zweifel sein, so würde die malerische Technik auch diesen beseitigen.

Unbekannter Künstler: Christus als Apotheker, Werder an der Havel, Heilig-Geist-Kirche, Öl auf Leinwand, 35,76 cm x 39,16 cm via Artothek. Deswegen hat die so ziemlich einzige erreichbare Wiedergabe im Internet ein hässliches Wasserzeichen. Sollte jemand in der Heilig-Geist-Kirche im Potsdam-Mittelmärkischen Werder vorbeikommen, mag er bitte ein ernstzunehmendes Foto davon machen und hier vermelden, am liebsten: zugänglich machen; dafür würde ich glatt Geld zahlen. Aber bitte nicht so viel.





Written by Wolf

24. April 2015 um 00:01

Veröffentlicht in Land & See, Realismus

3 Antworten

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  1. Haach… von den verfilmten Fontanewanderungen wusste ich ja auch noch gar nix.
    Vielleicht komm ich ja gelegentlich nach Werder, is ja quasi direkt bei mir um die Ecke. Dann knips ich dir auf jeden Fall ein Bild ohne Wasserzeichen vom Apotheker-Christus. ’s muss ja nicht gerade zum Baumblütenfest-Besäufnis sein. ;o)

    Und für dich und weil du’s bist, erheb ich auch keine Gebühr. :o)

    hochhaushex

    24. April 2015 at 22:28

    • Das .pdf der Isnyer Gemeindepfarrei bietet sogar an: „Übrigens, wenn Sie den „Christus als Apotheker“ haben möchten, können Sie das Bild als Postkarte übers Pfarramt beziehen, wir schicken es Ihnen gerne zu“ — mit E-Mail isny@evkirche-rv.de. Sowas kostet normalerweise gegen 1 Euro pro Karte. Dann bloß noch scannen :o)

      Wolf

      25. April 2015 at 11:38

  2. P.S. Hihi… wo der Fontane ja selber approbierter Apotheker war. Was er wohl mehr von senem Vadder als von Christus hatte. ;o)

    hochhaushex

    24. April 2015 at 22:36


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